An Umfragen herrscht kein Mangel. Aber die Befunde der Wahlforscher sind nicht immer verlässlich. Mit Umfragen lässt sich auch Politik machen. Es wird zunehmend schwieriger, die politische Stimmung im Wahlvolk präzise abzubilden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Der 18. September 2005 war ein schwarzer Tag für Demoskopen. An jenem Sonntag wäre Angela Merkels politische Karriere beinahe zu Ende gewesen, noch bevor sie ins Kanzleramt einziehen konnte. Sie gewann die Wahl nur knapp – viel knapper jedenfalls, als die Umfragen im Vorfeld vermuten ließen. Die Wähler verhielten sich anders, als sich das in den Zahlen der Meinungsforscher anzudeuten schien. Sämtliche Wahlumfragen hatten die Union damals deutlich über 40 Prozent taxiert. Tatsächlich erreichte sie 35,2 Prozent.

 

Das ist kein solitäres Beispiel. Auch am 20. Januar dieses Jahres lagen die Demoskopen falsch. Drei Tage vor der Landtagswahl in Niedersachsen sortierte eine GMS-Umfrage die CDU bei 41, die FDP bei 5 Prozent ein. Am Wahltag war das Ergebnis der Liberalen fast doppelt so hoch, die Christdemokraten lagen bei 36 Prozent.

Noch nie wurden so viele Umfragen gemacht

Ungeachtet solcher Fehlleistungen boomt das Geschäft der Meinungsforscher. „Noch nie wurden so viele Umfragen gemacht“, sagt Manfred Güllner, Chef des Forsa-Instituts und eine der maßgeblichen Stimmen der Branche. Erstmals hat das ZDF in diesem Jahr kurz vor dem Wahlsonntag noch einmal Zahlen präsentiert. Das galt zumindest unter seriösen Medien bisher als tabu, da nicht auszuschließen ist, dass Wähler sich von solchen Projektionen beeinflussen lassen.

Dazu gibt es unterschiedliche Theorien. Die Rede ist unter anderem vom Bandwagon-Effekt. Damit ist gemeint, dass unentschlossene Wähler unter Umständen für jene Parteien stimmen, die als Sieger gehandelt werden. Bei dieser Bundestagswahl könnten die Umfragen bis zum Wahltag selbst allerdings auch einen Mitleidseffekt zu Gunsten der FDP verstärken, die fürchten muss, an der Fünfprozenthürde zu scheitern. Denkbar wäre aber auch das Gegenteil. Wenn die FDP in der Schlussphase abgeschlagen erscheint, könnten einige ihrer Anhänger versucht sein, eine andere Partei zu wählen, um ihre Stimmen nicht zu verschenken. Verlässliche Belege gibt es für keinen dieser Effekte.

Demoskopie ist ein schwieriges Geschäft

Auch wenn man die komplexen Folgewirkungen außer Acht lässt, ist die Demoskopie ein schwieriges Geschäft. Und es wird zunehmend schwieriger. Die Wähler werden immer wetterwendischer. Ein wachsender Anteil entscheidet sich erst kurz vor der Wahl, zum Teil erst im Stimmlokal. Die Gruppe derer, die lange nicht wissen, ob und wen sie wählen, nimmt ebenfalls rasant zu. Das gilt auch für Wechselwähler, die sich keiner Partei dauerhaft verbunden fühlen, sowie für taktische Wähler, die Erst- und Zweitstimme gezielt splitten. All diese Faktoren untergraben die Verlässlichkeit von Umfragen.

Dazu kommen Fehlerquellen, die sich aus dem Verfahren ergeben. Weil die Zahl der Bürger, die über einen Festnetzanschluss verfügen, mehr und mehr abnimmt, suchen die Institute ihr Publikum für Umfragen zunehmend im Internet. Das könnte aber die Ergebnisse verzerren, weil online ganz andere Leute angesprochen werden als telefonisch. Richard Hilmer, Chef des Instituts Infratest dimap, erläutert das an einem krassen Beispiel: Nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten Christian Wulff sei online abgefragt worden, ob Joachim Gauck der richtige Mann für das höchste Staatsamt sei. 26 Prozent antworteten Ja, 71 Prozent Nein. Zwei Tage später habe es eine Telefonumfrage zur gleichen Frage gegeben. Da votierten 70 Prozent mit Ja, 19 Prozent mit Nein.

Die präzisen Exit Polls

Die üblichen Wahlumfragen bewegen sich näher an den Ergebnissen, die sich letztendlich aus den Stimmzetteln errechnen lassen. Allerdings liegt die Fehlerquote für große Parteien bei drei, für kleine bei 1,5  Prozentpunkten. Wenn man die letzten Umfragen vor einer Wahl mit dem tatsächlichen Wahlergebnis vergleicht und alle Abweichungen zusammenzählt, so bewegt sich die Kluft zwischen den Zahlen der Demoskopen und den offiziellen Resultaten in der Summe zwischen drei und zehn Prozentpunkten.

Viel präziser sind die Prognosen, die am Wahlabend Punkt 18 Uhr veröffentlicht werden. Sie beruhen auf Umfragen vor den Wahllokalen, sogenannten Exit Polls. Dazu werden bis zu 100 000 Bürger befragt, nachdem sie ihren Stimmzettel abgegeben haben. Infratest dimap lässt zu diesem Zweck 1500 Mitarbeiter ausschwärmen. Stichproben werden in 640 Stimmbezirken bundesweit erhoben. Die Zielpersonen werden gebeten, auf einem Fragebogen anzukreuzen, wie sie gewählt haben – auch bei früheren Wahlen. So lassen sich auch Rückschlüsse auf Wählerwanderungen ziehen. Die Fragebögen werden in einer Art Urne gesammelt, einer blauen Box.

Die Wähler geben gern Auskünfte

Die Bereitschaft, bei diesen Umfragen mitzuwirken, ist vergleichsweise hoch. Sieben von zehn angesprochenen Wählern geben freiwillig Auskünfte. Laut Infratest dimap lag die Summe der Abweichungen zwischen Prognose und amtlichem Endergebnis in den neunziger Jahren um die fünf Prozentpunkte. Inzwischen betrage sie nur noch zwei Prozentpunkte. Auf einzelne Parteien heruntergebrochen entspricht das 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte.

Noch genauer sind die Hochrechnungen, die Exit Polls mit den Endergebnissen einzelner Stimmbezirke abgleichen. Bei der letzten Bundestagswahl wichen die Hochrechnungen ab 20 Uhr um weniger als einen Prozentpunkt vom realen Ergebnis ab. Bei der ersten Hochrechnung um 18.16 Uhr waren es noch 1,6 Punkte.