Die Modeindustrie orientiert sich an Standardmaßen, doch vielen Menschen passen herkömmliche Größen nicht. Kleidung abseits der Normmaße sei eine echte Marktlücke, sagen Experten. Auch in Stuttgart ist das Angebot überschaubar.

Stuttgart - Die Menschen werden größer und breiter, doch die Modeindustrie trägt dieser Entwicklung nur sehr bedingt Rechnung. Im Einzelhandel haben es schon Männer ab 1,90 Meter und Frauen jenseits der 1,76 Meter schwer, denn bei diesen Maßen enden die Größenskalen der meisten Hersteller. Menschen ohne Standardkonfektionsgröße sind deshalb froh, wenn sie überhaupt etwas Passendes finden. In Stuttgart gibt es nur wenige Adressen für den Großeinkauf.

 

Claudia Fecht-Keune sitzt im Vorstand des Klubs der Langen Menschen in Stuttgart. Um Mitglied zu werden, müssen Frauen mindestens 1,80 und Männer 1,90 Meter groß sein. „Zum Thema Kleidung kann ich sagen, dass es da eine riesige Marktlücke gibt“, urteilt Fecht-Keune aus jahrelanger Erfahrung. Sie beklagt, dass Modeartikel in großen Größen meist nur breiter, dabei aber nicht länger werden. „Es sieht nicht schön aus, wenn bei der Hüfthose die Leibhöhe zu kurz ist und diese dann nach unten und das zu kurze T-Shirt nach oben rutscht“, sagt Fecht-Keune.

Männermode basiert auf alten Daten

Wie Kleidergrößen im Normalfall zustande kommen, weiß Sabine Langensteiner. Sie unterrichtet an der Staatlichen Modeschule in Stuttgart-Wangen. „Seit der Industrialisierung der Mode gibt es systematisierte Größentabellen“, berichtet sie. Alle zehn Jahre werden dazu Messungen gemacht – die bislang letzte große Reihenmessung fand bei den Damen im Jahr 2006 statt. „Die Aufträge dafür werden an Institute vergeben, und das kostet richtig Geld“, berichtet Langensteiner und fügt an: „Dafür bezahlen längst nicht alle Modehersteller.“ Daher rechnen nicht alle Textiler mit den aktuellen Größentabellen, sondern sie verwenden stattdessen die alten Maßvorgaben. Die Männermode basiert auf noch wesentlich älteren Messdaten. Die letzte große Reihenmessung datiert gar aus dem Jahr 1962.

Eine Entwicklung lässt sich aus den Messergebnissen klar ablesen. „Die Leute werden größer und kräftiger“, sagt Langensteiner. Lag die durchschnittlich gemessene Körpergröße vor einigen Jahren bei den Damen noch bei 1,64 Meter, sind es aktuell 1,68 Meter. Auch der Umfang der Menschen hat sich vergrößert. Dabei verläuft der aktuelle Trend in der Modeindustrie genau in die entgegengesetzte Richtung. „Nur wer schlank ist, kann modisch sein, weil einige angesagte Hersteller schlicht ausschließlich in kleinen Größen produzieren“, erklärt die Modeexpertin. Wer also die Produkte bestimmter Marken tragen will, muss in deren Schema passen. „Realität und Mode gehen hier auseinander“, stellt Langensteiner fest.