Es ist eine der spektakulärsten und umstrittensten Entscheidungen in der Geschichte des Friedensnobelpreises: die Europäische Union erhält die weltweit wohl angesehenste Auszeichnung für ihren „Beitrag zu Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten über sechs Jahrzehnte hinweg“.

Stockholm - Es ist eine der spektakulärsten und umstrittensten Entscheidungen in der Geschichte des Friedensnobelpreises: die Europäische Union erhält in diesem Jahr diese weltweit wohl angesehenste Auszeichnung für ihren „Beitrag zu Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten über sechs Jahrzehnte hinweg“. Der mit umgerechnet 930.000 Euro dotierte Preis wird am 10. Dezember in Oslo verliehen.

 

Wie Torbjörn Jagland, der Vorsitzende des Nobelkomitees, am Freitag in Oslo verkündete, habe die EU maßgeblich dazu beigetragen, dass aus einem „Kontinent des Krieges ein Kontinent des Friedens“ wurde. Dies überschattet nach Ansicht des Komitees die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme und sozialen Unruhen, die Europa gegenwärtig prägen. Die Auszeichnung sei als historische Anerkennung zu sehen, aber auch mit aktuellem Blickpunkt: die kommende Aufnahme Kroatiens, die Verhandlungen mit Montenegro und der Kandidatenstatus für Serbien hätten zur Stärkung der Demokratie auf dem Balkan beigetragen, „wo die Menschen einander vor nicht allzu langer Zeit noch abschlachteten“, sagte Jagland.

Mit dieser Entscheidung tilgt das Nobelkomitee eine „Unterlassungssünde“, wie Geir Lundestad, der Direktor des Nobelinstituts, das Übergehen der EU früher bezeichnet hat. Von der deutsch-französischen Versöhnung über die Stabilisierung in Südeuropa bis zur Einbeziehung der ex-kommunistischen Staaten Ost- und Mitteleuropas in die europäische Zusammenarbeit habe die EU zu Frieden und Stabilisierung des Kontinentes beigetragen.

Auszeichnung der EU entspreche nicht dem Testament Nobels

Die Sündentilgung kommt jedoch, wie Kritiker meinen, zum schlechtest denkbaren Zeitpunkt. Nach dem Willen des Preisstifters Alfred Nobel soll der Preis an jenen vergeben werden, der „im vergangenen Jahr“ am meisten zu Versöhnung und Verbrüderung beigetragen hat. Die EU war zuletzt jedoch von der Zerreißprobe um Finanzkrise und Euro geprägt. „Hätte die EU diese Krise in Solidarität bewältigt, wäre sie ein würdiger Kandidat gewesen“, sagte Jan Egeland, der Direktor des Außenpolitischen Instituts in Oslo, am Vorabend der Preisvergabe. So jedoch entspreche der Preis nicht dem Testament Nobels.

Dass Jagland, seit 2009 Vorsitzender des Nobelkomitees und gleichzeitig Generalsekretär des Europarates, ein glühender Anhänger der EU ist, ist seit langem bekannt, und es war auch erwartet worden, dass er versuchen würde, die Union für den Friedenspreis zu lancieren. Überraschend kommt jedoch, dass es ihm gelang, sich im fünfköpfigen Komitee durchzusetzen, in dem auch entschiedene EU-Gegner sitzen. Die Entscheidung dort soll einstimmig gefallen sein. In der norwegischen Bevölkerung, die zweimal in Referenden Nein zu einem EU-Beitritt sagte, ist die Europabegeisterung zurzeit so lau wie nie zuvor. Nur noch jeder Fünfte würde laut Umfragen eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union begrüßen.

In den Spekulationen vor der Preisverleihung gehörte die EU seit Jahren zu den Dauerbrennern, meist gemeinsam mit Altbundeskanzler Helmut Kohl für dessen Einsatz für die Einigung Deutschlands. Doch wie mit zunehmender Krankheit Kohls Chancen schwanden, galt auch die Wahl der EU mehr und mehr als unwahrscheinlich. Der richtige Zeitpunkt für die Ehrung schien verpasst - bis Jagland es nun anders wollte. Er war es auch, der in seinem ersten Jahr im Amt nahezu im Alleingang die Würdigung von US-Präsident Barack Obama durchsetzte - eine Wahl, die mittlerweile wohl nur noch Jagland selbst für richtig hält.