Die Revolution auf dem Maidan ist vorbei. Die Barrikaden stehen neben Souvenirständen, zu denen die Touristen pilgern. Absoluter Renner hier sind die Putin-Klopapierrollen. Oder Schlüsselanhänger in Form einer Barrikade aus Autoreifen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Kiew - Die Putin-Klorolle ist der Renner. „Davon verkaufe ich jeden Tag 30 Stück“, sagt Jewgenii. Begehrt sind auch Armbänder in den Farben der Ukraine und Schlüsselanhänger in Form einer Barrikade aus Autoreifen. Jeden Morgen trägt der junge Ukrainer zwei Campingtische und einen großen Karton voller Revolutionssouvenirs auf den Maidan in Kiew. Dort drapiert er mit Sorgfalt seine Ware, spannt einen Sonnenschirm auf und wartet auf Kundschaft.

 

Seit der ersten Stunde sei er dabei, erzählt Jewgenii voller Stolz. Aus diesem Grund hat er für seinen Stand einen Stammplatz ergattert, was ihm einen gewissen Geschäftsvorteil gegenüber den unzähligen anderen Straßenverkäufern bringt. Er steht neben einem der Hauptlager der Kämpfer, dort wo der Maidan in die Kiewer Prachtstraße Kreschatik übergeht. „Hier kommen die meisten Passanten vorbei.“ Während der Revolte gegen das Regime des Ex-Präsidenten Victor Janukowitsch habe er die Versorgung der Aktivisten mit Essen mitorganisiert, erzählt Jewgenii. Organisieren könne er gut, er sei eben ein waschechter „Biznezmen“.

Voll Alltag wieder eingeholt

Nach dem Sturz des Regimes und dem kurzen Freudentaumel über den Sieg ist Jewgenii schnell vom Alltag eingeholt worden. Ihm hat es offensichtlich keine Schwierigkeiten bereitet, wieder auf Normalmodus umzuschalten. Er habe schon vorher im Souvenirgeschäft gearbeitet, das tue er nun eben auch wieder.

Nur wenige Schritte von Jewgeniis Stand entfernt lebt die Revolution weiter. Eine Handvoll junger Männer in Tarnuniformen fläzen in der Sonne, stemmen mit nacktem Oberkörper Gewichte oder sitzen in martialischer Pose auf der Barrikade, die das Lager umgibt. In einer Ecke lehnt ein Schild, darauf ist mit großen Buchstaben der Satz gepinselt: „Heroji nje wmirajut“ – Helden sterben nicht. Für diese Männer ist dieser Satz ein Versprechen, für ihre Feinde eine Drohung. Die Stimmung in der Gruppe ist ausgelassen, Fremden gegenüber aber gereizt. Reden will keiner. Sie seien auf dem Maidan, um die Demokratie zu verteidigen, raunt einer mit Zigarette im Mundwinkel. Ob er mit den Präsidentschaftswahlen und dem Sieg Petro Poroschenkos nicht zufrieden sei? Keine Antwort. Welche Forderungen sie denn hätten? Keine Antwort. Von einem Lager nebenan weht beißender Qualm herüber. Dort wird auf einem provisorischen Kanonenofen in einer riesigen Schüssel Eintopf gekocht, es ist Mittagszeit.

Eine anachronistische Kulisse aus vergangenen Tagen

Die Männer ahnen, die Revolution ist vorbei. Die Zelte auf dem Maidan wirken inzwischen wie eine anachronistische Kulisse aus vergangenen Tagen. Die Kämpfer in Tarnuniformen, schwarzen Stiefeln und schusssicheren Westen bewegen sich wie Statisten in einem Theaterstück. Die Ukrainer kommen nicht mehr an diesen Ort, um für und über die Demokratie zu streiten. Der Maidan ist an den Wochenenden ein Ausflugsziel für die ukrainische Mittelschicht geworden. Er ist eine Sehenswürdigkeit wie das Höhlenkloster oder das für die EM 2012 umgebaute Fußballstadion. Auf dem Maidan werden Fotos gemacht, Kinder auf den Barrikaden postiert, von ihren Vätern dazu aufgefordert, die Arme in die Hüften zu stemmen und grimmig dreinzublicken. Andere recken lachend ihre Hände zum Siegeszeichen in den wolkenlosen Himmel über Kiew. Es herrscht ausgelassene Sonntagsstimmung.

„Es ist gut, dass die Männer noch hier sind“, verteidigt Anastasia die Zeltstadt, die vor allem den Geschäftsleuten ein Dorn im Auge ist. Der Kreschatik ist für die Reichen die erste Adresse in Kiew. „Die Kämpfe im Osten unseres Landes sind doch der beste Beweis, dass wir die Lage noch nicht unter Kontrolle haben“, sagt die Studentin. Ihre Überzeugung: erst wenn die Demokratie wirklich gefestigt ist, wenn der Einfluss Russlands zurückgedrängt ist, könne der Maidan endgültig geräumt werden. Anastasia ist stolz, Teil dieser Demokratiebewegung zu sein, und will nach den aufregenden Monaten im Winter jetzt weiter helfen.

Sie hat sich einer Gruppe angeschlossen, die sich vorgenommen hat, die Wege zwischen den Barrikaden sauber zu halten. Sie fegen, sammeln Kaugummipapiere auf – ihre orangenen T-Shirts leuchten in der Sonne. Mit ihrem Besen engagiert sich die Studentin dafür, dass der Traum der Revolution nicht vergessen wird.

Unser Autor Knut Krohn hat einige Videos vom Leben am Maidan gedreht. Dieses zeigt den Platz in einer Rundumsicht.

Weitere Videos gibt es hier.