Aus einer von Papst Franziskus unterstützten Befragung der Basis geht ein Arbeitspapier hervor, das alte Wertvorstellungen in der katholischen Kirche auf den Prüfstand stellt.

Rom - Im Vatikan wollten sie, wortwörtlich, „den Puls der Basis fühlen“. Ein Dreivierteljahr später haben sie nun die Ergebnisse dieses amtskirchlich einzigartigen Tastversuchs vorgestellt, und zwar – wie sie sagen – „in realistischer, ehrlicher Weise und ohne die Augen vor irgendeinem Problem zu verschließen, so beunruhigend und unbequem es auch sein mag“.

 

Unterstützt von Papst Franziskus persönlich hatte das Sekretariat der römischen Bischofssynode im Herbst vergangenen Jahres einen Fragebogen an alle Kirchengliederungen der Welt geschickt, um zu erheben, wie es die Katholiken mit der offiziellen Lehre zu Familienleben und Sexualmoral halten. Erbeten waren erstmals nicht nur offizielle, „im stillen Kämmerlein erstellte“ Antworten der einzelnen Bischonfskonferenzen, sondern auch Beiträge von Pfarreien und von nichtklerikalen Gläubigen. Aus der Unmenge an Einsendungen hat das Sekretariat der Bischofssynode unter Kardinal Lorenzo Baldisseri nun eine knapp hundertseitige Zusammenfassung destilliert. Diese wird den Vertretern der Weltbischöfe als Arbeitsgrundlage dienen, wenn sie im kommenden Oktober sowie im Herbst nächsten Jahres zu einer großen, zweiteiligen Beratung über „die seelsorgerlichen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung“ zusammentreten.

Das Überraschende ist nicht, was bei der Fragebogenaktion herauskam. Dass sich die Gläubigen zum Beispiel bei der Empfängnisverhütung eher an eigenen Bedürfnissen orientieren als am vatikanischen Kondom- und Pillenverbot; dass sie entsprechende Moralpredigten als „Einmischung in das Intimleben des Paares und als Einschränkung der Gewissensfreiheit ablehnen“ – das festzustellen, brauchte es keine Umfrage. Neu ist aber, dass derlei Eigenwege der Kirchenbasis erstmals in einem vatikanischen Dokument aufgelistet sind, ohne dass gleich der Moralhammer geschwungen würde.

Keine Einmischung in das Intimleben

Die Diskussion also ist eröffnet. Nur: ob die Lehre dann auch geändert wird, bleibt offen. Das Arbeitspapier – „Instrumentum laboris“ auf Kirchenlatein – verzeichnet ja auch getreu alle jene Eingaben, denen zufolge die Kirche ihren Gläubigen lediglich die Antipillen-Enzyklika „Humanae Vitae“ aus dem Jahr 1968 neu einschärfen müsste, in volksnäherer Sprache und seelsorglich überzeugenderer Argumentation.

Deutlicher kommt der Wunsch nach Veränderung bei einem anderen neuralgischen Thema durch: bei der Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den kirchlichen Sakramenten. Da schreibt das Arbeitspapier zwar die Lehre von der „Unmöglichkeit des Kommunionempfangs“ ohne jede abschwächende Formulierung fest, registriert aber auch etwas Neues. Die seltsam gewundene Formulierung zeigt, wie vermint dieses Gelände selbst für den Vatikan ist. „Einige Bischofskonferenzen“, heißt es da also, „legen den Akzent auf die Notwendigkeit, dass die Kirche sich selbst jene pastoralen Instrumente gibt, durch die sie in die Möglichkeit versetzt wird, eine größere Barmherzigkeit, Güte und Nachsicht im Hinblick auf die neuen Verbindungen üben zu können.“

Differenzierte Sicht auf Homosexualität

In fast staunendem Ton resümiert das Synodensekretariat aus den Umfrageergebnissen, dass die katholische Basis – in westlichen Ländern allerdings nur – praktisch nichts gegen homosexuelle Lebensgemeinschaften hat, auch wenn sich „alle Bischofskonferenzen“ gegen deren gesetzliche Ermöglichung ausgesprochen hätten. „Viele Gläubige äußern sich zu Gunsten einer respektvollen und nicht verurteilenden Haltung gegenüber diesen Menschen sowie zu Gunsten einer Seelsorge, die sie annimmt“, steht im Arbeitspapier. Überhaupt „fordern viele Antworten eine theologische Bewertung der Homosexualität im Dialog mit den Humanwissenschaften, um eine differenziertere Sicht des Phänomens entwickeln zu können“.

Eines ist klar: wenn hinsichtlich der Vermittlung von Kirchenmoral sowohl die „zu laxen“ als auch die „zu unnachgiebigen“ Priester offiziell getadelt werden, dann geht es um ein neues, menschliches Gleichgewicht nicht nur in der kirchlichen Verkündigung, sondern auch zwischen dem konservativen und dem liberalen Flügel. Das riecht nach einer Menge Arbeit.