Winfried Kretschmanns Ansehen hält der Krise stand – trotz Terrorgefahr und überfüllten Flüchtlingsheimen. Doch Grün-Rot steht vor dem Abpfiff, kommentiert StZ-Redakteur Reiner Ruf.

Stuttgart - Zäh ist er schon, der Winfried Kretschmann, jedenfalls zäher, als sich dies die Opposition in Baden-Württemberg jemals vorstellen wollte. Selbst in der Flüchtlingskrise, in der die Grünen mit ihrem Ministerpräsidenten lieb gewonnene Grundsätze über Bord werfen, darf sich Kretschmann in der Wählergunst sonnen und legt bei seinen Popularitätswerten zu. Diesseits des rechten Saums in der Parteienlandschaft führt der 67-Jährige ein einsames, weil unangefochtenes Regiment – Mitbewerber wie den CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf oder den Vizeministerpräsidenten Nils Schmid von der SPD weit hinter sich lassend.

 

Unbeirrt, wenn auch nicht immer munter

Das ist nicht selbstverständlich, auch wenn sich in der Landespolitik seit jeher alle Blicke auf den jeweiligen Ministerpräsidenten richten, in dessen Schatten sich die eigenen Vasallen – von öffentlicher Aufmerksamkeit unbehelligt – ein meist bequemes und die Gegner ein kummervolles Leben einrichten. Kretschmann stand indes anfangs vor einer größeren Aufgabe als seine Vorgänger. Schließlich gelangte er an  die Regierungsspitze als Repräsentant einer Partei, die gerade einmal von einem knappen Viertel der Wählerschaft unterstützt wurde. Die Aussicht, dass Kretschmann mitsamt den Grünen implodieren würde, war nicht gering. Doch implodierte gar nichts – sieht man einmal von der Verzwergung der SPD ab. Stattdessen explodierte Kretschmanns Ansehen, und selbst jetzt, da sich in der Politik ein Wettersturz abzeichnet, regiert der vom CDU-Nachwuchs vorschnell als „alterschwach“ ins Ausdinghäusle verabschiedete Ministerpräsident zwar nicht immer munter, aber doch unbeirrt vor sich hin.

Politische Rechtsdrift

Dabei sind die schönen Themen, mit denen die Grünen antraten, inzwischen in den Hintergrund gerückt. Bürgerbeteiligung oder ökologisch wertvolle Gewässerrandstreifen sind Themen von bleibender Wertigkeit, derzeit stehen aber Antiterror-Pakete und die Begrenzung des Flüchtlingszuzugs auf der Tagesordnung. Das sind keine zentralen Kompetenzthemen der Grünen. Doch Kretschmann hat es verstanden, sich und seine Partei in der durch die Flüchtlingskrise ausgelösten politischen Rechtsdrift mittig zu positionieren. Das heißt: er driftet mit und bleibt damit – relativ gesehen – dort, wo er vorher war: irgendwo in der Mitte. Kretschmann nennt das pragmatischen Humanismus.

Seine Aussichten auf eine zweite Amtszeit sind aber trotz hohen Ansehens begrenzt. Wenn es darauf ankommt, zählt doch das Parteibuch. Die soziokulturell tradierten Parteibindungen sind vorläufig doch fester, als Experten glauben machen wollen. Und auch das Anschwellen der AfD lässt eine eigene Mehrheit für Grün-Rot als  unrealistisch erscheinen. Es bleibt die Wahl zwischen einer Ampelkoalition mit Kretschmann an der Spitze oder einer schwarz-roten Koalition unter Guido Wolf. Eines muss man Kretschmann aber lassen: er hält den Wahlkampf spannend.