Das Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart zeigt in seiner bis 16. März laufenden Ausstellung aktuelle Kunst aus Tunesien. Dabei wird auch das Unbehagen gegenüber der in dem Land ablaufenden Islamisierung deutlich.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Künstler müsste man sein. Dann könnte man sich um irgendein Projekt oder Stipendium im Ausland bewerben und der Heimat Adieu sagen. „Mach, was du willst“, behauptet der Künstler Ali, „wenn andere sagen, es ist Kunst, dann ist es Kunst.“ Also prügelt Oussema, der eigentlich Gemüsehändler ist, seine Frau, macht Fotos von ihr und ihren blauen Flecken und legt die Fotografien einer internationalen Kunstexpertin vor. Und tatsächlich: sie ist begeistert.

 

Künstler müsste man also sein. Aber der tunesische Gemüsehändler, dessen Waren von der Polizei konfisziert wurden, weil er keine Genehmigung für den Verkauf hatte, sah nur einen Ausweg aus seinem Elend: Er verbrannte sich selbst und starb schließlich an seinen schweren Verletzungen. Die Solidaritätskundgebungen, die im ganzen Land losbrachen, markieren den Beginn der tunesischen Revolution vor zwei Jahren.

In Tunesien zeichnet sich eine Islamisierung ab

Inzwischen hat sich viel in dem Land verändert – auch für die Künstlerinnen und Künstler. Seit der Revolution interessiere man sich plötzlich auch im Ausland für sie, sagt Patricia K. Triki mit kritischem Unterton. Da auch das Institut für Auslandsbeziehungen in Berlin mehr über die aktuelle Kunst aus Tunesien wissen wollte, hat die Künstlerin Triki gemeinsam mit der Kuratorin Christine Bruckbauer eine Ausstellung konzipiert, die nun in der Ifa-Galerie am Charlottenplatz Station macht. Ein wenig Skrupel hatten die beiden Frauen bei dem Projekt „Rosige Zukunft“ aber durchaus. Warum man eigentlich nur Interesse an der Kunst habe, so merkt Christine Bruckbauer kritisch an, wenn sie politisch Stellung bezieht?

Aber die Künstlerinnen und Künstler, deren Videos, Fotografien, Objekte und Raumarbeiten nun im Ifa ausgestellt werden, sind dezidiert politisch und sehen ihre Aufgabe darin, die aktuelle Situation in ihrer Heimat zu kommentieren, die Vergangenheit des Landes aufzuarbeiten oder die jüngsten Entwicklungen zu bilanzieren. Um die Freiheit der Frau scheint es dabei nicht allzu gut zu stehen, wie Mouna Jemal Sialas Video „Le Sort“ vermuten lässt. Sie zeigt eine junge, hübsche Frau, auf deren Gesicht die verschiedenen Verschleierungen aufgemalt werden. Denn während im alten Regime Schleier verboten waren, zeichnet sich auch in Tunesien seit einiger Zeit eine starke Islamisierung ab. Es sind gerade die junge Frauen, die das Recht einfordern, den Niqab tragen zu dürfen, einen Ganzkörperschleier, der nur die Augen freilässt.

Künstler genießen Privilegien

Mohamed Ben Soltane geht noch einmal zurück an den Beginn der Revolution und hat einen Comic über eben jenen Gemüsehändler gezeichnet, der sich in seiner Geschichte nicht umbringt, sondern als Künstler versucht, um im Ausland ein besseres Leben beginnen zu können. Der Künstler will damit auf die Ungerechtigkeit hinweisen, dass Künstler mitunter Privilegien genießen, während der armen Bevölkerung nicht geholfen wird. Aber Soltane macht auch unmissverständlich klar, wie wenig er vom internationalen Kunstbetrieb hält, der nach „contemporary art“ giert und sich für die abstrusesten Projekte begeistern kann. In seinem Comic geht die Rechnung des Gemüsehändlers allerdings auch nicht auf: Er bekommt für die Prügelfotos nicht etwa ein Visum für Europa, sondern soll im Sudan bei einem Frauen-Schutz-Programm mitarbeiten. Künstler werden eben auch gern mal für kunstferne Zwecke missbraucht, so die zynische Botschaft Ben Soltanes.

Die Arbeiten in der Ausstellung greifen häufig auf markante Symbole zurück. Die tunesische Flagge war seit der Unabhängigkeit Tunesiens 1956 ein Symbol der Freiheit. Moufida Fedhila hat aus ihr nun Mond und Sterne herausgeschnitten – als Zeichen dafür, dass Tunesien derzeit nicht weiß, wofür es steht. Hela Lamine hat dagegen das Porträt des Ex-Präsidenten Ben Ali mit Brotteig nachgeformt, der nun vor sich hinschimmelt. Rania Werda geht noch drastischer mit Ben Ali und der ehemaligen Regierungsparte um: Ihre Zeichnung „Pisse de R²“ zeigt einen Mann, der auf die lila Farbe, das Symbol der RDC-Partei, demonstrativ pisst.

Immer wieder tauchen in der Ausstellung Symbole auf, wobei man manchmal in ihnen mehr sehen mag als die Künstler selbst intendiert haben. So werden die Besucher im Ifa begrüßt von einem brodelnden Dampfkochtopf, aus dem alle paar Minuten heißer Dampf zischt. Ein signifikantes Bild für die hochexplosive Situation in Tunesien, könnte man meinen. Aber Halim Karabibene will mit der Arbeit daran erinnern, dass es in Tunesien immer noch kein Museum für aktuelle Kunst gibt. Deshalb hat er auch Berliner Kulturschaffende gebeten, mit dem Dampfkochtopf auf dem Kopf für die Kamera zu posieren – als eine Art Armee, die friedlich für die Schaffung eines neuen Museums eintritt.