Alle freuen sich auf den Schnee, ucnd das Skifahren. Alle? Nein, nicht alle. Einer bleibt zu Hause.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Ich persönlich finde, ein Berg ist von weitem schöner. Dort in der Weite hat er seine Ruhe. Vor mir und meinesgleichen. Vor all den winzigen Menschen, die immer nach oben wollen, sich übereifrig jeden Hügel, jeden Fels untertan machen wollen. Dabei haben sie genügend gähnende Abgründe im Alltag, in die sie vor Angst kaum blicken können.

 

Weiß getünchte Berge und Abgründe ohne Menschen sind überhaupt das Allerschönste. Am besten gefallen mir die riesigen Gemälde von Malern wie Charles Bertier. In diesem malerischen Breitwandkino des 19. Jahrhunderts werden die hochalpinen Landschaften als sublime Traumgegenden aus Eis, Wolken und Stein inszeniert. Ein herrlich jenseitiges Augentheater, auf dessen karger Bühne der miese Schauspieler namens Mensch Auftrittsverbot hat. Kein Après-Ski. Stattdessen: eine Feier des Erhabenen. Und von Hannibal keine Spur.

Elfriede Jelinek, die österreichische Literaturnobelpreisträgerin und wohl größte Après-Ski-Hasserin aller Zeiten, hat im Nachwort zu ihrer Trilogie "In den Alpen" selbige als "Sportgerät der Massen" bezeichnet. Eine wundervolle Verniedlichung. "Je mehr die Menschen im Sport oder in der Aneignung von allem und jedem sich ihrer selbst versichern wollen, umso mehr sind sie selber verfallen." Wer nach der Lektüre eines gletscherkalten Jelinek’schen Textes ohne einen Hektoliter Jagatee intus noch frohgemut in den Skilift steigen kann, dem ist nicht zu helfen. Was ich damit aber eigentlich sagen wollte, ist: Ich hasse den Winter und noch mehr das Skifahren.

Apropos sublim. Gut möglich, dass ich mir mit diesem weinerlichen Kunstgeschwafel von vorhin etwas von der Seele wegsublimieren will. Das lateinische "sublimare" bedeutet nämlich "hochheben" oder "erhöhen". Sigmund Freud, auch so ein destruktiver Alpenländler, verstand unter Sublimierung eine Umlenkung von Triebwünschen in eine geistige oder kulturelle Leistung. Der Bertier, Hannibal, die Jelinek, ja sogar diese Zeitung – psychoanalytisch betrachtet sind sie nichts anderes als Triebabfuhrmittelchen, stark dosierte Homoöpathie für die Im-Tal-Gebliebenen.

Oder anders gesagt: Auch ich will da hoch, rauf auf den Berg und wieder runter und wieder nauf und nunter, will jodeln, will anbandeln, will kraxeln, will wedeln, will schnackseln, will a Gaudi und a Haserl und noch a Flügerl ... aber ich packe das alles nicht. Was mit Sicherheit auch an meiner Kindheit und Herkunft liegt, zumal in den weiten Ebenen des östlichen Balkans einem schon ein Berg Wassermelonen allergrößten Respekt einflößt.

In der Psychoanalyse gilt ja außerdem die Regel, dass an allem der Vater schuld ist. Tatsächlich kann ich mich erinnern, dass ich genau einmal mit meinem Vater auf einem Schlitten einen sanften Abhang im Stadtpark hinabgesaust bin, bis uns eine deutsche Eiche unsanft zum Stehen brachte. Mein Vater lachte, ich weinte. Seitdem habe ich Angst vor der Farbe Weiß. Mein zweites Kindheitstrauma verdanke ich ebenfalls meinen Eltern. Sie ließen mich unbeaufsichtigt fernsehen, ein medienpädagogischer Frevel angesichts des Fernsehprogramms der späten siebziger und achtziger Jahre. Immer wieder starrte ich einsam auf den Bildschirm, ich fand keine Erklärung für das dargebotene Grauen. Zu sehen war nämlich, ich kann diesen Namen kaum tippen, Hansi Hinterseer.

Ja, genau der. Dieser dauerfeixende Barde aus Tirol, der früher ein erfolgreicher Sportler war. Er altert nicht, die Bergluft imprägniert. Seine Frisur hält ewig wie bei einer Mumie im ewigen Eis. Seine Lieder sind wie Lawinen, die alles unter sich begraben. Wer jemals "Zwei Paar Ski und du und i" gehört hat, beginnt eine Psychotherapie oder schmilzt dahin wie ein Schneemann im Solarium.

Hinterseer also. Und Manfred Vorderwülbecke. Rosi Mittermeier und Christa Kinshofer. Sie alle waren schneeverrückte Vorturner in der legendären Sendung "Tele-Ski", einer, wie es hieß, äußerst beliebten TV-Skigymnastik. Und während ich allein auf der Couch saß und starrte und starrte, stellte ich mir vor, wie Millionen Deutsche in diesem Augenblick vor dem Fernseher wie Hansi Hinterseer mit ausgestrecktem Hintern in den Feierabend wippten. Das war zu viel. Diese Vorstellung von einem Volk in der Abfahrtshocke kann man nicht einmal mit einem Berg aus Jelinek-Texten hinaufsublimieren. Das Einzige, was hilft, ist: unten bleiben. Sich vorzustellen, man sei ein Murmeltier im Winterschlaf. Ab und an ins Museum gehen. Ein italienisches Eis essen. Auf den Klimawandel hoffen sowie die baldige Versteppung der Alpen. Übrigens wurde die singende Schneeflocke Hansi Hinterseer von Jack White entdeckt. WHITE! Sie verstehen.