Ein bisschen wie im Kinofilm „The Fast and the Furious“: Freitagnachts wird ein Stuttgarter Parkhaus zum Treffpunkt für Tuningfreunde. Das ist weder richtig verboten, noch total legal.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Ein gedämpftes Raunen geht durch die Reihen auf Parkdeck 6b. Die Polizei ist da. „Jetzt schicken sie uns heim“, sagt Harun G. Dieses Mal irrt der 24-Jährige. Der Streifenwagen dreht seine Runden, dann fährt er wieder davon. Die Besitzer der mehr als 250 aufgemotzten Kisten nehmen das zur Kenntnis. „Glück gehabt“, sagt Harun. „Sie haben den Treff aber auch manchmal schon aufgelöst.“

 

Die Polizeistreife ist in dieser Nacht hinter den Kulissen der Großstadt gewesen. Irgendwo am Kesselrand treffen sich am Freitagabend coole Männer mit ihren heißen Kisten – auch ein paar Damen sitzen am Steuer. Sie kurven durch die leeren Parkdecks hinauf bis zum Treffpunkt, der im sechsten Stock anfängt und sich bis in den siebten ausbreitet, an guten Abenden. Dann wird das Fahrzeug zum Stehzeug für den Rest der Nacht. Die Jungs und Mädchen hören Musik, die aus dem Kofferraum basslastig wummert, schauen, schwätzen.

Markenneutral und tolerant geht es zu

„Hier ist jeder willkommen. Wir sind markenneutral und tolerant“, sagt Sascha I., einer der Pioniere, die das Parkdeck entdeckten. An einer Tankstelle fing alles an. „Wir waren immer bei Aral, als es da zu eng wurde, sind wir umgezogen zu Shell.“ Schnell war auch dort zu wenig Platz, und die Jungs landeten im leeren Parkhaus. „Wir stören hier doch keinen“, sagen sie. Wie Sascha haben die meisten von ihnen auch beruflich mit Autos zu tun: Der 23-Jährige ist Industriemechaniker, „beim Daimler“ schafft er, einen Audi A3 fährt er.

Rechtlich bewegen sie sich in einer Grauzone, die niemand so richtig definieren kann. „Wir hatten keinen Grund einzuschreiten“, sagt der Polizeisprecher Olef Petersen. Es gibt keine Berichte über Ruhestörungen. Angeblich, so erzählen die Jungs, soll irgendwo ein Hausmeister wohnen, den sie stören könnten. „Aber er scheint uns bisher noch nicht bemerkt zu haben“, sagt Paco M., mit seinen 32 der „Opa“ unter den stolzen Autobesitzern.

Hätte jemand die Jungs bemerkt und sich daran gestört, so wäre die Beschwerde an die Stadt gegangen. Der gehört nämlich das Parkhaus. Wie bei der Polizei ist der Treff auch bei der Stadtverwaltung bekannt. „Wir haben ein Auge darauf“, sagt Herrmann Karpf, der Referent des Ordnungsbürgermeisters. „Noch gibt es keine Vorfälle und Beschwerden“, fügt er hinzu. Und das, obwohl die Tuningfreunde berichten, dass sie seit Oktober immer wieder auf dem Parkdeck stehen mit ihren Autos. „Es hat sich langsam so aufgebaut. Erst waren wir nur ein paar, dann wurden es immer mehr“, berichtet Sascha. Einmal waren stolze Fahrzeugbesitzer aus der Augsburger Tuningszene zu Gast. „Das hätten Sie mal sehen sollen, da waren gleich mehrere Stockwerke voll“, erzählen die Stuttgarter.

Die Autofreaks haben die Polizei angeschrieben

Dass die Behörden Bescheid wissen, dafür haben die Jungs selbst gesorgt – mit bester Absicht, wie sie beteuern. „Wir haben immer wieder gelesen, dass die Polizei Stress hat mit den Rasern an der Theo“, sagt der 23-jährige Sascha. „Da dachten wir, es wäre doch besser, wenn alle zu uns kommen, statt an der Theo zu stressen.“ Weil für die Tuning-Szene an der Theodor-Heuss-Straße die Verkehrspolizei zuständig ist, habe er dort angerufen, und dann eine Mail an den zuständigen Beamten geschrieben. „Ich glaube, die Mail wurde danach in der ganzen Stuttgarter Polizei rumgeschickt“, fügt Sascha hinzu. Die Polizei habe wohl nicht glauben können, dass die jungen Männer es ernst meinen mit ihrem Ansinnen. Auch im Rathaus haben sie ihr Glück versucht. Ein Gespräch habe es gegeben. Seither wissen die Jungs, dass das, was sich in der Stille der Freitagnacht abspielt, besser keine Veranstaltung sein sollte, zu der sie einladen – dafür bräuchten sie eine Genehmigung. Was auf den grauen Zwischendecks geschieht, muss Zufall sein, „sonst haben wir ein Problem“, weiß Sascha. Und Stress will er nicht, will keiner hier auf Deck 6b.

Sie wollen die Raser von der Theodor-Heuss-Straße holen

„Wir würden es ja gern legalisieren“, fügt der 23-Jährige hinzu. Entweder auf dem Parkdeck, das sie für ihre Treffs ausgewählt haben, oder sonst irgendwo, „zum Beispiel auf einem Firmengelände“. Allerdings könne kein Parkplatz mit dem Parkhaus mithalten, schon allein wegen der Wetterunabhängigkeit. „Wenn es zweimal regnet, kommt doch keiner mehr am nächsten Wochenende“, prognostiziert Sascha für ein Treffen im Freien. Eine Anfrage ans Tiefbauamt hat er gestellt, ob sie in dem Parkhaus, das keine Schranke an der Einfahrt hat, bleiben dürfen. „Ich warte immer noch auf die Antwort“, fügt er hinzu. Ein Argument, warum man den Treff legalisieren sollte, hat er auch parat: „Wenn all die Autos sonst in der Stadt wären, auf der Theo, das hat doch keiner unter Kontrolle.“

Auch wenn Sascha, Paco und Harun sich die Werbung für ihren Treff, der wegen des ursprünglichen Anlaufpunkts „Aral Treff Stuttgart“ heißt, verkneifen, spricht sich herum, wo man am Freitagabend sein muss. Martin Kerl aus Zell am Aichelberg hat davon gehört, „über Kumpels und auf Facebook“. Mit seinem Seat Leon Cupra ist der 30-Jährige gekommen, ein Wagen, den die Freundin besser nicht fährt. „Sie kriegt den Zweitwagen, einen Polo“, sagt der stolze Besitzer des Sportwagens, den er mit Sprühfolie in Candygelb hat überziehen lassen. Sein Kumpel Jörg Kopf hat seinen restaurierten Opel Rekord im 70er-Jahre-Gelb daneben gestellt. So Ton in Ton geht es sonst nicht zu. Manche Farben schmerzen in den Augen, knallpinkfarbene oder neongrüne Felgen sind dafür zuständig. Drei Parkreihen weiter chillt die 18-jährige Limila, mit einem schwarzen Motorrad Honda CBR 600 ist sie da. Wie die Herren aus Aichelberg kennt sie den Treffpunkt vom Hörensagen. „Mal schauen“, sagt die junge Frau, deren schwarze Maschine der Schriftzug „Racingqueen“ ziert. Wie alle hat auch sie eine Dose Energiegetränk in der Hand. „Alkohol trinkt hier keiner“, versichert Sascha hoch und heilig. Wenn die Dosen liegenbleiben, ist das auch kein Problem. Mit einer Handkehrmaschine kommen Sascha und seien Kumpels am Sonntag und machen klar Schiff, erzählt Harun. „Danach ist alles tipptop.“ Schließlich wollen sie wiederkommen dürfen.