Der kenianische Olympiasieger David Rudisha absolviert in Tübingen sein Sommertraining.

Tübingen - Olympiasieger haben es leichter. Diese schlichte Botschaft brachte David Rudisha von den Olympischen Spielen in London mit nach Tübingen. Dort hat der Kenianer nun im dritten Jahr sein Sommerdomizil aufgeschlagen. „Tübingen welcomes David Rudisha – Olympic- and Worldrecord Champion“ prangte auf dem großen Transparent, das im Schönbuch zwischen zwei Bäumen in idyllischer Umgebung aufgehängt war. Ein emotionaler Empfang für einen, der zuvor das Olympiastadion der britischen Hauptstadt fast zum Beben gebracht hatte.

 

„Sein Lauf wird als einer der größten Olympiasiege in die Geschichte eingehen“, hatte Sebastian Coe, ehemaliger 800-Meter-Weltrekordler und Chef des Organisationskomitees, den 23-Jährigen gewürdigt. Rudisha schickt sich an, die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit im 800-Meter-Lauf zu verschieben. Mit seinen 1:40,91 Minuten hat er das Tor zu der 1:40-Minute-Barriere und damit zur 100-Sekunden-Marke geöffnet. „Achtmal 12,5 Sekunden ist schon sehr, sehr hart“, sagt Rudisha. Er ist der einzige, der in diese neue Dimensionen vorstoßen kann.

Optimale Bedingungen

„Wenn alle Bedingungen stimmen, könnte ich mir vorstellen, in Richtung 1:40,5 Minuten zu laufen“, sagt der 1,89 Meter große Ausnahmeläufer mit Blick auf seinen letzten Saisonstart am 30. August in Zürich. Optimale Bedingungen heißt: gutes Wetter sowie Unterstützung durch seinen Tempomacher Sammy Tanui und das Publikum. „Nach meinem Olympiasieg und dem Weltrekord habe ich jedoch keinerlei Druck mehr, es ist leichter für mich jetzt“, sagt er entspannt.

Tanui hatte Rudisha bereits vor zwei Jahren zu zwei Weltrekorden gezogen. In London lieferte Rudisha den ersten Weltrekord im Alleingang ohne einen Tempomacher seit langer Zeit ab. Es war der erste Weltrekord über 800 Meter in einem Olympiafinale seit 1976 – als die kubanischen Legende Alberto Juantorena in Montreal 1:43,50 Minuten lief. „Auf diesen Augenblick habe ich lange hingearbeitet“, kommentiert Rudisha sein Olympiagold, „ich hatte nie Zweifel an meinem Sieg“. Es war das erste olympische Gold für einen vom Stamm der Massai, der wohl bekanntesten Volksgruppe im Süden Kenias.

Sein Vater Daniel Rudisha hatte 1968 in Mexiko in der 4x400-Meter-Staffel Silber für Kenia gewonnen. „Er hat mich inspiriert zu meinem Leistungen“, sagt David Rudisha. „Ich habe immer geträumt, es noch besser zu machen als mein Vater.“ Während seine Frau im Londoner Olympiastadion war, saß sein Trainer Colm O’Connel, ein irischer Pater, zu Hause in der St. Patricks High School in Iten gemeinsam mit der nächsten Läufergeneration vor dem Fernseher.

Weltklasseathlet

„Ich habe Pater Colm noch nie so begeistert erlebt wie am Telefon nach meinem Olympiasieg“, berichtet Rudisha von seinem Trainer, der in den vergangenen 30 Jahren viele kenianische Weltklasseathleten wie die Olympiasieger Peter Rono und Mathew Birir oder den Weltmeister Wilson Boit Kipketer hervorgebracht hatte. Dass Rudisha jetzt zum komplettesten Läufer geworden ist, hat er vor allem der Geduld und dem Zutrauen Colm O‘Connells zu verdanken: „Er hat mich perfekt vorbereitet und gesagt: ‚Ich gebe dir die Freiheit ohne Druck zu laufen.‘“ Der Ausnahmeläufer Rudisha ist also voll des Lobes für seinen Ausnahmetrainer.

Wenn sich der erste kenianische 800-Meer-Weltrekordler in Europa aufhält, lenkt der australische Manager James Templeton dessen Geschicke. Er wird dafür sorgen, dass sich Rudishas Londoner Sternstunde auch auf die Startgagen auswirkt. „Usain Bolt ist ein großer Athlet, ich könnte mir schon vorstellen, irgendwann aus Spaß mal gegen ihn ein 400-Meter-Rennen zu laufen“, sagt Rudisha.

Sympathisch, ehrlich, fast bescheiden – so erlebten die rund 200 Läuferinnen und Läufer, die zu Rudishas Empfang in Tübingen gekommen waren, den Weltstar. Geduldig erfüllte er Autogramm- und Fotowünsche. Und erzählte dabei, dass er von den Leistungen Sebastian Coes sehr beeindruckt sei. Rudisha reichte seine Goldmedaille durch die Läuferreihen und brachte so Glanz in deren Gesichter, ehe sie gemeinsam auf eine Acht-Kilometer-Runde in den Schönbuch losjoggten. Ein Olympiasieger zum Anfassen.