Mit neuen Ansätzen versuchen Ökonomen, den wahren Wert von Ökosystemen zu ermitteln.

Stuttgart - Vor zwei Jahren führte die Explosion der Bohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko zu immensen Schäden an der Umwelt – und zu einem wirtschaftlichen Desaster für den verantwortlichen Ölmulti BP. Über die Höhe der Schadensumme kursieren verschiedene Zahlen, das Unternehmen selbst geht von gut 40 Milliarden Dollar aus. In die Milliarden gehen auch die Schäden, die das seit 2007 anhaltende – und nach wie vor mysteriöse – Bienensterben in den USA verursacht. Dabei hält sich hartnäckig der Verdacht, dass Pestizide in Pollen, Wachs und im Körper der Bienen eine Rolle spielen könnten. Weniger Bienen bedeuten auch Ernteausfälle – und die können teuer werden. Die US-Behörde Agricultural Research Service betont, dass es um Früchte und Pflanzen im Wert von jährlich 15 Milliarden Dollar geht, die auf die Bestäubung durch Bienen angewiesen sind.

 

Die Ölkatastrophe und das Bienensterben sind zwei Beispiele, die milliardenschwere Verluste nach sich ziehen. Auf dem Forum für Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit, das diese Woche in Stuttgart stattfand, nannte die Europäische Business- und Diversitäts-Kampagne ein weiteres Beispiel: den Sportartikelhersteller Nike. Nachdem 2009 bekannt wurde, dass für die Viehhaltung zur Herstellung der Sportartikel Regenwald zerstört wurde, habe die Reputation des Unternehmens stark gelitten. Mittlerweile beziehe Nike sein Leder nur noch mit gesichertem Nachweis.

Die Europäische Business- und Diversitäts-Kampagne, die von der am Bodensee ansässigen Stiftung Global Nature Fund koordiniert wird, hat sich den Erhalt der Biodiversität auf die Fahnen geschrieben. Unterstützt wird das Projekt von einer Reihe von Partnern, die EU beteiligt sich an der Finanzierung. Ziel ist, Unternehmen Wege aufzuzeigen, wie sie ein „nachhaltiges Biodiversitätsmanagement in ihre Strategien integrieren und damit dem Artensterben und dem Raubbau an der Natur entgegenwirken können“.

Die TEEB-Studie

Mit ökologischen Argumenten und ethischen Betrachtungen zum Wert der Natur kommt man in der harten Wirtschaftswelt indes meist nicht weit – da liefern nackte Zahlen oft die besseren Argumente. Und so wurde bei einem Treffen der G-8-Staaten in Potsdam im Jahr 2007 die Studie „Die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität“, kurz TEEB, ins Leben gerufen. Sie analysierte den wirtschaftlichen Nutzen von Ökosystemen und deren Artenvielfalt und wurde Ende 2010 abgeschlossen. Darin wird beispielsweise der Wert von intakten Ökosystemen für den Tourismus berechnet oder die Kosten, die gespart werden, wenn Trinkwasser natürlicherweise aus Waldquellen gewonnen werden kann und nicht aufbereitet werden muss.

Die Botschaft der Studie ist klar: Die ökonomische Bedeutung der Natur – und damit auch der gesamten Umwelt – muss in wirtschaftliche wie politische Entscheidungsprozesse integriert werden. Diese Idee ist inzwischen auf fruchtbaren Boden gefallen. So veröffentlichte der in Genf ansässige Weltwirtschaftsrat für nachhaltige Entwicklung (WBCSD) vor einem Jahr einen Leitfaden zur Ökosystembewertung für Unternehmen (Corporate Ecosystem Evaluation). Mit dessen Hilfe können die Firmen die Vorteile und den Wert von Leistungen der Ökosysteme erfassen und gewichten. Die Motivation für die Firmen ist, dass die Verschlechterung von Ökosystemen – und teilweise auch der Verlust der Artenvielfalt – Risiken für das Geschäft mit sich bringen. Andererseits eröffnet die Evaluierung neue Geschäftsmöglichkeiten mit entsprechenden Gewinnaussichten.

Erste Erfahrungen mit dieser neuen Form der Ökosystembewertung wurden auf dem Stuttgarter Forum vorgetragen. So berichtete Maria Norell vom schwedischen Unternehmen Akzo-Nobel über ein Pilotprojekt, bei dem die Umweltkosten von drei Chemikalien verglichen wurden. Diese können in der Papierproduktion eingesetzt werden – wobei die Firma natürlich nicht die Namen der Substanzen preisgibt. Deren Herkunft aber schon: ein Produkt wird aus Talg produziert, das zweite stammt aus der Petrochemie, und das dritte basiert entweder auf Gummiharz oder auf Kolophonium, das als Nebenprodukt bei der Zellstoffproduktion anfällt. In der Studie wurden die gesellschaftlichen Kosten der schädlichen Umwelteffekte der drei Substanzen ermittelt. Untersucht wurden der Ausstoß von klimawirksamen Gasen, Schwefeldioxid, Stickoxid, Staub und anderer umweltrelevanter Abgase.

„Wir mussten viel kämpfen“

Das Ergebnis war eindeutig: Die dritte Chemikalie verursacht deutlich höhere Umweltkosten als die beiden anderen, kostenmäßig recht nahe beieinander liegenden Substanzen. Doch der Aufwand, zu dieser Erkenntnis zu kommen, muss beachtlich gewesen sein: „Es war nicht einfach, und wir mussten viel kämpfen“, berichtete Norell. Ob sich die Evaluierung gelohnt hat? „Letztendlich kann dies wirklich hilfreich bei der Entscheidungsfindung sein“, lautete das Fazit der Schwedin. Denn eine Änderung in den Produktionsprozessen kann sehr positive Folgen für die Umwelt wie auch die Wirtschaftlichkeit haben, wie ein Projekt zeigte, bei dem Holzfasern zu einem Teil aus anderen, nicht von Bäumen stammenden Füllstoffen ersetzt wurden.

Diskutiert wurde auf dem Stuttgarter Forum auch über die ökologische Gewinn- und Verlustrechnung, die der Sportartikelhersteller Puma im vergangenen Jahr durchgeführt hat. Demnach beziffert das Unternehmen die Kosten für die Umweltauswirkungen durch den Verbrauch von Wasser, die Emission von Treibhausgasen und die Auswirkungen von Landnutzung, Abfall und Luftverschmutzung auf jährlich 145 Millionen Euro, mithin etwa drei Viertel des Gewinns von Puma.

Umstrittene Bewertung von Natur

Tobias Hartmann vom Global Nature Fund lobte zwar diesen „ersten guten Schritt von Puma“, bemängelte gleichzeitig aber fehlende Transparenz der Berechnungen. Und er merkte an, dass die von Puma ermittelten Zahlen zunächst nur als rohe Schätzwerte zu sehen seien. Außerdem wies er auf die Bandbreite hin, in der die Umwelt bewertet wird. So reichen etwa die Kostenschätzungen für die Nutzung von Grasland von 63 bis 18 663 Euro je Hektar. Sein Fazit: „Die Vielzahl von Schätzwerten hilft nicht, den Unternehmen einen Anreiz zu dieser Evaluierung zu geben oder das Vertrauen in die Ergebnisse zu steigern.“

Ein weiterer Kritikpunkt: eine ökonomische Bewertung von Naturleistungen könnte einer bedenklichen Denkweise Vorschub leisten, ganz nach dem Motto, „ich habe ja für die Nutzung bezahlt, also kann ich machen, was ich will“. Dennoch zieht Hartmann eine insgesamt ermutigende Bilanz: die Bemühungen, die Naturnutzung ökonomisch zu bilanzieren, seien zwar noch in einem sehr frühen Stadium, gleichwohl könnten sie das Bewusstsein für den Wert der Natur erhöhen und dazu führen, dass dies auch bei wirtschaftlichen Entscheidungen stärker berücksichtigt wird.