Die neue Landesbauordnung ärgert Handwerk, Bauindustrie und Wohnungsbau-Genossenschaften: die Vorschriften seien teuer und teilweise unsinnig, heißt es. Ungeachtet der Proteste will Grün-Rot an den Änderungen festhalten.

Stuttgart - Seit dreieinhalb Jahren wird Baden-Württemberg von Grün-Rot regiert. Damit man das auch sieht, hat sich das Verkehrs- und Infrastrukturministerium einige Änderungen in der Landesbauverordnung vorgenommen. Bei Neubauten sollen die Dächer und Fassaden grüner werden, es soll mehr mit mehr Holz gebaut werden und statt Parkplätze fürs Auto zu schaffen, sollen überdachte Fahrradständer entstehen. Wer mag, kann sich noch ein kleines Windrad oder eine Solaranlage aufs Dach oder in seinen Garten stellen. Bauen soll ökologischer und sozialer werden, lautet die Botschaft aus dem Ressort von Winfried Hermann (Grüne). Anfang November will Grün-Rot das Gesetz in zweiter Lesung durch den Landtag bringen.

 

Handwerk und Bauwirtschaft befürchten höhere Baukosten

Doch die ökologisch-korrekten Pläne kommen im Land der Häuslebauer nicht überall gut an. Zumal wenn sie im Verdacht stehen, Mehrkosten zu verursachen und die ohnehin hohen Baukosten und teuren Mieten weiter in die Höhe zu schrauben. Der baden-württembergische Handwerkertag, die Landesvereinigung Bauwirtschaft und die baden-württembergische Arbeitsgemeinschaft der Haus- und Grundbesitzer sowie die privaten und öffentlichen Wohnungsbaugenossenschaften laufen seit Monaten Sturm gegen die Gesetzesnovelle. Auch der baden-württembergische Landesverband des Deutschen Mieterbundes fordert, der Staat müsse sich durch eine angemessene Wohnraumförderung an den Mehrkosten beteiligen, die die Gesetzesänderung hervorruft.

Doch Infrastrukturminister Hermann zeigt sich unbeeindruckt von den Protesten. Auch eine Anhörung der Kritiker am 24. September brachte keinen nennenswerten Fortschritt. Die Verbände seien zwar angehört worden, ein Umdenken aber habe nicht stattgefunden, resümiert Sigrid Fessler vom Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen (vbw), der 450 000 Wohnungen und damit ein Zehntel aller gut 4,5 Millionen Wohneinheiten im Südwesten in seinem Bestand hat.

Die Landesregierung schieße mit ihren Auflagen einfach zu weit über das Ziel hinaus. „Die geplanten Änderungen stellen eine Bevormundung und einen weitgehender Eingriff in die Eigentumsrechte der Bürger dar“, stellt vbm-Chefin Fessler fest. „Diese Landesregierung tut alles, um das Bauen teurer zu machen“, fasst Otmar Werneke von Haus & Grund seinen Eindruck zusammen. Die Hausbesitzervereinigung vertritt mehr als als 160 000 Immobilienbesitzer im Südwesten. Die empörten Verbände wundern sich indessen, dass die CDU/FDP-Opposition die Auflagen für sich noch nicht so richtig als Aufregerthema für den kommenden Landtagswahlkampf entdeckt hat.

Beispiel Dach- und Fassadenbegrünung: Die wird künftig vorgeschrieben, wenn ein Neubau in einem verdichteten Wohngebiet keinen Garten hat. Ein begrüntes Dach soll sich günstig auf den Sauerstoff- und Wasserhaushalt auswirken und als Regenwasserspeicher dienen. Bei einer 100-Quadratmeter-Wohnung erzeuge das Mehrkosten von mehr als 4000 Euro, erläutert Fessler. Fassadenbegrünungen durch Efeu oder wilden Wein seien billiger zu haben, doch die sich rankenden Pflanzen erfreuten sich wegen der Beschädigung der Fassaden nicht gerade großer Beliebtheit.

Die Bauherren empfinden die Vorgaben als „Regelungswut“

Wer auf seinem Dach noch ein Plätzchen frei hat, kann sich bald – weitgehend verfahrensfrei – eine Solaranlage daraufstellen lassen. Wer über einen Garten verfügt, soll dort ebenfalls ohne großes Federlesens eine kleine Windkraftanlage installieren können. „Das klappert Tag und Nacht – was sicherlich den Nachbarn freut“, sagt Haus & Grund-Vorstand Werneke, der allerhand Gründe für neue juristische Streitigkeiten voraussagt.

Oskar Vogel, Hauptgeschäftsführer des baden-württembergischen Handwerkertags, wünscht sich ebenfalls, dass Grün-Rot Bauherrn mehr Freiheit in Entscheidungen lassen und Anreize eher in Form finanzieller Förderung schaffen solle, statt in einer „Regelungswut“ alles bestimmen zu wollen.

Das Ministerium weist diesen Vorwurf mit dem Hinweis zurück, das Gesetz lasse jede Menge Spielraum zu. Die Dachbegrünung etwa käme „Gebieten mit starker Versiegelung“ zu Gute, wie sie in Großstädten zu finden seien. Ähnliche Vorschriften existierten seit Mitte der 1990er Jahre in Mannheim und in Nordrhein-Westfalen, ohne dass dort negative Erfahrungen bekannt geworden seien. Auch das Argument die Novelle erzeuge Mehrkosten, lässt das Ministerium nicht gelten. „Die Maßnahmen dürften im Vergleich zu den Gesamtbaukosten kaum ins Gewicht fallen“, beschwichtigt ein Sprecher. Die Auflagen sollten für Eigentümer „wirtschaftlich zumutbar“ gestaltet werden. Doch das sei ein reichlich „unbestimmter Rechtsbegriff“, räumt auch das Ministerium ein – und biete ein weiteres Einfallstor für Rechtsstreitigkeiten.

Beispiel überdachte Fahrradstellplätze: Diese Neuregelung erregt die Kritiker in den Verbänden besonders. Sie hatten vorgerechnet, dass die kaum unter 1500 Euro zu haben sein dürften. Man habe gerade noch erreichen können, dass die Häuschen nicht auch noch diebstahlsicher sein müssten, erinnert sich die Verbandsfrau Fessler.

Die Vorschrift zur Barrierefreiheit schrecke Käufer ab, meint Haus & Grund

Der baden-württembergische Handwerkertag ist besorgt, dass auf seine 132 000 Betriebe im Land zusätzliche Kosten zukommen, wenn sie erweitern wollten und dafür auch noch wetterfeste Stellplätze für Räder errichten müssten – unabhängig davon, ob ein Bedarf da sei. Der ohnehin knappe Parkraum werde zudem künstlich verkleinert, da Grüne und SPD zugleich die Verpflichtung für die Bauherrn lockern wollten, in gleichem Maß wie bisher Pkw-Stellplätze zur Verfügung zu stellen. Die Handwerker aber seien darauf angewiesen, ihre Geschäftswagen nah beim Kunden zu parken. Das Ministerium verweist darauf, dass mit den Einnahmen aus der Ablösung von Parkplätzen „Anreize für Carsharing-Stellplätze“ entstünden. Für die Handwerker ist das wohl ein eher schwacher Trost.

Neu ist auch die Vorschrift, dass in Neubauten mit mehr als zwei Wohnungen eine weitere, barrierefreie Wohneinheit pro Geschoss mit einziehen muss. Behindertengerechte Wohnungen aber seien am freien Markt aus psychologischen Gründen schlechter vermittelbar als andere, erläutert Haus&Grund-Chef Werneke. Breite Türen, Wohn- und Schlafräume sowie Toiletten mit Haltegriffen, sprächen jüngere Käufer nicht an. „Da gibt es eine natürliche Hemmschwelle.“ Begrünt und barrierefrei soll es auch in Triberg, Hornberg oder Messtetten zugehen. Ein zusätzliches Hindernis, findet Werneke, denn schon jetzt sei es schwer, im ländlichen Raum Investoren für Neubauten zu finden.

Immerhin, übt sich vbm-Chefin Fessler in Humor, habe man im Ressort von Winfried Hermann erreichen können, dass die Abstellflächen für Kinderwagen und Gehhilfen nicht auch noch zwingend vorgeschrieben sind. Die Landesvereinigung Bauordnung hatte bereits gespottet, dass in Baden-Württemberg sonst künftig wohl auch in Studentenwohnheimen ein Platz für Rollatoren geschaffen werden müsste.

Die Landesbauordung

Die Bauverordnung (BauO) oder Landesbauordnung (LBO) ist in Deutschland wesentlicher Bestandteil des öffentlichen Baurechts. Einem Rechtsgutachten des Bundesverfassungsgerichts zufolge liegt die Kompetenz für das Bauordnungsrecht bei den Bundesländern. In Baden-Württemberg soll das Baurecht unter Grün-Rot künftig mehr nach ökologischen, sozialen und sicherheitstechnischen Gesichtspunkten ausgerichtet werden. Die Landesbauordnung soll deshalb in einer Gesetzesnovelle in maßgeblichen Teilen geändert werden. Eckpunkte der Änderungen sind etwa neue Regelungen für KfZ- und Fahrradstellplätze, die Einführung von Rauchwarnmeldern, die bessere Nutzung von regenerativen Energieerzeugern sowie neue Bestimmungen zur Begrünung von Fassaden und Dächern.