Vor dem Ende der Haltefrist für die Twitter-Aktien haben sich einige Großinvestoren demonstrativ zu dem Internet-Kurznachrichtendienst bekannt. Doch neue Statistiken zeigen, dass viele Nutzerkonten völlig inaktiv sind.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Noch eineinhalb Wochen, dann wird Twitter erfahren, ob für die Börse die Zukunftsperspektive stimmt. Am 5. Mai, ein halbes Jahr nach der Erstausgabe im November 2013, läuft die Haltefrist für Aktionäre ab. Zuvor will der Kurznachrichtendienst aktuelle Quartalszahlen vorlegen. In den vergangenen Monaten war die Aktie an der Wall Street kein Renner: Von ihrem Höchststand 73,31 Dollar am 26. Dezember des vergangenen Jahres war die Aktie analog zu anderen Technologiewerten in der vergangenen Woche auf 40,87 Dollar gesunken - bevor sie sich wieder auf zurzeit rund 46 Dollar erholte.

 

Das Datum 5. Mai im Blick hat Twitter in den vergangenen Tagen alles dazu getan, die Aktionäre bei Laune zu halten. Großaktionäre wie die US-Großbank JP Morgan und die Unternehmensgründer beteuerten, dass sie ihre Anteile in jedem Fall behalten wollten. Auch die Tatsache, dass Twitter seine neuesten Quartalszahlen noch eilends Ende April vorlegen möchte, lässt vermuten, dass man die Investoren mit ein paar positiven Nachrichten überraschen will. Eine ganze Reihe von Umbauten, Zukäufen und Personalentscheidungen in den vergangenen Tagen und Wochen sollten zudem signalisieren, dass das Unternehmen auf dem Weg zu mehr Werbeeinnahmen auf Kurs ist.

Anfang April präsentierte Twitter ein Redesign, das den Nutzern mehr Freiheit gibt, etwa bei der Platzierung von Fotos oder zum Hervorheben ihrer Lieblings-Tweets. Die angekündigten Übernahmen des US-Datenspezialisten Gnip sowie von Cover, einem Anbieter von Apps für das mobile Betriebssystem Android, sollen die Auswertung der Nutzeraktivitäten verbessern. Und auch die Anwerbung von Daniel Graf, des bisherigen Chefs von Google-Maps, als neuen Chef der Produktentwicklung unterstreicht das Ziel, unter anderem die für Anzeigenkunden besonders lukrativen Orts- und Aufenthaltsdaten der Nutzer besser als bisher zu verwerten.

Die Nutzerzahlen wachsen deutlich langsamer als bisher

Doch auch nach dem Bekenntnis der Großaktionäre zu den langfristigen Perspektiven des Unternehmens, bleiben zwei Drittel der Anteilsscheine in den Händen von Aktionären, die ihre Anteile jederzeit abstoßen könnten. Und die werden sich jüngst bekannt gewordene Zahlen anschauen, die Zweifel aufkommen lassen, ob die Reichweite und Relevanz von Twitter so groß ist, wie die Firma behauptet. Twitter selbst räumt ein, dass sich das Nutzerwachstum deutlich verlangsamt hat. Im vierten Quartal 2013 ist die Zahl im Vergleich zu 2012 um 3,9 Prozent gestiegen. Bei diesem Tempo würde es elf Jahre dauern, bis Twitter die heutige Nutzerzahl von Facebook erreicht hat.

Ausgerechnet ein Internetportal, das den Dienst eigentlich attraktiver machen will, hat weitere Statistiken veröffentlicht, die den Skeptikern Munition liefern. Das Portal Twopcharts liefert auf einen Klick für viele Städte, Sprachen und Nutzergruppen Twitter-Zahlen – von den Konten mit den meisten „Followern“ bis hin zur Liste der neuesten Nutzerregistrierungen. Der in den Niederlanden basierte Auswertungsdienst ist nicht Teil von Twitter und offenbart auch nicht seine Datenquellen und Berechnungsmethoden. Twitter selbst hat den in den USA häufig zitierten Zahlen nie offiziell widersprochen.

Demnach sind ein Großteil der heute registrierten Twitterkonten Karteileichen: Mehr als 435 Millionen der weltweit rund 869 Millionen Menschen mit einem Twitter-Konto haben noch nie ein einziges Tweet gesendet – das sind immerhin 44 Prozent. Nur rund jeder Zehnte ist ein regelmäßiger, aktiver Nutzer. Etwa 123 Millionen Menschen haben in den vergangenen 30 Tagen mindestens eine Kurznachricht verschickt. (Twitter selbst spricht von 241 Millionen aktiven Nutzern.) Wie viele Menschen Twitter-Nachrichten nur als Zuschauer nutzen, kann Twopcharts nicht eruieren. Doch auch hier gibt es ein Indiz. Etwa jeder Vierte, der bei Twitter registriert ist, hat keinen einzigen Twitter-Kanal abonniert. Diese Nutzer wählen sich also höchstens punktuell ein.

Als der US-Finanzinvestor und Twitter-Großaktionär Chris Sacca vor Ostern seine Treue zu Twitter unterstrich, versuchte er die Bedeutung dieser Zahlen zu relativieren: „Tweets über die Oscarverleihung sind weltweit mehr als 3,3 Milliarden Mal angeschaut worden. Das kann kein anderer Dienst. Punkt.“ Doch das „Wall Street Journal“ widerspricht: „Es gibt mehr als genug über jedes Thema in der Welt zu lesen, um die Nutzer zu beschäftigen. Doch engagierte Nutzer, also diejenigen die aktiv an der Online-Konversation teilnehmen, sind für Twitter die eigentlich wertvollen.“ Die US-Wirtschaftszeitung hat auch nachgezählt, wie oft der neue Chef der Produktentwicklung bisher getwittert hat: Auf einem seiner beiden Konten waren es zwei Tweets, auf dem anderen neun.