Begleitet von Protesten und 500 Polizisten wird die Tunnelbohrmaschine zur Baustelle am Fasanenhof gebracht. Eine Reportage aus einer Nacht, die mehr oder weniger planmäßig verläuft – und Eindrücke vom Morgen danach.

Stuttgart - Die Spuren der Nacht sind am Morgen danach fast schon verwischt. Lediglich ein paar Halteverbotsschilder am Straßenrand zeugen noch von dem Schauspiel, das im Vorfeld so große Aufregung verursacht hatte, das dann aber vergleichsweise reibungslos über die Bühne gegangen ist. Die Ampelmasten, die teilweise auf der Fahrtroute zwischen dem Stuttgarter Hafen und dem Fasanenhof abmontiert werden mussten, um Platz für den Koloss aus der Ortenau zu schaffen, stehen wieder an ihrem Platz. Die Verkehrskreisel sind geräumt von Absperrgittern und Abdeckungen. Und auch von den Protestplakaten und Transparenten der Stuttgart-21-Gegner, die versucht hatten, sich dem Schwertransport in den Weg zu stellen, ist längst nichts mehr zu sehen.

 

Der Hauptdarsteller der Nacht ruht unterdessen sorgfältig eingeschnürt unter einer asterblauen Plane, während sich nebenan auf der A 8 der Berufsverkehr langsam zur nächsten Ausfahrt staut. 170 Tonnen schwer ist das Hauptlager der Tunnelbohrmaschine, das in der Nacht auf Freitag vom Stuttgarter Schwertransportspezialisten Paule aus dem Talkessel hoch auf die Filder gebracht wurde. Eine achtstündige Millimeterarbeit.

Das Herzstück der Herrenknecht-Maschine

Nun steht das Herzstück der Herrenknecht-Maschine an ihrem Bestimmungsort, auf der Baustelle der Bahn am Tunnelportal im Stuttgarter Gewerbegebiet Fasanenhof. Vom Sommer nächsten Jahres an soll sie sich für den Bau des knapp zehn Kilometer langen Fildertunnels durch den Berg Richtung Hauptbahnhof bohren. Ein weiteres wichtiges Stück im vielteiligen Puzzle namens Stuttgart 21. Der Transport sei reibungslos ans Ziel gekommen, freut sich Projektsprecher Wolfgang Dietrich. „Wir danken für die Geduld mancher Autofahrer und freuen uns, dass die Zahl an interessierten Zuschauern die Zahl von Demonstranten an vielen Stellen weit überschritten hat.“

Während am Morgen danach nur noch wenig von der mühseligen Reise des Hauptlagers der Tunnelbohrmaschine vom Stuttgarter Hafen zum Fasanenhof zeugt, sieht es am Freitag um kurz nach Mitternacht ganz anders aus. Durch den Nebel quält sich der Schwerlasttransport im Schritttempo die Abfahrt von der B 27 hoch, er ist in ein gespenstisches Blaulicht getaucht, wird von großen Plakaten von Stuttgart-21-Gegnern gesäumt. Der letzte Kilometer gehört zu den kniffligsten Abschnitten des Transports. Verkehrsschilder an einem Kreisverkehr müssen entfernt und Verkehrsinseln mit Brettern präpariert werden, damit der Konvoi durchkommt.

Tatsächlich scheinen eher die beengten Straßenverhältnisse den Transport zu verlangsamen als die rund 120 Stuttgart-21-Gegner, die am unteren Ende der Schelmenwasenstraße zum Protest zusammengekommen sind. „Baustopp selber machen“ steht auf einem der großen Transparente. Und so wollen rund 90 von ihnen die Baustelleneinfahrt mit einer Sitzblockade behindern. Zu dieser Zeit steht der Schwertransport noch 900 Meter und etwas mehr als eine Stunde entfernt an einem Kreisverkehr. Die Beamten tragen elf Demonstranten weg. Die anderen S-21-Gegner lassen sich unter Murren hinter die Absperrungen führen.

Vekehrsschilder werden abmontiert

Mit Trommelrhythmen und dicken Decken trotzen einige Gegner der Eiseskälte. Sie harren am Fasanenhof aus, bis der Bohrerkoloss gegen zwei Uhr morgens an der Baustelleneinfahrt ankommt. Als der Schwertransport an einem Verkehrsschild entlangschrammt, ist das Gejohle und die Schadenfreude groß. Zermürbend langsam geht es die letzten Meter bis zum Ziel. Der Auflieger muss noch einmal umgekoppelt werden: Die erste Zugmaschine fährt mit dem Anhänger ein Stück an der Baustelleneinfahrt vorbei, dann wird die zweite Zugmaschine hinten angehängt und zirkelt das Hauptlager Meter für Meter um die enge Kurve. Die Streckensicherung ist gefragt, ein letztes Verkehrsschild muss abmontiert und Betonblöcke müssen mit großem Gerät entfernt werden. Um 2.45 Uhr ist der nächtliche Spuk schließlich vorbei.

Der Zeitplan der Experten geht trotz Schwierigkeiten auf

Es wird eine Punktlandung. Denn mit acht bis zehn Stunden Transportdauer für die Tunnelbohrmaschine haben die Experten gerechnet. Ihre Kalkulation geht auf – wie ein Rückblick auf den Zeitplan zeigt. Um 19.01 Uhr rollen die ersten Fahrzeuge vom Hof der Firma Scholpp am Mittelkai, wo das Schwergewicht auf sein mobiles Nachtlager gesetzt wurde – es ist 40 Meter lang und hat 20 Achsen. Hier spielt sich auch eine unschöne Szene des Protests ab. Einige Demonstranten versuchen beim Start die Polizeiabsperrung zu durchbrechen, um sich dem Konvoi in den Weg zu stellen. Die Beamten drängen sie wieder zurück, auch mit Schlagstöcken.

Ein kurzes stürmisches Aufbrausen vor der Ruhe, die den weiteren Ablauf des Transports bestimmen wird. Ziemlich genervte Autofahrer stehen von Bad Cannstatt bis Hedelfingen im Stau, weil für den blau blinkenden Lindwurm die Bundesstraße 10 bis zur Abfahrt Esslingen-Weil gesperrt wird. 500 Meter lang ist die Karawane, 500 Polizisten begleiten sie. Einsatzfahrzeuge, Materialwagen, ja sogar ein Schneepflug und ein Streufahrzeug setzen sich zügig in Bewegung.

Ein Problem mit den Abdeckungen

Gleich am Anfang sieht es schlecht aus für den Zeitplan: Schon kurz nach der Abfahrt von der Bundesstraße erfahren die Beteiligten über Funk, dass es Schwierigkeiten gibt. Die Holzbohlen und Bretter, mit denen entlang der Strecke Verkehrsinseln abgedeckt werden, um die Reifen des Transports vor den scharfen Bordsteinkanten zu schützen, sinken trotz frostiger Temperaturen im Boden ein. Doch das Problem lässt sich lösen.

Der Tross windet sich auf die Filder hinauf, auch das Rangieren in den Kurven klappt. Nach zwei Stunden erreicht er Scharnhausen, wo mehr neugierige Passanten als S-21-Gegner am Straßenrand stehen bleiben. Sie rätseln. Warum werfen Bauarbeiter von der Polizei abgesichert Bretter auf die Straße? Was ist das für ein Koloss, der sich unter der S-Bahn-Brücke hindurchschiebt? „Das sieht aus wie eine Turbine, das kommt bestimmt zum Flughafen“, mutmaßt ein Junge. Ein Kumpel widerspricht: „Das ist was für Stuttgart 21.“

Die Frau des Brummifahrers verfolgt alles im StZ-Liveticker

Statt draußen zu frieren, verfolgt Inge Eckstein über den StZ-Liveticker im Internet die Geschehnisse rund um den Transport. Die 61-Jährige schaut genau hin, so detailliert erfährt sie selten, was ihr Mann gerade macht und wohin er unterwegs ist. Manfred Eckstein ist Brummifahrer, er sitzt in dieser Nacht am Steuer der vorderen Zugmaschine. „Es ist schon was anderes, wenn er für Stuttgart 21 etwas transportiert“, sagt Inge Eckstein und freut sich über die Livebilder.

Zufrieden mit der Nacht sind auch die Parkschützer – selbst wenn die Blockade den Transport nicht verzögert hat. „Wir haben ein klares Zeichen gesetzt“, sagt Karl Braig, Sprecher der Blockadegruppe. „Wir werden immer wieder da sein.“