Bis zu 80 Prozent der Krebsfälle könnten verhindert werden, sagt Tumorforscherin Cornelia Ulrich. Sport und gesunde Ernährung beugen vor.

Stuttgart - Es scheint so einfach, die Tipps zu beherzigen, die Cornelia Ulrich den Lesern bei der Leser-Uni mit auf den Heimweg gab: Wer Sport treibt und überdies auf sein Gewicht achtet, nicht raucht und wenig Alkohol trinkt, kann sich vor Krebs schützen. "Statistisch gesehen könnten 50 bis 80 Prozent aller Krebsfälle verhindert werden", erklärte die Präventionsforscherin vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), das zum Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg gehört. Und Krebsleiden treffen viele Menschen: Man kann davon ausgehen, dass heute etwa jeder zweite Mann und jede dritte Frau im Laufe des Lebens an einem Tumor erkrankt.

 

Mittlerweile ist es wissenschaftlich bewiesen, dass der Lebensstil einen Einfluss auf die schweren Erkrankungen hat. Die 43-jährige Wissenschaftlerin, die in Fellbach geboren wurde und lange Zeit in den USA geforscht hat, untersucht seit anderthalb Jahren den Einfluss von Sport und Ernährung auf die Entstehung von Krebs. Dabei forscht sie nicht nur theoretisch, die Ergebnisse kommen am NCT den Kranken direkt zugute. "Hier wird jede Krankengeschichte mit Experten verschiedener Disziplinen durchgesprochen und für den Einzelnen eine individuelle Therapie entwickelt", berichtet Ulrich.

"Krebs ist nicht gleich Krebs"

Zunächst einmal geht es darum, zu verstehen, was sich hinter dem Begriff Krebs verbirgt. "Es handelt sich dabei um Gewebe, das unkontrolliert wächst und aus entarteten Zellen besteht", erklärte Ulrich den mehr als 600 Lesern, die auf den Vaihinger Campus der Uni Stuttgart gekommen waren. Die wuchernden Zellen entgehen den Kontrollmechanismen des Körpers, dringen in benachbarte Organe ein, bilden Metastasen und wachsen wie Unkraut. Dabei werden die normalen Funktionen der Organe gestört und Stoffe, die vom Krebs im fortgeschrittenen Stadium ausgeschieden werden, können dem Körper schaden.

"Dennoch bedeutet Krebs kein Todesurteil", sagte die Krebsforscherin. Derzeit leben, so schätzt man, vier Millionen Menschen mit Krebs. Ulrich machte den Fortschritt an einigen Beispielen deutlich: Vor 50 Jahren starben drei Viertel aller krebskranken Kinder innerhalb von zehn Jahren. Heute überleben drei Viertel der kleinen Patienten. "Es werden alle krebskranken Kinder in wissenschaftlichen Studien aufgenommen und medizinisch versorgt", berichtete Ulrich. Auch beim Brustkrebs sei die Prognose nicht schlecht, auch hier überstehen drei Viertel der Patientinnen die Erkrankung. Beim Brustkrebs zeige sich zudem, dass Krebs nicht gleich Krebs ist. Der hormonell induzierte Krebs, der mit Hilfe von Medikamenten gut behandelt werden könne, unterscheide sich von den anderen Tumoren in der Brust - und damit auch die Therapie. 

Die Darmspiegelung ist unangenehm, aber sehr effektiv

Auch beim Darmkrebs seien Erfolge zu verzeichnen: mehr als 50 Prozent der Fälle könnten geheilt werden. Darmkrebs kann rechtzeitig erkannt und dann häufig erfolgreich behandelt werden. "Und es könnte noch viel besser sein, wenn sich mehr Menschen zu einer Vorsorgeuntersuchung mit Hilfe der Darmspiegelung entscheiden würden", meinte die Wissenschaftlerin. Mit einer Darmspiegelung diagnostizieren Mediziner die Vorstufen eines Tumors und können diese noch während der Untersuchungen entfernen und untersuchen. Damit kann die unangenehme Koloskopie mehr sein als die bloße Untersuchung, weil gleichzeitig die Vorläufer einer möglichen Erkrankung entfernt werden können.

Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum haben nachgewiesen, dass Menschen, die regelmäßig eine Darmspiegelung machen und dabei die Krebsvorstufen entfernen lassen, seltener an Darmkrebs erkranken im Vergleich zu Menschen, die sich nicht untersuchen lassen. Wer keine Krebsvorstufen habe, so Ulrich, müsse auch in den folgenden 15 Jahren nicht damit rechnen.

"Fünfmal am Tag Obst und Gemüse gilt immer noch"

Und schließlich gab die Forscherin, die Ernährungswissenschaften studiert hat, die von den Lesern interessiert verfolgten Tipps, wie es erst gar nicht dazu kommt, dass sich ein Tumor bildet. Oft werde sie gefragt, ob es eine Antikrebsdiät gebe. Dem sei nicht so. Doch wer einige Regeln beachte, könne seinem Körper viel Gutes tun: Ulrich rät zu einer ausgewogenen vollwertigen Kost mit einem hohen Anteil an pflanzlichen Lebensmittel. Die Regel "fünfmal am Tag eine Handvoll Gemüse und Obst", gelte heute noch. Allerdings sollte man darauf achten, dass es sich um lokale Produkte handele - der Apfel aus Neuseeland enthalte sehr viel weniger Inhaltsstoffe im Vergleich zu seinem hiesigen Verwandten. Nahrungsergänzungsmittel oder Vitaminpillen nützen nichts, mit Ausnahme vielleicht von Kalzium. Wer Fleisch essen möchte, sollte dieses besser garen als grillen oder braten.

Außerdem sollte man nicht übermäßig schlemmen, denn wer dick ist, erkrankt auch leichter an Krebs. Auch Sport hilft - Bewegungsmangel wird für 15 Prozent der allgemeinen Krebsrate verantwortlich gemacht. Die Expertin rät daher, sich fünfmal in der Woche ordentlich zu bewegen oder Sport zu treiben. Wer dabei ins Schwitzen gerät, macht nichts falsch. Und selbstredend ist der Verzicht auf Zigaretten wichtig.

Die Leser-Uni geht auch in diesem Jahr weiter

Fortsetzung Die bekannte und beliebte Vortragsreihe der Wissenschaftsredaktion der Stuttgarter Zeitung mit Forschern aus Baden-Württemberg wird noch einmal fortgesetzt. Unterstützt wird die Leser-Uni von der Stuttgarter Robert Bosch Stiftung sowie den beiden Universitäten Hohenheim und Stuttgart.

Vorträge Auch bei der nächsten Veranstaltung sind wie gehabt zwei Vorträge geplant. Damit wollen wir den Lesern den direkten Kontakt zu renommierten Wissenschaftlern aus Baden-Württemberg ermöglichen. Zudem sollen die Forschung und ihre führenden Köpfe im Land bekannter und verständlich gemacht werden.

Idee Die Leser-Uni wird von der Wissenschaftsredaktion organisiert. Die Premiere fand im November 2006 anlässlich des zwanzigjährigen Bestehens der Wissenschaftsredaktion statt. Am Ende der Vorträge können die Leser regelmäßig bei einem Umtrunk mit Referenten und Redakteuren plaudern.