Türken lieben ihr Konfekt Lokum sehr süß. Deutsche stehen auf nicht ganz so viel Zucker. Deshalb gibt es bei Feinkost Çeres in Gablenberg Lokum sozusagen nach deutscher Art – eigens dafür von einem Familienbetrieb in der Türkei hergestellt.

S-Ost - Knallbunt, pappsüß und ziemlich klebrig – wer jemals in der Türkei gewesen ist, weiß, wovon die Rede ist: Lokum. Die Nationalsüßspeise der Türken ist eines der ältesten Konfekte der Welt. Und es gibt sie auch bei Feinkost Çeres im Stuttgarter Osten – allerdings mit deutlich reduziertem Zuckergehalt, speziell für die deutsche Kundschaft.

 

Die Geschichte der „Häppchen“, so die Übersetzung der kleinen, mundgerechten Stücke, reicht bis ins 15. Jahrhundert des Osmanischen Reiches zurück. Damals wurden Honig und Mehl für die Herstellung benutzt. Im 17. Jahrhundert beauftragte Sultan Abdülhamid I. die besten Konditoren seines Landes, eine Süßspeise zu kreieren, welche die widerspenstigen Haremsfrauen besänftigen und ihm zu mehr Manneskraft verhelfen sollte. Die Lokum-Kreation des Zuckerbäckers Haci Bekir aus Kastamonu, der die einstige Rezeptur durch Verwendung von Zucker und Maisstärke verfeinerte, mundete dem liebeshungrigen Sultan derart, dass der junge Haci Bekir zum Chefkonditor des Hofes ernannt wurde. Aufgrund dieser Legende wird die süße Sünde auch heute noch scherzhaft „türkisches Viagra“ genannt. Die Wirksamkeit darf angezweifelt werden, ihrem Ruhm hat dies allerdings bis heute keinen Abbruch getan.

Die Nachfahren Haci Bekirs betreiben in der fünften Generation das traditionelle Süßwarengeschäft in der Altstadt Istanbuls, in der Nähe der Hagia Sophia und der Blauen Moschee. Türkische Mitbürger, die auch hierzulande nicht auf den Genuss der Zuckerbomben verzichten wollen, bringen diese meist aus der Heimat mit.

So wie die Familie von Nese Noyan. „Wir haben jedes Jahr kiloweise Lokum aus der Türkei mitgebracht“, erzählt die gebürtige Badenerin. Die Süßspeise gibt es bei uns zwar auch in vielen türkischen Supermärkten zu kaufen, „aber das ist kein Vergleich zu den handgemachten frischen Lokum aus der Türkei“, findet Noyan. Deshalb beschloss die studierte Unternehmensberaterin vor knapp zwei Jahren, ein eigenes Süßwarengeschäft mit den traditionellen Lokum in der Gablenberger Hauptstraße zu eröffnen.

Von Anfang an stand für die Deutschtürkin die Qualität im Vordergrund. Ein ganzes Jahr lang klapperte sie zunächst die türkische Schwarzmeerküste nach Zutaten in Bioqualität für die kleinen Häppchen ab. „Das war sehr schwierig“, sagt sie. Schließlich wurde sie in Gaziantep fündig. Die südostanatolische Stadt ist eine Hochburg für Pistazien – ein wesentlicher Bestandteil türkischer Süßwaren. In der Provinz verliebte sich die die junge Frau in ihren späteren Mann Servet. Dessen Familie betreibt in Gaziantep eine Pistazien-Kooperative. Für Noyan ein Volltreffer.

Mittlerweile ist die Familie ihres Mannes für die Produktion des feinen Konfekts verantwortlich, das nach Stuttgart ausgeliefert wird. Das Grundrezept nach historischer Überlieferung behielt Nese Noyan zunächst bei, die Geschmacksrichtungen sind klassisch türkisch. Der große Ansturm auf die traditionelle Süßware blieb jedoch aus. „Das Geschäft lief sehr schleppend“, sagt Nese Noyan. „Leider setzen viele türkischen Mitbürger eher auf Quantität als auf Qualität“, sagt sie. Den Aufpreis für die Frische und die Bio-Zutaten wollen viele nicht zahlen. Den wenigen deutschen Kunden sind die Lokum schlichtweg zu süß.

Das brachte Nese Noyan auf die zündende Idee: sie reduzierte die Zuckermenge um 40 Prozent und passte im weiteren Schritt die Geschmacksrichtungen an den deutschen Gaumen an. An Weihnachten bietet sie Lokum mit Zimt, Vanille, Orangenblüten und Mandeln an, im Sommer verarbeitet sie saisonale Früchte – die Kundschaft ist begeistert von der Light-Version der Traditionssüßigkeit.

Mehrmals im Jahr fliegt Nese Noyan mit neuen Rezeptideen nach Gaziantep. Rund 30 Sorten hat sie mittlerweile im Angebot, die sich kunstvoll auf kleinen Silbertabletts hinter Glasvitrinen stapeln. Neben Lokum bietet Nese Noyan auch weitere traditionelle Süßwaren und Feinkost aus der Türkei, Griechenland und Italien an. Mit einem orientalischen Frühstücksangebot lädt die Jungunternehmerin Kunden ein, in eine Welt aus 1001 Nacht einzutauchen.

„Es ist wichtig, mit der Zeit zu gehen und sich an die Geschmäcker anzupassen“, sagt Nese Noyan. Sie ist glücklich und stolz, mit einer kleinen Veränderung das Urgestein der türkischen Süßware nach Deutschland geholt zu haben. Fast jedes Wochenende ist die Unternehmerin auf Events und Food-Messen, um das Konfekt zu bewerben. Ihre Produkte liefert sie deutschlandweit aus. Deshalb will sie mittelfristig die Produktion der Süßwaren in die Bundesrepublik verlagern.