Der Rockmusiker Udo Lindenberg hat mit einer fulminanten Show die Schleyerhalle verzaubert. Er bietet seinen 12.500 Fans eine Riesenshow.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Ob es Zufall oder schlitzohriger Hintersinn ist? Wer weiß das schon bei diesem Mann. Sowohl sein Lebenscredo wie auch das Leitmotiv seines Konzerts hat Udo Lindenberg jedenfalls gleich in die zweite und dritte Nummer gepackt, mit denen er seinen ausufernden, zweieinhalbstündigen und mit knapp dreißig Songs versehenen Abend in Stuttgart bestreitet. „Bitte keine halben Sachen / einer lässt es richtig krachen / einer muss den Job ja machen“ singt er also, im Lied darauf „Ich mach mein Ding / ganz egal was die anderen labern“ – und so, mit diesen Statements zum Thema Unbeugsamkeit und Unverbiegbarkeit, hat er sogleich in wenigen Zeilen den ganzen Lindenberg’schen Kosmos verdichtet, in den er in einer völlig überkandidelten Show Einblick gewährt.

 

Kostproben gefällig? Einen Gorilla, der sich ausgelassen in einem Schlauchbot durchs Publikum ziehen lässt und güldenes Konfetti regnen lässt, sieht man in der Schleyerhalle nicht alle Tage. Eine Konzertbühne, die zeitweilig von knapp dreißig Leuten bevölkert ist, ebenso wenig. Es gibt rasante Kostümwechsel und Bühnenumbauten, die jeden Zirkusdirektor vor Neid erblassen ließen. Ein durch die Halle schwebendes Ufo, dem seine Insassen entkrabbeln. Oder einen stets gut bevölkerten Tresen nebst Barkeeper am Bühnenrand, an dem sich zwischendurch auch der Protagonist einen Eierlikör servieren lässt, der ansonsten Zigarren rauchend mit seinen neongrünen Schuhen über den weit in das Publikum hineinragenden Riesenlaufsteg tänzelt.

Bisweilen steht dieser Paradiesvogel aber auch nachdenklich reflektierend da, lässt Erdogan, Wilders, Putin, Kim Jong-un und die komplette Führungsriege der AfD mit Clownshütchen versehen über die Leinwände flimmern, lässt den Stoßseufzer „Wenn es ein Weltgewissen gäbe, würde es aufjaulen“ vom Stapel, singt seinen Klassiker „Wozu sind Kriege da“, ruft mit „Straßenfieber“ zum Kampf für die Demokratie auf und plädiert in „Bunte Republik Deutschland“ eindringlich für Toleranz, Respekt und Nächstenliebe.

Als wäre er gerade einem Jungbrunnen entstiegen

Die Mischung macht’s, und sie macht auch diesen Abend zu einem besonderen Erlebnis. Zu bestaunen ist ein 71-jähriger Mann, der vor ein, zwei Jahrzehnten schon in der Versenkung verschwunden zu sein schien, jetzt aber gertenschlank und wie soeben dem Jungbrunnen entstiegen über die Bühne flitzt. Ein Sänger, der nichts gegen die großen Rockerposen hat, aber – etwa bei der innigen Vorstellung aller Beteiligten – eine liebevolle Zärtlichkeit verströmt. Ein Künstler, der emotionale Nähe zum Publikum sucht und auch findet, der zugleich aber ganz der Showman ist und eine Staffage aufbietet, die ihresgleichen sucht.

Die schiere Größe dieses Bühnenbilds verblüfft auch langgediente Schleyerhallenbesucher, die Ausstaffierung ist von seltener Opulenz und Liebe zum Ornament beseelt. Udo Lindenberg zitiert optisch unglaublich reizvoll historische Begebenheiten wie auch seine eigene Vita, er lässt ikonografische Momente der jüngeren Kunstgeschichte Revue passieren, er taucht sie mit einer gewitzten Lichtregie in immer neue Farben und Formen. All das ist in seiner ganzen Pracht schon weit mehr als das, was ein „normales“ Konzert zu bieten hat; man traut sich aus Angst ein choreografisches Detail zu verpassen kaum, den Blick auch nur eine Sekunden abzuwenden. Dazu kommt sein Personal: die überaus präzise agierende Band, die Begleitsängerinnen und -sänger, die Tänzerinnen, eine achtköpfige Kinderschar, ein ordentlicher Bläsersatz, in immer neuen Rollen und so vielfältig kostümiert und inszeniert, dass es eine wahre Pracht ist.

Evergreens aus bald fünfzig Jahren

Musikalisch schließlich schlägt Lindenberg ebenfalls einen großen Bogen. „Einer muss den Job ja machen“ und „Eldorado“ vom aktuellen Album zum Konzertanfang und -ende bilden den äußeren Rahmen, der anfangs mit „Cello“ und im Zugabenmedley mit „Andrea Doria“, beides von seinem ersten Erfolgsalbum von 1973 (!), kontrastiert wird. Dazwischen kommen viele weitere Evergreens aus bald fünfzig Jahren Rock- und Jazzmusikerschaffen – sowie als Überraschungsgäste der Stuttgarter Straßenmusiker Kieran Hilbert nebst dem früheren Stuttgarter Musiker Max Herre, der ebenfalls zum großen Freundeskreis des schillernden Nachtfalters Udo Lindenberg zählt.

Von zwei Assistentinnen in Pagenuniform lässt sich Lindenberg zum Abschluss in einen Astronautenanzug helfen, dann entschwebt er buchstäblich. Jeglicher Einwand gegen dieses durch und durch unterhaltsame Konzert ist zwecklos, sodass man sich fast schon für den dann leider doch notwendigen Hinweis geniert, dass es sich mehr oder weniger um exakt die gleiche Show handelt, die Udo Lindenberg vor noch nicht einmal zwölf Monaten nur ein paar Meter weiter im Stuttgarter Stadion geboten hat. Begründet wird die Tourneeverlängerung von ihm am Samstagabend mit einer Portion Pathos („das Herz bleibt hier, die Füße müssen weiter“), vom Publikum mit den Gesetzen von Angebot und Nachfrage (die Schleyerhalle ist ausverkauft) und ganz allgemein vielleicht mit dem Motto, das er über diese Tour gestellt hat. „Stärker als die Zeit“ lautet es, und eines der wenigen echten Originale, die der deutsche Unterhaltungsbetrieb zu bieten hat, füllt es noch immer mit prallem Leben.