Im Fernsehduell begegnen sich die beiden Spitzenkandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten Martin Schulz und Jean-Claude Juncker auf Augenhöhe und dokumentieren, dass es ihnen schwer fällt, sich zu unterscheiden.

Stuttgart - Jean-Claude Juncker nutzt gleich die erste Chance, seinen Charme spielen zu lassen. Diesen verschmitzten, jungenhaften Humor, der ihn jünger wirken lässt, als er tatsächlich ist, und der ihm, den ausgebufften Politiker, so manche verschlossene Tür geöffnet hat. Das ZDF hat ein Filmchen eingespielt, in dem er 60 Jahre alt gemacht wird. Juncker spielt den Empörten. „Ich will einwenden, dass hier gesagt wird, ich sei 60 Jahre, ich bin 59 Jahre“. Da lachen die Gäste im Hauptstadtstudio des ZDF, in dem das erste große TV-Duell zwischen dem ehemaligen Luxemburger Ministerpräsidenten und Euro-Gruppenchef Juncker und dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, ausgetragen wird. Die beiden sind von ihren Parteienfamilien, den größten in Europa, als Spitzenkandidaten aufgestellt worden. Juncker von der konservativen Europäischen Volkspartei, der deutsche Sozialdemokrat Schulz von den Sozialisten. Sie buhlen bei den Europawahlen um das Amt des Kommissionspräsidenten. Das macht dieses Duell, organisiert von ZDF und dem österreichischen Sender ORF, zur Premiere. Neu dabei ist auch die Art, in der die Fragen an die Kandidaten herangetragen werden. Über Twitter und Facebook, E-Mail oder live im Studio können Zuschauer versuchen, Antworten zu erlangen. Das lockert die Duell-Routine auf, ist ein gelungenes Experiment, zur Nachahmung empfohlen.

 

Juncker erwischt den besseren Start. Schulz, der im kleinen Kreis witzig und kumpelig auftreten kann, wirkt steif, lässt sich schnell reizen, greift Juncker an, bezeichnet ihn als Mann der dunklen Hinterzimmer, der als Regierungschef mit den Mächtigen Europas hinter verschlossenen Türen verhandelt und dann seinen Untertanen die Ergebnisse verkündet habe. Juncker lächelt verschmitzt und kontert: „Ich habe Martin Schulz hinter verschlossenen Türen kennengelernt“. Soll heißen: Schulz solle nicht so tun, als habe er kein Talent für Kungelrunden. Auch hier sammelt Juncker Sympathiepunkte.

Die Auffassungen der beiden ähneln sich

Schulz setzt auf vergleichsweise klare Aussagen, versucht Juncker zu stellen, der gern blumig spricht, aber oft ungenau bleibt. Große Differenzen sind dabei aber nicht zu erkennen. Juncker hat damit kein Problem: „Ich verstehe Wahlkampf nicht als das Organisieren von Massenschlägereien ohne Grund.“ Türkeibeitritt? Im Prinzip schon, deshalb führe man ja Verhandlungen, aber im Moment sei das Land nicht beitrittsreif. Keine Erweiterungsrunden in den nächsten fünf Jahren. Freihandelsabkommen mit den USA? Ja, aber nicht zu jedem Preis. Europaweite Mindeststeuersätze für Unternehmen wollen beide. Schulz setzt sich ab, indem er mehr Transparenz fordert und sein Hauptaugenmerk darauf richtet, die Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Juncker stellt solides Wachstum und gesunde Staatsfinanzen in den Mittelpunkt seiner Argumentation. Aber das war es dann auch schon an Differenzen.

Kein Wunder, dass ZDF-Chefredakteur Peter Frey einmal fast schon flehend sagt: „Wir würden gern heraus arbeiten, wo sie nicht beieinander liegen“. Klar wird in der Sendung deshalb vor allem eins: Schulz und Juncker sind politische Schwergewichte, die sich häufig eher im Auftritt unterscheiden, als in den Auffassungen, kenntnisreich in europäischen Fragen sind und gewillt, sich durchzusetzen. Der eine, Schulz, eher polternd und energisch, der andere, Juncker, eher elegant und verschmitzt. Der Zuschauer bekommt im Verlauf der Sendung ein Gespür dafür, weshalb die im Europäischen Rat organisierten Regierungschefs womöglich gar kein Interesse haben, einen von beiden als Kommissionschef vorzuschlagen. Denn ein starker Kommissionspräsident würde ihnen das Geschäft erschweren. Weshalb die Gerüchte nicht verstimmen, dass ein anderer Kandidat vorgeschlagen werden könnte, obwohl der Lissaboner Vertrag vorsieht, dass das am 25. Mai zu wählende Parlament das letzte Wort hat.

Auch in dieser Frage sind sich Schulz und Juncker einig. Sollten die Regierungschefs das versuchen, so Schulz, dann wäre dies „ein Anschlag auf die europäische Demokratie“. Juncker verweist darauf, dass auch Angela Merkel die Europäischen Verträge unterschrieben hat und dass er auf die Vertragstreue der Kanzlerin und der anderen Regierungschefs setze. Andernfalls würden bei der folgenden Europawahl noch weniger Menschen zur Wahl gehen.