In den geplanten Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada sind Schiedsgerichte vorgesehen für Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Staaten. Sie können die Demokratie aushebeln, analysiert StZ-Redakteur Stefan Geiger.

Stuttgart - Auch Investoren wollen ein möglichst hohes Maß an Sicherheit. Das ist verständlich. Sie fürchten, bei Aktivitäten im Ausland mehr Risiken einzugehen als zuhause. Diese Angst ist nicht immer unbegründet. Weil fast alle Staaten dieser Erde um ausländische Investoren buhlen, sind sie auf die Idee gekommen, untereinander Abkommen zum Schutz ausländischer Investoren abzuschließen. Teil dieser Abkommen ist meist die Zusicherung privater Schiedsgerichte abseits der staatlichen Justiz. Vor ihnen sollen ausländische Investoren die Schäden durch vom jeweiligen Staat zu verantwortende Benachteiligungen einklagen können.

 

Gemeinsam ist Schiedsgerichten, dass sie nicht mit Richtern besetzt sind, sondern mit Rechtsanwälten oder Professoren, auf die sich beide Parteien einigen müssen. Wo es um Investorenschutz geht, ist Beklagter stets ein Staat, Kläger stets ein Unternehmen. Schiedsgerichte sind meist sehr teuer. Gegen ihre Entscheidungen ist selten eine Berufung möglich. Aber ihre Urteile können oft bei den staatlichen Institutionen durchgesetzt, die Entschädigungen vergleichsweise einfach eingefordert werden.

In der aktuellen Diskussion gibt es massive öffentliche Kritik an den beiden geplanten Abkommen Ceta und TTIP, die die Europäische Union mit Kanada und den USA abschließen will. Diese Kritik kommt spät. Deutschland hat bereits mehr als 130 derartige Abkommen mit anderen Staaten vereinbart, das erste im Jahr 1959. Weltweit gibt es mehr als 3000 solcher Abkommen. Niemand in Europa hat sich darüber aufgeregt, solange sich die Vereinbarungen faktisch gegen Entwicklungsländer oder autoritäre Regime mit unzulänglicher staatlicher Justiz gerichtet haben. Die praktische Bedeutung war auch lange Zeit begrenzt. Aber diese Abkommen haben durchaus die Investitionsbereitschaft in etlichen Ländern gefördert.

Die Zahl der Klage vor Schiedsgerichten explodiert

Geändert hat sich dies erst, als sich die Entscheidungen der Schiedsgerichte auch gegen Industrieländer richteten. Geändert hat es sich vor allem, seitdem große und mächtige Anwaltskanzleien in den USA – aber auch in Deutschland – die Schiedsgerichte als millionenschweres Geschäftsmodell entdeckt haben und Konzerne oft zu Klagen drängen. Die Zahl der Klagen ist seit 2000 explodiert – um 250 Prozent, Tendenz weiter steigend. Und dann gibt es die abschreckenden Beispiele, die den Verdacht verstärken, private Schiedsgerichte seien vor allem eine Chance für mächtige Konzerne, Staaten zu erpressen und deren Steuerzahler zu schröpfen.

Vorneweg ist da der Fall der Brüder Ioan und Viorel Micule aus Rumänien. Sie hatten für ihren gigantischen Getränke-Konzern in den Wirren nach dem Zusammenbruch des Sozialismus vom Staat sachlich nicht zu rechtfertigende Subventionen erhalten. Ausgerechnet der Beitritt zur EU veranlasste Rumänien, diese Subventionen zu kappen. Vor staatlichen Gerichten hätten die Brüder keine Chancen gehabt. Aber sie hatten ihre Investitionen über Schweden geleitet. Und sie nahmen einen der bekanntesten Spezialisten als Anwalt. Der verklagte Rumänien vor einem Schiedsgericht in Washington auf der Grundlage eines schwedisch-rumänischen Abkommens. Das Schiedsgericht verurteilte Rumänien zu einer Entschädigung in Höhe von 250 Millionen Dollar. Ein Fall für die Lehrbücher.

Besonders apart an diesem Beispiel: Die Europäische Union, die ja gerade vergleichbare Abkommen mit ähnlichen Schiedsgerichten mit Kanada und den USA vorbereitet, ist entrüstet über die Washingtoner Entscheidung und will verhindern, dass Rumänien zahlt. Begründung: Es handele sich um eine unzulässige Subvention.

Es gibt etliche Beispiele: Deutschland wird vom Energieriesen Vattenfall wegen des Atomausstiegs verklagt, Kanada von einem Tabakkonzern wegen seiner Warnhinweise vor gesundheitlichen Folgen auf Zigarettenschachteln und wegen des Moratoriums beim Erdgas-Fracking.

Auch staatliche Gerichte können Probleme schaffen

Die Befürworter der Abkommen sagen, die Investitions-Abkommen förderten den Austausch von Produkten und damit das Wirtschaftswachstum. Sie erwarten viele neue Arbeitsplätze. Kritiker argumentieren, mit diesen Abkommen werde die Demokratie ausgehöhlt. Parlamente seien nicht mehr frei, Umweltschutzgesetze und soziale Schutzregeln zu erlassen, die die Investoren Geld kosten. Entschädigungen in Milliarden-Höhe könnten die öffentlichen Haushalte ruinieren. (Ecuador wurde bereits zu 1,76 Milliarden Dollar Schadenersatz verurteilt.) Unternehmerische Risiken würden auf die Steuerzahler abgewälzt. Die Schiedsgerichte seien eine unberechenbare, unkontrollierbare und nicht zu korrigierende Form der Geheimjustiz.

Dabei muss man freilich berücksichtigen, dass auch staatliche Gerichte nicht überall auf der Welt deutschen Standards entsprechen. Insbesondere die US-Justiz gilt in Wirtschaftskreisen als in vielen Fällen unberechenbar und maßlos, im Vorgehen als rabiat. So war es ein staatlicher Richter in Washington und nicht etwa ein privates Schiedsgericht, der der Klage eines böswilligen Hedgefonds auf Schuldenrückzahlung entsprach und damit nicht nur Argentinien erneut an den Rand einer Staatspleite brachte, sondern auch die 92 Prozent vernünftigen Gläubiger dieses Landes benachteiligte, die sich auf einen Vergleich eingelassen hatten.

Es geht um eine alte, einfache Regel der Demokratie

Die Bundesregierung und von ihr zu Hilfe gerufene Juristen argumentieren nun, die neuen Verträge mit den USA und Kanada seien so formuliert, dass sie die Klagemöglichkeiten eng begrenzten, die Rechte des Parlaments nicht einschränkten und den Investoren nicht mehr Rechte einräumten, als ihnen nach dem Grundgesetz und der europäischen Regeln sowieso zustünden. Das ist im Ansatz richtig. Wie weit dieses Argument trägt, bleibt aber offen. Einerseits sind die Verträge so formuliert, dass sie allenfalls von wenigen Spezialisten verstanden und interpretiert werden können. Vor allem aber werden sie, wenn sie denn kommen, von Schiedsgerichten ausgelegt, die sich ihrerseits staatlicher Kontrolle entziehen und die – wie es in einem Gutachten heißt – das Recht auch „weiterentwickeln“ werden.

Im Grunde aber geht es um eine sehr alte, ganz einfache und elementare Regel der Demokratie: Dass die Rechtsprechung zu den Kernaufgaben eines jeden Staates gehört, die einer Legitimation und Kontrolle bedarf und deshalb nicht privatisiert werden kann. Weil sonst die Gefahr wächst, dass private Macht und privater Reichtum das Recht bestimmen.