Ein Boykott könnte nach Einschätzung von Unternehmen Arbeitsplätze in Deutschland gefährden. Die deutsche Wirtschaft befürchtet, dass Moskau mit einem Stopp von Gaslieferungen antworten könnte.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Die deutsche Wirtschaft lehnt Sanktionen gegen Russland wegen des Konflikts in der Ukraine ab. Europa stehe jetzt vor einer Bewährungsprobe, die auf diplomatischem Weg gelöst werden müsse, sagte der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner. Allein in Deutschland hängen nach Angaben Lindners etwa 200 000 Arbeitsplätze von Exporten nach Russland ab. Auf einen Ausschluss aus den G 8, den acht weltweit wichtigsten Industrienationen, oder auf einen Boykott könnte Russland mit einem Stopp von Energielieferungen antworten, erklärte der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses.

 

Ulrich Treier, der Chef der Außenwirtschaft beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), befürchtet, dass Russland auf einen G-8-Ausschluss mit weiteren protektionistischen Maßnahmen reagieren könnte. Das Land, das 2012 dem Welthandelsabkommen WTO beitrat, lässt schon jetzt bestimmte Nahrungsmittel aus Deutschland nicht über die Grenzen. Werde Russland von den westlichen Nationen ausgegrenzt, könnte das die wirtschaftlichen Spannungen verstärken. Damit gefährde Russland allerdings die eigenen wirtschaftlichen Perspektiven und bleibe konjunkturell einseitig von seinen Rohstoffexporten abhängig.

Klaus Mangold, von 2000 bis 2010 Vorsitzender des Ost-Ausschusses und früheres Daimler-Vorstandsmitglied, verlangte, statt über Sanktionen gegen Russland zu reden, müssten „vorgezogene G-8-Gespräche“ stattfinden. „Ein Boykott wäre Blödsinn“, sagte Mangold, der seit 2005 Honorarkonsul Russlands für Baden-Württemberg ist. „Wenn wir das Geschäft nicht machen, freuen sich die Chinesen.“ China hatte vor zwei Jahren Deutschland als wichtigsten Lieferanten Russlands abgelöst. Nach starken Wachstumsraten in den Jahren zuvor, sank der Außenhandel Deutschlands mit Russland im vergangenen Jahr von etwas mehr als 80 Milliarden Euro auf rund 76 Milliarden Euro. Deutschen Importen von 40 Milliarden Euro, davon der größte Teil Öl und Gas, standen Exporte von 36 Milliarden Euro gegenüber.

Zur Lage in der Ukraine meinte Mangold, der Markt dort sei „zusammengebrochen“. Deshalb müsse die EU dem Land eine Überbrückungshilfe für die nächsten zwei Monate geben. Mehr Geld solle aber erst nach den Wahlen im Mai gegeben werden, wenn die politischen Verhältnisse klarer seien. Der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses, Lindner, der erst vor wenigen Tagen in der Ukraine war, berichtete, bei den 500 deutschen Unternehmen laufe die Produktion noch. Allerdings mache sich eine zunehmende Anarchie breit. So verlangten Protestgruppierungen in Einzelfällen Mitsprache in den Unternehmen und wollten dort die Kontrolle ausüben.

Unternehmen aus Baden-Württemberg haben nach Angaben des DIHK 2013 Waren für etwa 600 Millionen Euro in die Ukraine ausgeführt, etwa zehn Prozent weniger als im Vorjahr. Dies war allerdings schon vor den Protesten ein Resultat der schlechten Wirtschaftslage in diesem Land. Die Importe in den Südwesten lagen bei 178 Millionen Euro. Im Augenblick wirke sich die Krim-Krise noch nicht auf das Geschäft aus, erklärte ein Vertreter des Landmaschinenherstellers John Deere in Mannheim. Das Unternehmen betrachte die Ukraine aber als strategisch wichtigen Markt für Exporte in verschiedene Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Unter den Ausfuhren des deutschen Maschinenbaus in die Ukraine sind Landmaschinen laut dem Branchenverband VDMA bei Weitem das wichtigste Produkt. Doch schon wegen seiner Größe ist Russland als Handelspartner für Deutschland weit wichtiger als die Ukraine. So hat etwa der Baumaschinenhersteller Liebherr ein Werk im russischen Nischninowgorod, ist in der Ukraine dagegen nur mit einigen Projekten für maritime Krane vertreten. Der Reinigungsgerätehersteller Kärcher aus Winnenden erklärte, die Geschäfte in der Ukraine seien in den vergangenen Jahren gut gelaufen; nun seien sie natürlich schwierig geworden. Der Waiblinger Sägenhersteller Stihl hat in der Ukraine zwar eine kleine Vertriebsgesellschaft, aber ähnlich wie für den Ventilatorenhersteller EBM-Papst in Mulfingen ist auch für Stihl das Land von untergeordneter Bedeutung. Daimler hat nach Angaben einer Sprecherin in der Ukraine keine eigene Niederlassung.