72 Jahre nach der Verwüstung der Stadt verursacht ein Mahnmal aus drei hochkant gestellten Bussen Aufregung. Es gibt Demonstrationen und sogar eine Morddrohung. Nun ist es stiller, die Menschen bilden eine Kette – und der Oberbürgermeister findet die richtigen Worten zur rechten Zeit.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Dresden - Vollkommenes Frühlingswetter“, steht im Tagebuch des Philologen Victor Klemperer, einem der letzten verbliebenen Juden in Dresden. Es ist der 13. Februar 1945, der Tag, an dem 1400 alliierte Bomber über die Stadt fliegen, abwerfen und eine Trümmer- und Totenlandschaft hinterlassen. 72 Jahre her, sagt der Kalender, „der kalte Buchhalter im Büro der Geschichte“, wie Erich Kästner notierte. Noch ein großer Sohn der Stadt.

 

Für vollkommenes Frühlingswetter ist es 2017 etwas zu kalt. Trotzdem haben die Bistrotische bereits Ausgang in der Stadt, und die Szenerie zwischen allen Elbbrücken schaut in der Sonne aus, als sei sie Bestandteil der Ausstellung, die gerade im Albertinum eröffnet hat: „Unter italischen Himmeln“. Die „gute Stube“ halt, wie die Dresdener gerne sagen: in der Mitte, also rund um die wiedererbaute Frauenkirche, derart penibel und sandgestrahlt hergerichtet, dass man sich immer wähnt wie in einem historischen Legoland.

Vor den Bussen bleiben viele Leute stehen und sind empört

Mitten in der guten Stube allerdings stehen seit einer Woche auch drei rostige Linienbusse, die früher, sehr viel früher, wie man auf den verschrammten Werbeflächen sieht, einmal durch Bayreuth gefahren sind, bis sie schrottplatzreif waren. Der Künstler Manaf Halbouni aus Damaskus, seit 2009 Meisterstudent an der Akademie und Dresdner Bürger, hat sie unter dem Titel „Monument“ auf einen Betonsockel hochkant gesetzt. Vorbild war ein Bild des Fotografen Ammar Abdullah, das er in Aleppo vor zwei Jahren für die Agentur Reuters aufgenommen hatte: Im syrischen Aleppo dienten drei ähnliche Fahrzeuge als Schutz für die Zivilbevölkerung vor Scharfschützen. Das Bild ging um die Welt.

Jetzt geht wieder ein Bild herum. Vielleicht nicht um die Welt, aber zumindest in Deutschland. Es sind die drei Busse in Dresden – dass Halbouni sie kopfüber vor der Frauenkirche geparkt hat, nimmt die Bevölkerung ihm vor Ort teilweise übel. Wenn man ein paar Stunden vor den Bussen stehen bleibt, bekommt man dutzendfach Stichworte der Empörung geliefert. Kleine Sammlung: „Kunst kommt von Können, sonst hieße es Wunst.“ – „Die gehören nicht auf den Neumarkt, sondern vor Downing Street oder das Weiße Haus. Wir sind nicht verantwortlich für den Krieg in Syrien!“ – „Armes Deutschland. Für so was wird Geld ausgegeben.“ – „Falscher Platz, falscher Zeitpunkt.“ – „Die hätten für das Geld lieber eine Hilfsladung nach Aleppo schicken sollen!“ Und so fort. Das sind die Lauten. Die Lauten wollen, wenn sie fertig sind, ihre Namen lieber nicht sagen.

Die Stillen knüpfen eine weiße Rose an die Gitter

Die Stillen, und das sind die meisten, knüpfen eine weiße Rose an die Gitter unter den Bussen und lesen ein Gedicht auf einem Blatt Papier, das jemand aufgehängt hat. Es ist ein altes Gedicht des sächsischen Dichters Reiner Kunze, der in der DDR, hinter dem sogenannten antifaschistischen Wall, als Regimekritiker, weil er die Wahrheit sagte, nicht erscheinen durfte und so lange drangsaliert wurde, bis er ging, gehen musste, ein Aussätziger. Der Anfang: „Wir haben ein Dach / und Brot im Fach / und Wasser im Haus / da hält man’s aus . . .“

Es ist im Ton ein Nachkriegsgedicht, ein bisschen unbeholfen noch, aber es holt in seiner Einfachheit und im simplem Glauben an das Menschliche noch einmal etwas zurück, was hinter all den bunthübschen Dresdner Fassaden in der letzten Zeit vielleicht manchmal zu verschwinden drohte. Es sah hier nämlich auch mal anders aus. Vor 72 Jahren sowieso, aber eben auch noch vor gut einem Vierteljahrhundert, als Helmut Kohl, mit der heute polierten schwarzen Luther-Statue im Rücken, im Dezember 1989 in Dresden sprach und danach befand, „die Sache ist gelaufen“. Er meinte: die Einheit.

Der OB von Dresden wird angefeindet

Dirk Hilbert, der heutige Oberbürgermeister von Dresden, war gerade volljährig geworden, als Kohl damals redete. Heute ist er 45 Jahre alt. In Dresden geboren, Elektroingenieur, Abendschule, Studium, in Dresden geblieben in der Kommunalverwaltung, bis auf eine berufliche Episode im Westen. Nicht erst seit einer Woche, seit das Mahnmal auf dem Neumarkt aufgebaut wurde, ist Hilbert – eigentlich bei der FDP, 2015 jedoch gewählt als Mitglied der Unabhängigen Bürger Dresdens (im Übrigen von allen Fraktionen, auch von der AfD) – persönlich ein Stein des Anstoßes.

Ihren Ausgangspunkt hat eine zunehmende Opposition gegen ihn dabei auch in der Frage des Gedenkens an den 13. Februar genommen, das in Dresden traditionell mit stillem Erinnern an der Frauenkirche und einem offiziellen Teil auf dem Heidefriedhof begangen wurde, wo die meisten Toten der Bombennächte bestattet wurden. Die SED widmete den Ort zum „Ehrenhain für die Bombenopfer“ um. In den sechziger Jahren wurde die Anlage erweitert und den „Opfern des Faschismus“ gewidmet. Darunter waren natürlich auch Täter. Kranzniederlegungen verkamen zu einem seltsam routinierten Ritual.

Der Oberbürgermeister schaut genauer hin als andere

Seit 2010 steht auf dem Heidefriedhof eine Skulptur von Malgorzata Chodakowska, und sie ist so unmartialisch wie ein Kunstwerk nur sein kann: ein junges Mädchen mit Pferdeschwanz hält den Kopf traurig gesenkt, die Arme gekreuzt. Vor ihr die Massengräber. Unweit der Stelle bettet der Dresdner Finanzbürgermeister Peter Lames am Gedenktag nun ein Gebinde in den Stadtfarben Gelb-Schwarz, assistiert vom Rabbiner der Jüdischen Gemeinde, Alexander Nachama. Auch die NPD und die AfD legen Kränze nieder. Im Gefolge steht der Holocaust-Leugner und Hetzredner Gerhard Ittner aus Franken. Die Stadt kann nichts gegen ihn tun, so wenig, wie sie Björn Höcke daran hindern kann, die Leute in Hinterzimmern pseudonational aufzuwiegeln. Aber sie tut etwas anderes, und das steht auch im Zusammenhang mit dem Oberbürgermeister Dirk Hilbert, der inmitten aller Aufregungen und kleinlichen Streitereien, die groß wirken wollen, aussieht wie zementiert: in der Wirklichkeit.

Hilbert ist seit vielen Jahren verheiratet mit einer südkoreanischen Sängerin, Su Yeon. Sie ist Mitglied im Erfurter Opernchor und vermutlich nicht der einzige Grund, warum er genauer auf die Welt schaut als andere, denen Dresden und Deutschland genug wären und die gerne unter sich blieben. Von einem Treffen mit Amtskollegen aus Süditalien hat Hilbert im Dezember Erfahrungen über das Schicksal der Flüchtlinge auf Lampedusa mitgebracht, und wie Papst Franziskus sah er angesichts dieser Probleme „die unseren doch ziemlich klein“ werden. Zusätzlich zur Installation von Manaf Halbouni – und zu den alle Bürger verbindenden Abenden des Staatsschauspiels Dresden – ermöglichte er auf dem Platz vor der Semperoper eine weitere Demonstration: Lampedusa 361. Es sind 90 auf Matten gedruckte Bilder von Flüchtlingsgräbern auf sizilianischen Friedhöfen, und die Dresdner studieren sie mit großer Anteilnahme und in aller Stille. Manche stundenlang. Die Stadt mag häufig gerne einen Weg um die Moderne herum machen, um sich, barock oder klassizistisch, der „süßen Krankheit Gestern“ hinzugeben, wie das manchmal selbstironisch, aber doch hingegeben heißt. Hier nicht.

Via Facebook kam die Morddrohung – er und seine Familie stehen unter Polizeischutz

4600 Flüchtlinge leben in Dresden. Das ist im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten nicht viel, aber genau deshalb legt Hilbert Wert darauf, dass alle ihren Platz finden können sollen und keine Angst haben müssen. Anders als seine Vorgänger im Amt geht er auch auf die Straße. Obwohl er nach der Eröffnung von Halbounis „Monument“ via Facebook Morddrohungen bekam – seine Familie und er stehen unter Polizeischutz –, mischt er sich bei der genehmigten Kundgebung der NPD offensiv unter die Gegendemonstranten. Das kennen sie in Dresden nicht: einen Oberbürgermeister, der sich widersetzt. Was sie auch nicht kennen: einen Oberbürgermeister, der seiner eigenen Stadt die Wahrheiten nicht erspart. Dresdens Ruf im In- und Ausland hat gelitten, vor allem unter den Pegida-Demonstrationen, die für eine Woche ausgesetzt sind. Der Besucherrückgang der stark vom Tourismus abhängigen Stadt ist erheblich. Seit Januar gibt es, um die Übernachtungszahlen nach oben zu bringen, die von der Dresden-Information organisierte Aktion: „Urlaub in deiner Stadt“. Wer mag, kann für 29 Euro in einem der zahlreichen Vier- oder Fünfsternehäuser übernachten. Über 3000 Zimmer an zwei Wochenenden bisher wurden gebucht. Wer da wie mit anderen Augen auf seine Heimat schaut, weiß man nicht.

Was man aber weiß nach diesem ohne Pfeifkonzerte, Störungen oder Ausschreitungen absolut würdig verbrachten Gedenktag zum 13. Februar, ist, dass Dirk Hilbert so schnell keine Angst bekommt vor der eigenen Courage. Vis-à-vis von der Frauenkirche, vor dem Mahnmal „Monument“, hält Hilbert seine letzte Rede an diesem Tag, ausdrücklich gegen den „Opfermythos“ gerichtet, den unter anderen Pegida stets beschwört. Gerade in Dresden, einer „Hochburg der Nazis“, habe die Bevölkerung „Schuld auf sich geladen“, auch wenn eine „Stadt an sich weder schuldig noch unschuldig“ sein könne. Daraus wiederum ergebe sich in einer globalisierten Welt die Verpflichtung, das Leid anderer zu teilen. Hinter Hilbert steht Stanislaw Tillich, der Ministerpräsident Sachsens, von dem man sich genau so eine Aussage immer gewünscht hätte. Tillich ist sie in dieser Deutlichkeit schuldig geblieben. Auch das gehört zur Geschichte.

Unter dem Abendstern bildet sich dann eine lange Kette von Menschen, die das machen, was sie jetzt hier öfter machen wollen: andere, Unbekannte an die Hand nehmen. Schließlich tut Dresden zehn Minuten lang etwas, wozu manchmal mehr Mut gehört als zu schreien: Dresden schweigt.