Ein Bordell gehört nicht ins Wohngebiet an der Scharnhauser Straße in Plieningen. Das findet eine Gruppe von Anwohnern, die sich seit geraumer Zeit gegen die Umtriebe in ihrer Nachbarschaft zur Wehr setzt.

Plieningen - Was die Nachbarn so treiben, ist den Menschen in den seltensten Fällen gänzlich egal und führt häufig zu Konflikten. Eine gewisse Verschärfung erfährt das Ganze freilich, wenn im Nachbarhaus Prostituierte ihre Dienste an den Mann bringen und die Anwohner davon einiges mitbekommen.

 

Heruntergelassene Rollläden

„Es geht einfach nicht, dass es so etwas hier gibt“, sagt der junge Mann und meint damit den käuflichen Sex, der in einer Doppelhaushälfte an der Scharnhauser Straße angeboten wird. Im Namen der Nachbarschaft hat er sich an unsere Zeitung gewandt, möchte aber seinen Namen nicht öffentlich preisgeben, genauso wie seine Nachbarn aus den insgesamt sieben Parteien zählenden Häusern. Sie befürchten Repressalien seitens des Bordellbetreibers. Etwas anderes als ein veritables Bordell ist das leicht schäbige, aber doch unschuldig wirkende Häuschen aus der von behördlicher Seite bestätigten Sicht der Anwohner nicht. Und sie haben wahrlich freie Sicht auf das Etablissement mit den heruntergelassenen Rollläden, sehen die Freier kommen und gehen – und bisweilen noch mehr von ihnen: „Die klingeln öfter bei uns und fragen nach dem Weg“, erzählt eine Frau, die mit ihrer Familie neben dem, wie sie es nennt, „Püffle“ wohnt.

Ihre Nachbarin ist froh, dass ihre Klingel nicht funktioniert, denn sie und ihre Familienangehörigen sind ohnehin geplagt genug von dem Verkehrslärm im übertragenen Sinne: „Immer an Feier- und Brückentagen geht’s hier ab. Die Uhrzeit spielt dabei keine Rolle“, sagt die zweifache Mutter. „Mein 15-jähriger Sohn glaubt, da wohnt ein Ehepaar, das sich gerne hören lässt“, sagt die Frau, die ihr Haus erst vor einem Jahr gekauft hat und es am liebsten wieder zurückgegeben hätte, nachdem sie des Gewerbes nebenan gewahr geworden war: „Ich bin nicht verklemmt, und mir ist es egal, wenn es weit weg passiert. Aber man weiß ja nie, was für Männer das sind, die da hingehen.“

Diese Befürchtung teilt sie mit den anderen Nachbarn. „Bei denen, die da hingehen, ist die Hemmschwelle vielleicht niedriger“, sagt der junge Anwohner und verweist auf die Kinder, die in der Nachbarschaft wohnen oder deren Schulweg dort entlangführt, aber auch auf die pubertierende Nachbarstochter. Ein weiterer Grund für Besorgnis sei der Zuhälter. Der sei „hochaggressiv“ und habe den jungen Besitzer einer Eigentumswohnung bei ihrer ersten Begegnung schon wegen einer Banalität „aufs Übelste beschimpft“.

Briefe an den Bürgermeister

Ihre Bedenken haben die Anwohner vor geraumer Zeit den Behörden mitgeteilt. Im Januar 2014 ging ein erstes Schreiben an Stuttgarts Baubürgermeister Matthias Hahn, das damit beschieden wurde, dass es keine Möglichkeit gebe, Wohnungsprostitution zu unterbinden. Zwei Monate später hatte die Stadt offenbar ihre Meinung geändert und bestätigte schriftlich, „dass das nicht sein kann“, wie der Adressat es formuliert. Sowohl Schrift- als auch Geschlechtsverkehr nahmen ihren Lauf, zuletzt teilte Hahn im Februar dieses Jahres brieflich mit: „Das Baurechtsamt wird nun gegen diesen Betreiber entsprechende Maßnahmen ergreifen.“

Tatsächlich ergreift das Baurechtsamt in Sachen Scharnhauser Straße schon zum zweiten Mal diese Mittel: „Die Nutzung von dem Gebäude zu Bordellzwecken wurde schon vergangenes Jahr untersagt“, sagt Kirsten Rickes, Leiterin des Baurechtsamts. Zur Freude der Nachbarn schloss die Einrichtung im Januar, die da nach Auskünften der Stadt noch auf eine Betreiberin lief, dann wirklich – um nur kurze Zeit später mit neuem Betreiber wieder zu öffnen. „Im März hat uns die Polizei mitgeteilt, dass der Betrieb wieder aufgenommen wurde. Ein paar Tage später haben wir den neuen Betreiber angeschrieben“, berichtet Rickes. Auch ihm sei auseinandergesetzt worden, dass sein Etablissement im Sinne des Baurechts „formell und materiell unzulässig“ sei – formell, weil es nicht genehmigt ist, und materiell, weil es nicht genehmigungsfähig ist. „Das Haus ist nur für eine Wohnnutzung genehmigt. Für ein Bordell wäre baurechtlich eine Nutzungsänderung nötig, und die werden wir nicht genehmigen, weil der Bebauungsplan dort ein sogenanntes besonderes Wohngebiet vorsieht. Und das schließt solche Nutzungen aus“, erläutert Rickes.

Langwierige Angelegenheit

Doch damit hat sich die Sache nicht: Der Bordellbetreiber hat sich laut Rickes einen Anwalt genommen, und derzeit laufe das Anhörungsverfahren. Wie lange das dauert, kann Rickes nicht sagen: „Es ist nicht so, dass man da einfach zuschließen kann. Selbst wenn wir die Nutzung untersagen, kann derjenige Widerspruch einlegen, und dann geht der Fall ans Regierungspräsidium. So etwas ist oft langwierig“, sagt die Amtschefin, die verstehen könne, dass das für die Nachbarn dann so aussehe, als mache keiner etwas.

Was Rickes in der Tat nicht machen kann, ist den Anwohnern allzu viel Hoffnung auf ein Leben in einer prostitutionsfreien Zone: Wenn die Nutzungsuntersagung durch ist und die Freier dann trotzdem noch ein- und ausgehen, wird das Haus nicht etwa verriegelt. Denn nach dem Verwaltungsrecht müssen erst einmal Zwangsmittel ergriffen werden, und die beginnen beim Zwangsgeld, das in steigender Höhe verhängt wird – während es in der Horizontalen weitergeht wie gehabt. Da helfen auch die rund 30 Unterschriften nicht, die die Anwohner gegen die unliebsame Einrichtung gesammelt haben.

Das „Püffle“ an der Scharnhauser Straße ist nicht das einzige in Plieningen, das das Baurechtsamt im Visier hat: Auch an der Fraubronnstraße und an der Neuhauser Straße soll dem Treiben Einhalt geboten werden. Dabei lenkt besonders der Betrieb an der Neuhauser Straße den Blick auf einen anderen Aspekt der Prostitution in den Wohnhäusern: „Alle zwei bis drei Wochen kommt ein Kleinbus mit rumänischem Kennzeichen und bringt sozusagen Frischfleisch“, berichtet ein an der Neuhauser Straße wohnender Mann und spricht von „relativ jungen“ Frauen.

Die Prostituierte legt auf

Ob sie ihre Körper anbieten, weil sie es selbst möchten, darf wohl bezweifelt werden. Genauso wie Katerina, die an der Scharnhauser Straße arbeitet, möglicherweise nicht aus Kolumbien kommt, wie die Internetanzeige die Freier glauben machen will: Deutsch spreche sie nicht, sagt sie am Telefon, sie spreche Spanisch. Auf die Ansprache in ihrer angeblichen Muttersprache reagiert sie mit Auflegen.

„Die Kollegen überprüfen die Objekte regelmäßig, führen Personenkontrollen durch und versuchen, mit den Frauen ins Gespräch zu kommen. Man bietet ihnen an, jederzeit zur Polizei zu kommen, gibt ihnen Adressen für die Ausstiegshilfe und Flyer in verschiedenen Sprachen“, sagt der Polizeisprecher Thomas Geiger. Das Problem in diesem Bereich sei aber, dass die Polizei ohne Aussagen nichts machen könne. Wenn sich besorgte Anwohner an die Polizei wenden, müsse oft gesagt werden: „Das ist bekannt, aber wenn keine Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten vorliegen, haben wir keine Handhabe.“ Und aus polizeilicher Sicht sei ohnehin keiner der 183 im Jahr 2013 gezählten Rotlichtbetriebe in Stuttgart illegal. Hier müssen das Baurecht oder die Vergnügungsstättensatzung greifen. Das älteste ist anscheinend auch ein überaus standfestes Gewerbe.