Blaue Moschee, Großer Basar und Topkapi - doch Istanbul ist mehr als osmanische Pracht. Ein Besuch der neuen Viertel weitet den Blick auf die Türkei.

Istanbul - Aufgeräumt ist er. Nahezu besenrein. Ein nüchterner Kinderspielplatz an dem einen Ende, ein beliebiger Protz-Brunnen am anderen. Ältere Männer trotzen dem kalten Dezember-Wind vor dem Tee-Kiosk. Das soll der Gezi-Park sein, jenes umkämpfte Grün, auf dem die türkische Demokratie Schaden genommen hat, von dem die Tränengasnebel in die Lobbys der nahen Hotels waberten? Für dessen Erhalt Menschen ihr Leben riskierten, im Ringen gegen einen neuen Kaufhaus-Komplex von präsidialen Gnaden? Wer Istanbul nicht zum ersten Mal neugierig und verliebt seine Aufwartung macht, wer Blaue Moschee, Topkapi-Palast und Hagia Sofia längst bis in die letzten Winkel erforscht, den osmanischen Glanz im Dolmabahce-Palast bewundert, sich mit Teppichen im Großen Basar eingedeckt und eine Touri-Schifffahrt auf dem Bosporus überstanden hat, der sollte seine Tour am Gezi-Park beginnen, um die neue Türkei zu verstehen.

 

Raus aus dem alten Istanbul

Klack, klack: Lässig wechselt der Polizist vor der Einfahrt zum Einsatzgelände am Taksim-Platz sein Gewehrmagazin. Im Hof stehen Mannschaftsbusse, allgegenwärtig, wenn es zu neuen Protesten kommen sollte. Das Erdogan-Istanbul ist wachsam. Aber es ist auch stolz, frech, hip und international wie kaum eine andere europäische Metropole. Die alten Viertel um den Galata-Turm sind herausgeputzt, auch wenn sie sich angestrengt bemühen, etwas von jenem morbiden Charme zu bewahren, als sich die europäischen Botschaften zu Sultans Zeiten im Stadtteil Beyoglu aneinanderdrängten.

Als europäische Kaufleute prächtige Kontore bauten und Restaurants wie das Helvetia in der Nähe des Tünel, eine der ältesten Untergrundbahnen der Welt, an der Hauswand zum „Gabelfrühstück“ einluden. Immerhin: Hier und da findet man sie noch, die verstaubten Schaufenster der alten Handwerkbetriebe, die fragilen Kistenbauten der kleinen Gemüse- und Obstläden, den zahnlückigen Saftverkäufer an der Ecke, der seinen frisch gepressten Granatapfel-Trunk wie eine bittersüße Gegen-alles-Medizin anpreist.

Raus aus dem alten Istanbul, weg von Ägyptischem Basar und Neuer Moschee, den aufgemotzten Fischbrötchen-Bötchen, dem altehrwürdigen Pera-Hotel, zu dem man die Reisenden des Orient-Expresses einst vom Endbahnhof Sirkeci in Sänften über die Galata-Brücke auf die andere Seite des Goldenen Horns trug: Das neue Istanbul pulsiert 20 Taxi-Lira weit in den dynamischen Außenbezirken. In Pera-Sichtweite wird das Kasimpasa-Viertel allmählich von Baggern weggebissen und sind ganze Häuserzeilen dem Verfall preisgegeben. Syrische Flüchtlinge müssen sich hier im Schatten des brandneuen Recep-Tayyip-Erdogan-Stadions ebenso wieder auf die Suche nach einer Bleibe machen wie die kleinen Friseursalons, Perückenläden oder Tattoo-Studios. In den Besiktas-Quartieren dagegen hat sich der Reichtum der neuen Türkei seine Tempel bereits gebaut.

400 Meter lang sind die Fußwege zum U-Bahn-Netz

Internationale Luxushotels der Extraklasse wie das in diesem September im Zorlu-Center eröffnete Raffles repräsentieren den selbstbewussten Stolz einer wirtschaftlich prosperierenden Nation. Der Charme der alten und die Raffinesse der neuen Welt, hier werden sie zusammengeführt. Türkische Einflüsse ziehen sich mit einer glamourösen Interpretation des Traditionellen wie ein roter Faden durch moderne Elemente. Der Helikopterlandeplatz auf dem Dach ist Standard. Ein privater Butler sowie der Blick auf die Prinzen-Inseln und die Europabrücke auch. Und natürlich serviert der spanische Sternekoch Sergi Arola klassisch katalanisch statt traditionell türkisch. 400 Meter lang sind die Fußwege zum U-Bahn-Netz, das die Menschen in den Konsum spuckt. Kraftvoll, dynamisch, protzig. Prada und Dior sind nur kostspielige Teilchen einer Galerie von Luxusläden, die nicht auf zahlungskräftige Kunden aus dem In- und Ausland warten müssen.

Der „Basar der nächsten Generation“ thront auf dem Hügel oberhalb von Ortaköy. Vier weiße Gebäudetürme werden von einer architektonisch ungewöhnlichen Basis getragen, in der sich nicht nur das Shopping-Center breitmacht, sondern neben dem Raffles auch eine imposante Konzerthalle, Büroräume und luxuriöse Residenzen für die Reichen und Schönen der Stadt. Die junge Elite, gut ausgebildet und wohlhabend, sitzt in Nisantasi und Tesvikiye. Unter ihnen junge Künstler und Designer und mit etwas Glück trifft man Orhan Pamuk, dessen Romane nicht selten in seinem Viertel spielen. Mittlerweile lohnt auch wieder ein Abstecher nach Karaköy, das sich vom Hafen- zum Kunst- und Museumsviertel mausert. Nein, es muss nicht immer Topkapi sein. Kalt liegt der Gezi-Park. Der Verkehr windet sich im neuen Tunnel unter dem Taksim-Platz. Istanbul brummt.

So wird das Reisewetter in Istanbul

Infos zu Istanbul

Anreise
Von Stuttgart mit Turkish Airlines mehrfach am Tag zum Atatürk-Airport, für Business-Reisende inklusive Aufenthalt in einer der schönsten und größten Lounges Europas, für Wochenendurlauber ideal: morgens 7 Uhr ab Stuttgart, Ankunft beim Rückflug 18 Uhr in Stuttgart, www.turkishairlines.com .

Unterkunft
Raffles im Zorlu-Center, 5 Sterne S, DZ ab 450 Euro, shoppen und sich verwöhnen lassen auf allerhöchstem Niveau, www.raffles.com .

Four Seasons Sultanahmet, 5 Sterne, DZ ab 320 Euro, ehemaliges Gefängnis direkt neben der Hagia Sofia, www.fourseasons.com/istanbul/

Antik Hotel, 4 Sterne, gepflegt-elegantes Hotel in einer Seitenstraße nahe dem Gedeckten Basar, DZ ab 56 Euro, www.antikhotel.com/

Pera-Palace, 5 Sterne, Orient-Express-Ambiente Nähe Istiklal-Caddesi, DZ ab 156 Euro, Atatürk-Zimmer 101 erinnert an Aufenthalte des Republikgründers www.jumeirah.com/de/hotels-resorts/istanbul/pera-palace-hotel-jumeirah/

Hotel de Londres, 4 Sterne, hier drehte Fatih Akin Szenen des Films „Gegen die Wand“ (2004), DZ ab 80 Euro, www.londrahotel.net/de/index.html

Allgemeine Informationen
Der Reiseführer „100% Istanbul“ gibt selbst kundigen Wiederholungstätern auf sechs Spaziergängen in sechs typischen Vierteln abseits der Touri-Pfade neue Istanbul-Impulse - plus App fürs Smartphone. (152 Seiten, www.100travel.de, 12,99 Euro).

Die Türkei ist ein Trinkgeldland: zehn Prozent des Rechnungsbetrags sind eher die untere Grenze. Beim Feilschen auf den Basaren beim Preis etwa bei 40 Prozent einsteigen, Ziel sollten etwa 60 Prozent sein. Die allermeisten Taxifahrer rechnen mittlerweile seriös ab (trotzdem: Taxameter einschalten lassen). Die Fahrpreise sind relativ günstig.