Alstom-Chef Patrick Kron unterstützt die Übernahmepläne des US-Konzerns GE – sehr zum Unwillen von Frankreichs Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg. Die Bevölkerung würde laut einer Umfrage die Verstaatlichung Alstoms begrüßen.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Die Schlacht um Alstom ist im vollen Gange. Der Verwaltungsrat des französischen Energie- und Transportkonzerns hat die Kaufofferte des US-Branchenführers General Electric (GE) von 12,4 Milliarden Euro zwar „einstimmig“ genehmigt. Doch das Rennen um das angeschlagene Traditionsunternehmen ist damit noch nicht entschieden. Alstom geht mit GE keine exklusiven Verhandlungen ein; Siemens hat noch bis Ende Mai Zeit, um ein eigenes Kooperationsangebot einzureichen. Der Münchner Konzern genießt das Wohlwollen der französischen Regierung, die einen europäischen „Airbus der Energie“ bilden möchte. Diesen soll nach Vorstellung von Arnaud Montebourg Siemens leiten, während Alstom einen europäischen Transportkonzern mit den Hochgeschwindigkeitszügen TGV und ICE bilden würde.

 

Doch kann sich der französische Wirtschaftsminister gegenüber dem Alstom-Chef Patrick Kron, der GE den Vorzug gibt, durchsetzen? Frankreich debattiert darüber grundsätzlich; dabei geht es nicht zuletzt darum, ob der Staat einem Privatkonzern Vorgaben machen kann. Montebourg sieht die Zukunft des französischen Industrieflaggschiffs Alstom – weil es um „nationale Interessen“ gehe – eher bei Siemens als bei GE.

Kron wurden die Leviten gelesen

Montebourgs großer Widersacher Kron sieht das anders. Als Président-Directeur-Général, das heißt sowohl Konzernchef wie Verwaltungsratspräsident von Alstom, lässt er sich nicht gerne am Zeug flicken. Doch als seine Pläne mit GE aufflogen, bekam der mächtige Patron selber zu spüren, wer in Paris das Sagen hat: Als er von einer Auslandsreise zurückkehrte, erwartete ihn eine verdunkelte Staatslimousine am Flughafen. Ohne Widerrede zu dulden, verfrachtete ihn der Chauffeur mit heulenden Sirenen ins Wirtschaftsministerium, wo ihm Montebourg laut der Zeitung „Le Monde“ die Leviten las: Als Vorsteher eines „strategischen“ Konzerns hätte er die Regierung über die Verhandlungen mit General Electric informieren müssen, donnerte der Minister. In der Nationalversammlung setzte Montebourg nach: Die Regierung akzeptiere nicht, in einem so heiklen Deal vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, rief er ins Parlamentsrund. Kron habe sie hinters Licht geführt, indem er erklärt habe, er plane keine Allianzen. „Muss der Wirtschaftsminister etwa einen Lügendetektor in seinem Büro installieren“, fragte Montebourg wutentbrannt.

Kron bleibt aber hartnäckig. Der Alstom-Chef gilt als rigider, unnachgiebiger Manager. Nach Frankreich gekommen war er als armer Sohn polnischer Immigranten, die den Holocaust überlebt hatten. Kron schaffte es allerdings in die besten Schulen und danach in die Chefetagen von Industriefirmen wie Pechiney. 2003 übernahm er die Leitung von Alstom. Schon ein Jahr später geriet er in Konflikt mit Siemens. Der als nachtragend geltende Konzernchef hat es den Münchnern bis heute nicht verziehen, dass sie Alstom in einem schwachen Moment wie ein Schnäppchen übernehmen wollten. 2010 kämpfte er zuerst hinter den Kulissen und dann vor Gericht bis zur bitteren Niederlage, als Siemens den Zuschlag des Zugbetreibers unter dem Ärmelkanaltunnel, Eurostar, erhielt.

In diesem Februar suchte Siemens-Chef Joe Kaeser den Kontakt zu Alstom im Hinblick auf eine Kooperation. Kron zeigte ihm die kalte Schulter. Dasselbe geschah jetzt: Kaeser bot ihm, wie dies GE getan hatte, die Übernahme der zentralen Energiesparte Alstoms an; Kron antwortete nicht einmal. Wie zerrüttet die Beziehung ist, belegte Siemens nun mit einer öffentlichen Stellungnahme, die sich über Krons Schweigen „enttäuscht“ zeigt.

Franzosen begrüßen Verstaatlichung Alstoms

Angesichts solcher Ressentiments scheint es zweifelhaft, dass die Spitzen von Alstom und Siemens jemals zueinander finden werden. Zudem ist der Staat in Paris nicht mehr allmächtig. Bei Alstom schaltete der rührige Starminister die Finanzmarktaufsicht ein, um zu garantieren, dass Siemens die gleiche Akteneinsicht wie GE erhält. Kron bestätigte gegenüber „Le Monde“: „Siemens erhält Zugang zu allen Informationen, die nötig sind, um, wenn gewünscht, ein festes Angebot einzureichen.“ Erst jetzt wandte er sich in einem Brief an Kaeser. In dem Zeitungsinterview verwahrte sich Kron auch gegen den Vorwurf des „Antigermanismus“: Der Vorwurf sei schon deshalb absurd, weil Alstom in Deutschland 9000 Mitarbeiter beschäftige. Montebourg umgekehrt Deutschfreundlichkeit zu unterstellen wäre indessen ebenso verfehlt: In der Vergangenheit hatte er Kanzlerin Angela Merkel gerne mit Bismarck verglichen.

Die französische Öffentlichkeit würde – einer Umfrage zufolge – eine vorübergehende Verstaatlichung Alstoms begrüßen. Ohne Staatseingriff neigen die Franzosen klar zu Siemens: 58 Prozent der Befragten wünschen eine europäische Lösung für Alstom, nur sechs Prozent sind für GE. Wer das Rennen um Alstom macht, hängt nicht zuletzt vom Ausgang des Duells Montebourg gegen Kron ab. An dem harten Alstom-Chef könnte sich der schneidige Minister die Zähne ausbeißen. Dies nicht nur, weil die Staatsmacht in Paris am Schwinden ist: In fast allen Sparten ergänzen sich GE und Alstom besser; GE will bei der Fusion sogar Arbeitsplätze schaffen.