Am Türkischen Arbeitnehmerverein Friedrichshafen scheiden sich die Geister: der Verfassungsschutz beobachtet ihn, das Integrationsministerium meidet ihn. Vor Ort aber kooperieren Stadt, Kreis und Polizei arglos. Ein Mitglied ist sogar CDU-Vizechef.

Stuttgart - Besser als Ömer A., so scheint es, kann man kaum integriert sein. Der türkischstämmige Mittvierziger – hauptberuflich Brandschutzexperte beim ZF-Konzern – engagiert sich in Friedrichshafen ehrenamtlich auf vielen Feldern. Seit Jahren sitzt er im Integrationsausschuss der Stadt, er fördert den muslimisch-christlichen Dialog und organisiert das internationale Stadtfest mit. 2009 absolvierte er als erster Bürger mit türkischen Wurzeln den Lehrgang für den freiwilligen Polizeidienst und darf seither Uniform tragen. Beim CDU-Ortsverband, auf dessen Liste er 2014 für den Gemeinderat kandidierte, wurde er erst vor wenigen Monaten als stellvertretender Vorsitzender bestätigt. Zu der Parteiversammlung kam auch der Spitzenkandidat Guido Wolf. Auf einem Foto sieht man, wie A. ihm im kleinen Kreis freundlich lächelnd applaudiert.

 

Was der Fraktionschef Wolf und angeblich auch der CDU-Ortsvorsitzende nach eigenem Bekunden nicht wussten: ihr Parteifreund gehört einer Organisation an, die mehrfach in Antworten der Regierung auf Anfragen der Landtags-CDU auftauchte – dem türkischen Arbeitnehmerverein Friedrichshafen. Die Fraktion gibt sich nämlich als Chefaufklärer in Sachen „Graue Wölfe“, wie die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (ADÜTDF) landläufig genannt wird. Und als Mitglied dieses Dachverbandes gilt dem Landesamt für Verfassungsschutz, das von einem „Sammelbecken“ extremer türkischer Nationalisten spricht, auch der 1966 von den ersten Gastarbeitern gegründete Friedrichshafener Verein; daher wird er von der Behörde offiziell beobachtet. Ausweislich des Vereinsregisters war Ömer A., der sich selbst auf StZ-Anfragen nicht äußerte, früher dort in verschiedenen Funktionen Mitglied des Vorstands, heute ist er laut dem Vorsitzenden „passives Mitglied“.

Die CDU kennt keine Unvereinbarkeit

Die Begegnung mit Ömer A. sei „flüchtig, oberflächlich und vor allem zufällig gewesen“, lässt Guido Wolf ausrichten. Die Herren hätten sich vorher nicht gekannt, von A.s Mitgliedschaft in dem Verein und möglichen Verbindungen zu den „Grauen Wölfen“ habe man erst durch die StZ-Anfrage erfahren. Es gebe freilich keinen förmlichen Unvereinbarkeitsbeschluss, heißt es bei Fraktion und Landesverband, mit solchen und anderen „gefährlichen Gruppierungen“ müsse man sich politisch auseinandersetzen.

Bei anderen Parteien zeigte sich die Landtags-CDU strenger. Als die Ehefrau von Vizepremier Nils Schmid (SPD) 2011 an der Seite eines SPD-Landtagskandidaten einen Nürtinger Verein besuchte, der wie insgesamt vierzig mit rund 2100 Mitgliedern in Baden-Württemberg ebenfalls dem Dachverband zugerechnet wird, setzte es scharfen Tadel. „Wir dürfen nicht zulassen, dass solche Vereinigungen von Politikern demokratischer Parteien salonfähig gemacht werden“, warnte der Integrationsexperte der Fraktion, Bernhard Lasotta. Womöglich gebe es ja noch weitere Verbindungen der SPD zu den „Grauen Wölfen“, deutete er an.

Aufgerufen, Parteien zu unterwandern

Grundsätzlich erscheint ein solcher Argwohn nicht abwegig. Der Verfassungsschutz registriert bei der ADÜTDF schon länger Versuche, Parteien oder Institutionen zu unterwandern. Bürger mit türkischem Migrationshintergrund würden „dazu aufgerufen, in die politischen Parteien des Aufenthaltslandes einzutreten und dort verantwortungsvolle Ämter zu übernehmen“, heißt es im aktuellen Bericht des Landesamts. Womöglich auch in Friedrichshafen? Zu Einzelfällen könne man sich aus Gründen des Datenschutzes nicht äußern, sagte ein Behördensprecher.

Auch beim Stuttgarter Innenministerium gibt es nur allgemeine Auskünfte auf die Frage, inwieweit ein Mitglied eines vom Verfassungsschutz beobachteten Vereins in den – inzwischen geschlossenen – freiwilligen Polizeidienst gelangen kann: Voraussetzung dafür sei ein „guter Ruf“, weshalb vorab zu Integrität und Lebenswandel recherchiert werde. „Begründete Zweifel an der Verfassungstreue“ stünden der Aufnahme entgegen. Nachträglich bekannt gewordene Umstände könnten, nach Prüfung des Einzelfalles, zum Ausschluss führen.

Nur vordergründig um Integration bemüht?

Löbliches Engagement oder subversive Absichten – so schwer wie im Fall A. erscheint die Unterscheidung auch bei dem Friedrichshafener Verein insgesamt. Die ADÜTDF-Vereine seien nur „scheinbar um die Integration ihrer Mitglieder in die deutsche Gesellschaft bemüht“, konstatiert das Bundesamt für Verfassungsschutz; tatsächlich förderten sie „als Träger der türkisch-nationalistischen Ideologie die Bildung einer Parallelgesellschaft“. Seit das ZDF-Magazin „Frontal 21“ im Mai über die unterschätzte Gefahr durch „Graue Wölfe im Schafspelz“ berichtete, sieht Friedrichshafen sich dem Verdacht ausgesetzt, arg naiv auf die biedere Tarnung hereinzufallen. Sogar von „Ignoranz“ war in dem Beitrag die Rede, weil die Verantwortlichen lieber nicht zu genau hinschauten.

Tatsächlich geht die Stadt ganz anders mit dem Verein um als die Stuttgarter Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD). Man pflege keinerlei Kontakte zu Vereinen, die vom Verfassungsschutz beobachtet würden, und werde dies auch fortan so halten, teilte ihr Ressort dem Rathaus mit. Am Bodensee gibt es hingegen wenig Berührungsängste – im Gegenteil: der Verein wird von der Stadt finanziell gefördert, ist steuerlich als gemeinnützig anerkannt und kann auf namhafte örtliche Sponsoren zählen. Gewiss, da gab es beim Stadtfest 2009 eine Auseinandersetzung zwischen türkischen Jugendlichen – sie trugen Fahnen und Symbole der „Grauen Wölfe“ – und einer kurdischen Folkloretanzgruppe. Aber das sei ein Einzelfall, ansonsten habe der Verein über Jahrzehnte unauffällig „gute integrative Arbeit geleistet“, ließ die Stadt verlauten.

Dickes Lob auch vom CDU-Landrat

Eine Theatergruppe, ein Orchester, Sprach- und Nachhilfeunterricht für Jugendliche, ein soziales Projekt zur Integration älterer Türken – das Spektrum der Aktivitäten ist groß. Selbst die Polizei und das Landratsamt kooperieren mit dem vom zuständigen Landesministerium strikt gemiedenen Verein. Beide sind Partner beim Suchtpräventionsprojekt „Schulter an Schulter“, der Landrat oder Polizeibeamte traten schon mal in den Vereinsräumlichkeiten auf. Die Kontakte seien „anlassbezogen und nicht struktureller Natur“, wird das vom Innenministerium gerechtfertigt. Auch das Landratsamt von Lothar Wölfle (CDU) lobt die „hervorragende Integrationsarbeit“; man habe keine Hinweise und auch nicht den Eindruck, dass der Verein „der radikalen Szene zuzurechnen“ sei. Ohne solchen Argwohn sind offenbar auch die Sponsoren; genannt werden neben lokalen Unternehmen die EnBW, Schwäbisch Media oder die Bausparkasse Mainz. Man wisse offiziell nichts von einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz, das wäre auch „nur schwer nachvollziehbar“, sagte der Vereinsvorsitzende Engin Cakmak der StZ. „Mit den Fanatikern von den ,Grauen Wölfen‘ haben wir nichts zu tun“, ließ er sich in der Lokalpresse zitieren.

Der Verein sei auch kein Mitglied des Dachverbandes, sondern kooperiere mit diesem nur bei verschiedenen Projekten – etwa bei der Organisation von Mekkareisen oder der Suche nach Referenten. Für den Verfassungsschutz sind die Verbindungen zur ADÜTDF hingegen „eindeutig“. Auf deren Internetseite seien die Friedrichshafener als Mitgliedsverein im Gebiet („Bölge“) BW2 aufgelistet; dort fänden sich auch Veranstaltungen, die sie im Auftrag des Dachverbands durchführten.

Das Wolfszeichen – „wie der Bundesadler“

Weitere Hinweise auf eine Nähe zu den „Grauen Wölfen“ lässt Cakmak nicht gelten. Vor der Wahl in der Türkei sei ein Funktionär der rechtsnationalen MHP, der Partei der Nationalistischen Bewegung, bei dem Verein aufgetreten? Immerhin gilt der Dachverband als inoffizielle Vertretung der MHP in Deutschland. Schon wahr, bestätigt der Vorsitzende, aber man sei „politisch offen“ und hätte die Räume auch Vertretern anderer türkischer Parteien zur Verfügung gestellt – es kamen nur keine.

Er und seine Mitstreiter zeigten den mit den Fingern der rechten Hand geformten Wolfsgruß, laut Verfassungsschutz ein „Erkennungszeichen“ der „Grauen Wölfe“? Man verwende das uralte türkische Symbol völlig „unpolitisch“, nicht als Ausweis einer bestimmten Richtung, beteuert Cakmak – etwa so wie den bayerischen Löwen oder den Bundesadler. In diesem Sinne sei auch die Fahne mit dem Wolfszeichen im Vereinsheim zu verstehen. Gegen das ZDF, das die Dinge „falsch dargestellt“ habe, wolle man nun juristisch vorgehen. Zu seinem Vereinskollegen Ömer A. will Cakmak nichts Näheres sagen: Über dessen Engagement bei der CDU sei nichts bekannt, „da jedes Mitglied bei uns seine politische Zugehörigkeit frei wählen darf“.

Stadt Friedrichshafen prüft ihre Position

Bei der CDU und der Stadt Friedrichshafen scheint nun aber eine gewisse Nachdenklichkeit einzusetzen. Wenn jemand wirklich zu den „Grauen Wölfen“ gehöre, sei das für ihn unvereinbar mit der Parteimitgliedschaft, sagt der Abgeordnete Lasotta; Ressentiments gegen andere Völker zu schüren passe nicht zu den Werten der CDU. Im Rathaus wird der bisherige Umgang mit dem Verein zwar noch verteidigt: Ganz bewusst habe man den Kurs verfolgt, „im kontinuierlichen Gespräch zu bleiben“ und über die Förderung Einblick in die Aktivitäten zu erhalten; das sei „hilfreicher als ein Abbruch der Beziehungen“. Nach den Diskussionen der vergangenen Wochen werde die Verwaltung das Thema aber „nochmals aufgreifen und in den Gemeinderat einbringen“, sagt eine Sprecherin der Stadt. Das aber erfolge „erst nach der Sommerpause.“