Vom Pulsmesser bis zum Windelsensor: Für Eltern gibt es jede Menge digitale Helfer. Experten befürchten aber, dass der Kontrollwahn einer gesunden Eltern-Kind-Beziehung im Weg steht.

Stuttgart - Gebannt starrt Markus auf den kleinen Bildschirm. Er sieht verschiedene Grautöne, die einen kleinen Körper formen. Reglos liegt dieser im Bett. Müsste sich die Bettdecke beim Atmen nicht mehr bewegen? Und warum dreht seine Tochter Elisa sich jetzt ausgerechnet so hin, dass er ihren Kopf nicht mehr mit der Kamera des Babyphones einfangen kann? Markus steht auf und geht ins Kinderzimmer. Kurz darauf fängt das kleine Mädchen an zu weinen. Vorbei ist es mit dem ruhigen Abend.

 

Das Babyphone mit integrierter Videokamera ist einer von unzähligen digitalen Helfern für Eltern. Weitere Rund-um-die Uhr-Überwachungsmöglichkeiten versprechen beispielsweise Sensoren für Windeln, die piepsen, wenn diese voll sind. Zudem gibt es Söckchen, mit denen permanent der Puls gemessen wird, oder Fieberthermometer, die per Bluetooth, die ganze Nacht lang die Temperatur des Nachwuchses an das elterliche Smartphone funken.

„Die zunehmende Technisierung des Alltags macht auch vor dem Babybettchen nicht Halt“, sagt Urs-Vito Albrecht, stellvertretender Institutsleiter des hannoverschen Standorts des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover. Albrecht ist zudem Geschäftsführender Arzt der dortigen Ethikkommission.

Ständig neue Helferlein

Für die Spielwaren- und Elektronikbranche lohnt es sich, ständig neue digitale Helferlein auf den Markt zu bringen. Denn junge Eltern sind eine attraktive Zielgruppe. Im Jahr 2016 investierten sie 2,5 Milliarden Euro für die Ausstattung ihrer Kinder in den ersten drei Jahren. Zumindest ein Teil dieser Summe entfällt auf Produkte zur digitalen Überwachung des Nachwuchses.

Die Ausgaben dafür könnte man sich in vielen Fällen sparen, meint Manuela Rauer vom Deutschen Hebammenverband. Bei ihrer Arbeit sieht sie täglich, welche Auswirkungen, das wachsende Kontrollbedürfnis mittels digitaler Helfer auf die Eltern hat. „Sie stören die Entwicklung der eigenen Sinne und Intuitionen im Umgang mit dem Baby.“ Was sie damit meint, erklärt die Hebamme am Beispiel des Windelsensors: Eltern ohne ein solches Gerät lernen, wie ein Baby schaut oder weint, wenn es sich mit seiner vollen Windel nicht mehr wohlfühlt. Und das Baby merkt, dass es mit seiner Kommunikation von den Eltern verstanden wird.

Auf diese Weise entsteht eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung, die für die Entwicklung der Babys sehr wichtig ist. Denn das Baby spürt, dass die Eltern ihrem Bauchgefühl und dem Kind vertrauen. Wer stattdessen auf die Technik setzt und alles kontrollieren möchte, gibt Rauer zufolge die eigene Unsicherheit an das Kind weiter. „Spätestens wenn die Kinder größer werden, müssen Eltern ohnehin lernen, loszulassen.“

Kontroll-Apps für Schulkinder

Zwar gibt es gibt inzwischen auch für Schulkinder Kontroll-Apps mit denen sich etwa verfolgen lässt, welchen Weg das Kind zur Schule nimmt oder auf welchen Seiten es im Internet unterwegs ist. Doch Mediziner Albrecht warnt vor allem vor der trügerischen Sicherheit. „Ab einem gewissen Alter sind Jugendliche ihren Eltern technisch meist so weit voraus, dass sie entsprechende Apps umgehen können oder das Smartphone im Zweifel einfach zu Hause lassen.“

Warum Eltern dennoch immer mehr auf die technischen Helfer vertrauen, erklärt sich Hebamme Rauer so: „Ich beobachte bei immer mehr Eltern eine übermäßige Sorge, alles richtig machen zu müssen.“ Da das gerade beim ersten Kind unmöglich sei, versuchen sie es mithilfe einer Technik, „die meist keinen Sinn hat und oft nur für unnötige Nervosität sorgt“ – etwa dann, wenn ein Babyphone beim kleinsten Geräusch Alarm schlägt oder wie im Fall von Markus dazu führt, dass man das Kind aufweckt, nur weil die Überwachung nicht richtig funktioniert. „In einer 60 Quadratmeter-Wohnung braucht man gar kein Babyphone, da hört man die entscheidenden Geräusche auch so“, sagt Manuela Rauer.

Doch es gibt auch digitale Geräte und Apps, die in bestimmten Fällen eine Hilfe sein können. Manuela Rauer kennt Familien, die Erfahrungen mit dem plötzlichen Kindstod gemacht haben und die Geschwisterkinder nun auf so genannten Sensormatten schlafen lassen. Diese schlagen Alarm, wenn für länger als 20 Sekunden kein Atemzug auf der Matte zu spüren ist. „Wenn die Eltern dadurch ruhiger schlafen können, ist der ganzen Familie geholfen“, sagt Hebamme Manuela Rauer.

Was passiert mit den Daten?

Wie bei allen Geräten, die digitale Daten erheben, sollten sich Eltern vor der Anschaffung darüber informieren, was mit der gemessen Atemfrequenz oder den Bildern der Babyphone-Kamera passiert. „Werden die erfassten Daten gespeichert? Können Sie von Dritten abgegriffen werden? Sind deutsche oder europäische Datenschutzrichtlinien anwendbar oder die weniger strikten Regelungen der USA?“ nennt Urs-Vito Albrecht einige der Fragen, die beim Kauf bedacht werden sollten.

Auch sollte man sich vergewissern, dass die aufgezeichneten Daten nicht durch den Anbieter selbst oder Dritte zu Zwecken ausgewertet werden, die mit der eigentlichen Anwendung gar nichts zu tun haben. „Die Online-Welt vergisst nie und es ist durchaus denkbar, dass Daten, aus denen sich Bewegungs- oder Gesundheitsprofile des Nachwuchses erstellen lassen im späteren Leben der Kinder missbraucht werden könnten“, sagt Urs-Vito Albrecht. Als Beispiel nennt er Arbeitgeber oder Versicherungen, die bei gesundheitlichen Problemen einen Vertrag ablehnen könnten.

Markus‘ Frau Valentina hat nach dem unnötig gestörten Abend neulich die Batterien aus dem Babyphone entfernt. Seitdem schaut Markus wieder entspannt mit ihr Fernsehen statt auf den Bildschirm die Videokamera im Kinderzimmer zu beobachten. Und Elisa schläft in aller Ruhe.

Feste Bindungen sind enscheidend

Urvertrauen Vor allem Babys sind darauf angewiesen, dass Eltern auf ihre Signale richtig reagieren – etwa wenn sie weinen. Je verlässlicher Eltern mit den Bedürfnissen und Wünschen des Kindes umgehen, umso stärker entwickelt sich dessen Urvertrauen. Dieses wiederum ist entscheidend dafür, dass Kinder sich mit zunehmenden Alter immer mehr von den engen Bezugspersonen entfernen können, weil sie gelernt haben: es gibt eine sichere Basis zu Hause, auf die ich immer zurückgreifen kann. Dieses Urvertrauen ist auch entscheidend dafür, dass das Kind später selbst einmal in der Lage ist, tragfähige Beziehungen einzugehen.

Entwicklung Aus der Hirnforschung weiß man inzwischen zudem, dass der Körper von Kindern, denen die richtige Zuwendung fehlt, vermehrt Stresshormone ausschüttet. Das wirkt sich negativ auf die Gehirnentwicklung aus. Entdeckt wurde dieser Zusammenhang bei einer Untersuchung an Heimkindern. Lebten diese länger als 18 Monate ohne feste Bezugsperson, lernten sie noch zehn Jahre später schlechter und waren zudem sozial auffälliger.