Nigel Farage, Chef der britischen Unabhängigkeitspartei, sieht sein Land vor dem Austritt aus der EU. Er ist überzeugt, dass Deutschland mit Rücksicht auf die Wirtschaft auch dann noch gute Beziehungen zu seinem Land pflegen wird.

Brüssel – - Der Europaabgeordnete Nigel Farage ist überzeugt, dass Deutschland aus Rücksicht auf die eigene Wirtschaft mit den Briten auch außerhalb der EU gute Beziehungen pflegen wird.
Herr Farage, der Wahlkampf in Großbritannien hat begonnen. Was ist Ihre konkrete Erwartung für den Mai? Ihnen werden bis zu hundert Sitze im Unterhaus prophezeit.
Ich habe nicht die geringste Ahnung. Wir bräuchten die deutsche Kombination aus Persönlichkeits- und Mehrheitswahlrecht. Dann wäre es gerechter und einfacher vorherzusagen. Mit unserer reinen Mehrheitswahl ist dagegen alles möglich.
Die Wahl ist auch für Europa extrem wichtig, weil von ihrem Ausgang das spätere Referendum über einen EU-Austritt abhängt. Das wäre die Unabhängigkeit Großbritanniens, die Ihre Partei im Namen trägt. Sind Sie diesem Ziel näher als jemals zuvor?
Das steht außer Frage. Als ich anfing, war die Idee, dem europäischen Club nicht anzugehören, noch völlig unanständig. Ukip hat es geschafft, ein verbrämtes Thema glaubwürdig mehrheitsfähig zu machen.
Sie treiben Premier Cameron vor sich her.
Es ist schon erstaunlich: Mit jeder Rede, die David Cameron hält, kommt er uns näher. Zuletzt hat er angekündigt, das Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU vorzuziehen – weil ich immer davon rede. Davor hat er gesagt, alles, also auch ein Austritt, sei möglich. 80 bis 100 Hinterbänkler der Torys erkennen inzwischen, dass diese Politik nicht funktioniert – und vertreten quasi selbst Ukip-Positionen.
Vieles scheint in Ihrem Sinne zu laufen. Nur die Wirtschaft wirbt weiter für die EU. Wie wollen Sie die Bosse überzeugen?
Keine Frage, die Wirtschaft hat ein entscheidendes Wort dabei mitzureden, ob wir in der Europäischen Union bleiben oder nicht. Meiner Ansicht nach ist der Verband CBI aber viel zu lange als das Sprachrohr der Wirtschaft gesehen worden. Er vertritt ausschließlich die großen Multis, die gar keine britischen Unternehmen sind.
Der Autobauer Nissan hat offen gedroht, seine Standortwahl zu überdenken, falls Großbritannien die EU verließe, weil dann der Zugang zum Binnenmarkt fehle. Wie wollen Sie Ihren Wählern Jobverluste verkaufen?
Ich sage nur, dass bei Nissan über den Partner Renault auch die französische Regierung ihre Finger mit im Spiel hat. Aber ich gebe zu, dass das Big Business es meiner Partei schwer macht. Aber es macht auch nur ein Zehntel sowohl des Privatsektors wie der Beschäftigung in meinem Land aus. Gleichzeitig sagt ein so respektierter moderner Unternehmer wie James Dyson, Gründer der gleichnamigen Staubsaugermarke und noch im Jahr 2000 lautstarker Verfechter eines Eurobeitritts, dass wir durch die EU mehr verlieren, als wir gewinnen. Es gibt also Bewegung nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft.
Welche Rolle spielt Deutschland aus Ihrer Sicht in dieser Angelegenheit? Könnte Cameron in Berlin und Brüssel jene Zugeständnisse bekommen, die er braucht, um ein Referendum gewinnen zu können?
Angela Merkel muss sich fragen, ob sie bereit ist, den Preis für den Verbleib Großbritanniens zu zahlen, nämlich eine Änderung der EU-Verträge bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Wäre ich sie, würde ich ganz rational zu dem Ergebnis kommen: Nein.
Warum?
Erinnern Sie sich daran, wie wenig Unterstützung die Verträge hatten, unter denen wir jetzt leben. Erst lehnten die Franzosen und die Niederländer die EU-Verfassung ab, schließlich die Iren, als daraus der Lissabonner Vertrag geworden war. Eine Vertragsöffnung könnte neue Wünsche und Referenden auf dem ganzen Kontinent nach sich ziehen – das ganze Projekt Europäische Union könnte zu Bruch gehen. Die rational denkende Frau Merkel wird meiner Ansicht nach also zu dem kühlen Schluss kommen, dass es – obwohl sie das tatsächlich nicht will – besser ist, die Briten ziehen zu lassen, als die Verträge zu öffnen.
Die Bundesregierung will doch selbst zumindest eine begrenzte Vertragsänderung – um die Eurozone zu reformieren. Außerdem ist das Interesse riesig, es wirtschaftspolitisch nicht alleine mit den Regierungen in Paris und Rom aufnehmen zu müssen.
Keine Angst, wir kaufen dann immer noch eure Autos. Sie werden weiter vom Hamburger Hafen aus zu uns geschippert. Wir machen dann weiter Geschäfte. Wie überhaupt die deutsch-britischen Beziehungen von einem EU-Austritt unberührt blieben.
Das glauben Sie doch nicht im Ernst?
Der diesen Glasgebäuden hier in Brüssel entsprungene Mythos, dass man sich ohne gemeinsame Parlamente und Gerichte nicht gegenseitig etwas abkaufen kann, ist doch Humbug. Wir handeln miteinander, seit wir miteinander reden können.
In einem Markt mit gemeinsamen Regeln handelt es sich aber besser. Dafür haben sich alle britischen Regierungen eingesetzt. Und wer nicht Teil dieses Marktes ist, könnte – siehe Nissan – weniger attraktiv für Investoren werden.
Ich habe ja schon gesagt, dass ich das Argument der Multis für Nonsens halte. Und auch, dass es trotzdem eine große Rolle in dieser Debatte spielt. Aber wir sind der größte Absatzmarkt der Eurozone in der Welt. Und Frau Merkel weiß nur zu gut, dass es zum Beispiel die deutsche Autoindustrie sein wird, die mit am stärksten darauf dringen wird, dass ihre Geschäfte nicht unter den veränderten politischen Umständen leiden müssen. Glauben Sie mir, Großbritannien wird ganz schnell nach dem EU Austritt wieder sehr vorteilhafte Handelskonditionen erhalten.
Sie haben den Islam als „fünfte Kolonne“ bezeichnet, der unter uns lebt, aber uns hasst. Wollen Sie nach den Anschlägen von Paris auch noch damit rechts punkten?
Nein, aber wir müssen die richtigen Lehren daraus ziehen und unseren künftigen Kurs ändern. Multikulti und Gruppen, die die Integration verweigern, haben Europa Ghettos und Teilung gebracht.
Grenzen dicht, kein EU-Parlament, kein Gerichtshof, keine gemeinsame Außenpolitik, keine gemeinsamen Gesetze – ginge es nach Nigel Farage, bliebe von der EU nicht viel übrig. Brauchen wir sie auch nicht für den Frieden auf unserem Kontinent?
Natürlich wollen wir uns mit unseren Nachbarn gut verstehen. Daran hat jeder Interesse. Wir werden also weiter eine Art Kooperationsmechanismus brauchen.