In der wunderbar gespielten Liebesgeschichte mit Gisela Schneeberger und Erwin Steinhauer lässt ein Mann für seine demente Frau die Siebziger auferstehen („Für Dich dreh ich die Zeit zurück“).

Stuttgart - Musik ist der beste Jungbrennen: Ein Song genügt, und schon ist die Jugend wieder präsent. Nach dieser Methode funktioniert auch die wunderbar gespielte Seniorenkomödie „Für dich dreh ich die Zeit zurück“. Weil die an Alzheimer erkrankte Ehefrau Erika (Gisela Schneeberger) mehr oder weniger in der Vergangenheit lebt, lässt der Wiener Rentner Hartmut (Erwin Steinhauer) musikalisch die Siebziger wieder aufleben, die Zeit also, als sie sich in einander verliebt hatten. Rückblenden im typischen Licht der Siebziger-Jahre-Filme erinnern an einen unbeschwerten Urlaub, den die beiden zusammen mit einem befreundeten Pärchen verbrachten.

 

Perfekt wird die Illusion jedoch erst, als Enkelin Helena (Ella Rumpf) mit einem Umzugslaster voller Mobiliar anrückt und die im Verein mit dem Großvater das Eigenheim in ein Retro-Museum umgestaltet, knallbunte LSD-Tapeten inklusive (ein Fest für die Ausstatterin Verena Wagner). Hartmut weiß, dass die Glücksmomente nur kurz sind, aber sie angesichts von Erikas rapide fortschreitender Demenz überhaupt noch einmal erleben zu dürfen, erfüllt ihm seinen größten Wunsch.

Natürlich ist die Geschichte eigentlich unendlich traurig, aber die beiden Hauptdarsteller lassen die Tragik nur unterschwellig zu. Gerade Steinhauer ist großartig als liebevoller Ehemann, der dem Rest der Welt grantelnd, schimpfend und fluchend begegnet, allen voran seinem Sohn Thomas (Simon Schwarz), der so völlig anders ist als er selbst – aus gutem Grund, wie sich später zeigt. Eine traumhaft sichere Gratwanderung gelingt auch Gisela Schneeberger: Erikas Aussetzer sorgen für die komische Ebene des Films, aber sie wird nie zur Witzfigur, zumal die Krankheitssymptome nicht beschönigt werden.

Hartmut fürchtet sich vor dem Alleinsein

Die alte Dame entwickelt sich mehr und mehr zu einem kleinen Kind, das keinen Moment allein gelassen werden darf. Hartmut wiederum fürchtet sich vor dem Moment, wenn nur noch er allein sich an die gemeinsame Vergangenheit erinnert, weil seine Erinnerungen dann wertlos würden. Eine Ärztin rät ihm, Erika zu helfen, ihren inneren Frieden zu finden. Aber Erika liegt offenbar noch etwas auf der Seele, weshalb sie immer wieder zu dem Album mit den Fotos vom Urlaub zu viert greift.

Das Drehbuch (Uli Brée und Klaus Pieber) versorgt die beiden großen Schauspieler ohnehin mit viel Rollenmaterial. Die eigentliche Handlung ist relativ überschaubar, aber bei Schneeberger und Steinhauer befindet sich die Geschichte in den besten Händen. Deshalb wäre es im Grunde gar nicht nötig gewesen, der Enkelin einen eigenen Erzählstrang mit lesbischer Beziehung, bevorstehender Club-Eröffnung und ungewollter Schwangerschaft einzurichten; darstellerisch kann die attraktiv besetzte Nebenebene (Miriam Fussenegger spielt Helenas Freundin) ohnehin nicht mit den beiden Stars mithalten.

Angi verspritzt reichlich Gift Richtung Erika

Wichtiger für die Entwicklung der Ereignisse ist das Nachbarschaftspaar Jochen und Angi (Wolfgang Böck, Andrea Eckert). Gerade Angi spritzt eine Menge Gift in Richtung Erika. Dabei handelt es sich bei den Nachbarn um das Pärchen aus den lebensfrohen Rückblenden.

Eine weitere maßgebliche Rolle spielt die Musik, deren Auswahl allerdings etwas beliebig wirkt, weil sie von Pink Floyd über Neil Young und Bob Dylan bis zu Abba und Boney M. reicht. Entscheidender aber sind natürlich die Lebens- und Zeitgefühle, die durch das Wiederhören der Hits geweckt werden. „Dschinghis Khan“, deutscher Eurovisionsbeitrag von 1979, sorgt für die schönste Szene des Films (Regie: Nils Willbrandt). Weil die Medien auf Hartmuts selbstloses Engagement aufmerksam geworden sind und er im TV-Interview bedauert hat, dass Erikas Illusion vor der Haustür endet, sorgt die gesamte Siedlung dafür, dass sich das ändert und bietet zu den Klängen des Songs eine mitreißende Choreografie (ein Fest für die Kostümbildnerin Caterina Czepek). Doch „Für dich dreh ich die Zeit zurück“ ist eine Tragikomödie und kein Märchen. Dieses Erlebnis entpuppt sich folglich als Tagtraum. Umso schöner, dass der Film dennoch versöhnlich endet.