Die Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht hat die Politik stark beeinflusst: Die Frage um die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten hat eine neue Dimension angenommen, zugleich haben die Rechtspopulisten in Deutschland enorm an Macht gewonnen.

Köln - Die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht waren in Wucht und Ausmaß ein singuläres Ereignis. Ein so organisiertes und aggressives Vorgehen war bis dahin unbekannt. Auch aus anderen Städten kam es an Silvester zu ähnlichen Geschehen – aber längst nicht in diesem Umfang. Ein solcher Exzess hat sich seither nicht wiederholt. Von Januar bis Ende März 2016 entfielen 1,1 Prozent der Straftaten von Zuwanderern auf Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – einschließlich Versuche.

 

Dennoch hat diese eine Nacht die Republik verändert. Woran liegt das? Die Stimmung in der Zuwanderungsfrage war schon im Spätherbst deutlich gekippt, die Euphorie über die deutsche Willkommenskultur schnell verflogen. Allerdings hielten sich die Kritiker im Ton zurück, vielleicht auch, um nicht in eine Ecke gestellt zu werden, in die nicht alle Mahner gehörten. Köln wirkte als Ventil und Symbol. Bei wem sich Unmut aufgestaut hatte, der konnte nun mit dem Fingerzeig auf Köln leichter argumentieren. Die öffentliche Meinung veränderte sich, der Druck auf die Politik wuchs.

Kommenden Donnerstag wird die Sexualreform im Bundestag verabschiedet

Die deutlichsten Konsequenzen hatte das für das Sexualstrafrecht, deren Reform ohnehin auf der Agenda stand. Der Grundsatz „Nein heißt Nein“ war aber im von Bundesjustizminister Heiko Maas vorgelegten Entwurf nicht verankert. Dass es für einen Menschen hinreichend sein muss, wenn er verbal unmissverständlich seine Ablehnung sexueller Kontakte klarmacht, musste erst von den Frauen der Koalitionsfraktionen und den Rechtsexperten von Union und SPD durchgesetzt werden.

Kommenden Donnerstag wird die Reform nun verabschiedet. Sie stellt einen Paradigmenwechsel dar. Zu spüren ist der Einfluss der Kölner Ereignisse auf das neue Sexualstrafrecht auch dort, wo nun derjenige bestraft werden kann, der aus der Gruppe heraus zu sexuellen Übergriffen anspornt oder die Täter etwa dadurch schützt, dass er mit anderen eine Mauer um Täter und Opfer bildet. Auch das sogenannte Grapschen wird nun als sexuelle Belästigung unter Strafe gestellt.

Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten machen nur noch einen kleinen Bruchteil aus

Aber auch die Innen- und Sicherheitspolitik hat sich verändert. Die emotionale und nicht immer faktenorientierte Debatte über die angebliche Geneigtheit junger männlicher Zuwanderer aus den Maghreb-Staaten zu solcher Art Übergriffen, hat dazu geführt, dass die Bundesregierung nicht nur bessere Rücknahme-Abkommen mit Tunesien, Algerien und Marokko verhandelte, sondern diese Staaten auch zu sicheren Drittstaaten erklären möchte. Die Frage hat erheblichen politischen Stellenwert erlangt, denn nicht wenige in der Union erheben sie zu einem Test für die Regierungs- und Koalitionsfähigkeit der Grünen auf Bundesebene, da von den grün mitregierten Landesregierungen die Zustimmung im Bundesrat abhängt. Auch hier hat sich die Debatte längst von den Zahlen entkoppelt. Von Januar 2015 bis März 2016 kam ein Prozent der Asylbegehrenden aus Marokko, 0,2 Prozent aus Tunesien.

Unabhängig von konkreter Gesetzgebung hat die Kölner Silvesternacht das gesamte Koordinatensystem der Politik verschoben. In den Landtagswahlen eroberten die Rechtspopulisten drei weitere Landtage. Die heftigen Streitereien in der Union über den richtigen Kurs in der Flüchtlingsfrage haben die wahlkämpfende CDU gelähmt. Vermeintlich sichere Wahlsiege in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz entpuppten sich als Wunschträume. Die Erfolge der AfD schürten den Konflikt zwischen CDU und CSU, der phasenweise außer Rand und Band geriet. Das Klima der politischen Auseinandersetzung wird immer lauter und rabiater. Auch hier markiert Köln einen Wendepunkt.