Wenn der Bahnchef Rüdiger Grube am Freitagnachmittag den Stuttgart-21-Tunnel nach Bad Cannstatt tauft, fehlen prominente Grünen-Politiker aus Stadt und Land. Und das ist nur ein Ausweis für das einmal wieder schwer belastete Verhältnis der Projektpartner.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Bisweilen beantwortet eine schlichte Namensliste viele Fragen. Wer zum Beispiel wissen will, wie es um das Verhältnis zwischen den Stuttgart-21-Projektpartnern Bahn, Land, Stadt Stuttgart und Verband Region Stuttgart bestellt ist, dem sei ein Blick auf die Hitparade der Redner empfohlen, die heute Nachmittag den neuen S-21-Tunnel nach Bad Cannstatt taufen. Auf Platz eins: „Dr. Rüdiger Grube – Vorsitzender des Vorstandes, Deutsche Bahn AG“. Rang zwei: „Ministerialdirigent Elmar Steinbacher – Abteilungsleiter Verkehr, Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg“. Es folgen der Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) und Essimari Kairisto, Mitglied des Vorstands der Baufirma Hochtief. Der Verband Region Stuttgart ist mit Simone Herrmann vertreten. Die Gattin des Regionalpräsidenten Thomas Bopp (CDU) ist die Patin des Tunnels.

 

Dass prominente Grünen-Politiker aus Stadt und Land fehlen, während Bahnchef Rüdiger Grube eigens aus Berlin ins ungeliebte S-21-Gebiet reist, hat offiziell ganz einfache Gründe. Oberbürgermeister Fritz Kuhn sitzt, lange geplant, just zur fraglichen Zeit mit EnBW-Chef Frank Mastiaux und dem Geschäftsführer der Stuttgarter Stadtwerke, Michael Maxelon, zusammen, um über die Zukunft der Strom- und Gasnetze in Stuttgart zu beraten. Auch im Verkehrsministerium begründet man die Absenz der Hausspitze mit vollen Terminkalendern: Die Anfrage der Bahn sei erst Ende Februar eingegangen; da hätten Minister Winfried Hermann und Staatssekretärin Gisela Splett bereits anderweitige Verpflichtungen gehabt.

Gegen die Nummer drei in der Hierarchie, den Amtschef Hartmut Bäumer, soll dem Vernehmen nach das Staatsministerium interveniert haben. Der extrem S-21-kritisch eingestellte Ministerialdirektor, der Ende März in den Ruhestand geht, sei Bahn-Chef Grube nicht zuzumuten – und umgekehrt. Nach einer weiteren Schleife über das SPD-geführte Finanzministerium, dessen Staatssekretär Ingo Rust im Auftrag der Genossen Stuttgart 21 bearbeitet, die Tunneltaufe aber trotzdem nicht für seine Sache hält, landete die Einladung wieder im Verkehrsministerium – und bei Abteilungsleiter Elmar Steinbacher. Er sei der einzige, der Zeit habe, heißt es im Hause Hermann.

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Freilich dürfte es niemanden bei der Bahn geben, der nicht gerne mit dem Ministerialdirigenten auf den neuen Simone-Tunnel anstößt. Zum einen hat Steinbacher das Verkehrsministerium schon vor drei Monaten bei der ersten S-21-Tunneltaufe auf Stuttgarter Markung vertreten. Zum anderen heißt es allenthalben, dass die Zusammenarbeit auf der sachlichen Ebene zwischen den Projektpartnern ordentlich funktioniere.

An der Spitze herrscht dagegen Eiszeit – mal wieder. Während OB Kuhn eine Attacke des bahnfreundlichen SPD-Fraktionschefs Claus Schmiedel (Kuhn sei ein „Angsthase“, weil er das durch S 21 frei werdende Rosensteinviertel nicht mit Verve entwickle) locker pariert („Schmiedel täte besser daran, sich um seine Steuerangelegenheiten zu kümmern, als ausgerechnet den OB über den richtigen Zeitpunkt von Planungen zu belehren“), haben Bahn und Land schwerer wiegende Probleme zu erörtern. Am 1. April soll das erste Sondierungsgespräch der Partner über die Verteilung der Mehrkosten stattfinden. Dabei geht es um zwei Milliarden Euro.

Das lange Warten auf die Veröffentlichung des Gutachtens

Doch damit nicht genug. Nach wie vor wirft S-21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich Minister Hermann vor, dieser habe ein von ihm selbst in Auftrag gegebenes Gutachten, das die Personenstromanalyse der Bahn überprüfen sollte, unter Verschluss gehalten (die StZ berichtete). Dies sei umso ärgerlicher, als die Expertise Dietrichs Ansicht nach jene Einschätzung der Bahn stütze, für die sie von den Projektgegnern massiv gescholten worden sei (siehe unteren Text).

Diese Kritik sei absurd, kontert Hermann und verweist darauf, dass die Bahn früh in das Verfahren eingebunden gewesen sei. Mehr noch: entgegen „ihrer Ankündigung zur Transparenz“ halte sie ihre eigene, aktualisierte Personenstromanalyse des Tiefbahnhofs zurück, wettert der Grünen-Politiker – und auf den ersten Blick scheint es, als gebe ihm ausgerechnet ein Schreiben der Bahn recht.

Zwei Versionen der Geschichte

Tatsächlich kündigten die beiden Geschäftsführer der bahneigenen Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH, Manfred Leger und Peter Sturm, in einem Brief vom 17. Februar 2014 an, dass sie „in den vergangenen Monaten zusammen mit unseren Kollegen von DB Station und Service zum wiederholten Mal eine Analyse der Personenströme vorgenommen“ hätten. Dieses Ergebnis werde man in der nächsten Sitzung eines mit Experten von Bahn und Land bestückten Arbeitskreises vorstellen. Dies sei bis heute nicht geschehen, schimpft Hermann.

Wolfgang Dietrich hat eine andere Version der Geschichte. Eine neue Personenstromanalyse, in der etwa die Fluchttreppenhäuser für den Brandfall berücksichtigt seien, gebe es gar nicht, behauptet der S-21-Projektsprecher. Zwar habe eine „Überprüfung der Personenströme unter Berücksichtigung der Fluchtwegtreppenhäuser sowie der erforderlichen Warteflächen“ stattgefunden. Die Ergebnisse daraus würden allerdings in das neue Brandschutzgutachten zum Tiefbahnhof eingearbeitet. Das gesamte Brandschutzkonzept wolle die Bahn zusammen mit der Feuerwehr im April im Technikausschuss des Stuttgarter Gemeinderats präsentieren.

S-21-Sprecher: das Ministerium hat nicht Wort gehalten

Das Schreiben von Leger und Sturm an Minister Hermann habe wiederum einen ganz anderen Hintergrund. Darin gehe es in der Tat um das vom Ministerium bestellte Gutachten der Planungsfirma PTV, mit dem die Bahn kontrolliert werden sollte. Dietrich sagt, dass die Bahn zwar im Oktober 2013 von der Studie des Ministeriums informiert und um Stellungnahme gebeten worden sei. Als die Herren Leger und Sturm aber am 17. Februar den besagten Brief an den Verkehrsminister formulierten, habe ihnen die Endfassung des Gutachtens noch gar nicht vorgelegen. Deshalb hätten sie dem Ministerium vorgeschlagen, dass im Expertenkreis „das Gutachten des Landes (Stand 10/2013) sowie die dazu gelaufenen Analysen und Kommentierungen der Bahn in ihrer Gesamtheit vorgestellt und besprochen werden“.

Zwei Tage später, am 19. Februar, sei als Antwort die auf Dezember 2013 datierte Endfassung des Gutachtens eingegangen – mit dem Hinweis, dass die Ergebnisse derselben „in der nächsten Woche“ veröffentlicht werden sollten. Deswegen sei der Tagesordnungspunkt „PTV-Gutachten“ bei der Expertensitzung am 20. Februar nicht aufgerufen worden. Stattdessen habe man darauf vertraut, dass das Ministerium Wort halte und die Untersuchung veröffentliche – vergebens.

Die Ministerialen verweisen dagegen auf „Dutzende von Fällen, wo wir als Projektpartner nicht die notwendigen Informationen der Bahn erhalten haben“. Trotzdem sei das Verhältnis zu dem Staatskonzern im Großen und Ganzen in Ordnung. Man habe ja noch andere Themen zu besprechen, nicht nur Stuttgart 21. Und auch manches zu feiern. Bei der Bahn freut man sich jedenfalls, dass der Minister bald zur Einweihung des modernisierten Bahnhofs nach Schwäbisch Gmünd reist. „Ja, das ist geplant“, bestätigt ein Ministeriumssprecher.