Beton und Brandrodung, Plastik und Plutonium: der Mensch hinterlässt Spuren, an denen künftige Geologen unsere Zeit in den Gesteinsschichten erkennen werden. Wir gestalten das Zeitalter des Anthropozäns. Einige Forscher sehen darin auch eine Chance.

Stuttgart - Heuschrecken werden in Australien schon als „Himmelskrabben“ bezeichnet, und in Kochbüchern wird erklärt, dass man sie durchgaren muss. Schmecken sollen sie nach Shrimps. Ob eine Umbenennung etwas am Ekelgefühl ändert, das wohl die meisten empfinden, die im Deutschen Museum in München das Kochbuch durchblättern? Auch dass man Ameiseneier roh verzehren kann, um seinen Proteinbedarf zu decken, wirkt nicht appetitlicher, wenn man von „weißem Kaviar“ spricht. „La cucaracha!“, ruft eine spanische Besucherin entsetzt, als siedie Kakerlaken im Kochbuch sieht.

 

Aber was will man machen? Um alle Menschen zu ernähren, sind kreative Lösungen gefragt. Im Katalog zur Ausstellung wird erwähnt, dass in der Mitte des Jahrhunderts für jeden Mensch rechnerisch 1500 Quadratmeter Ackerfläche zur Verfügung stehen. So groß ist etwa der Ausstellungsraum im Deutschen Museum. Wenn er eine produktive Weide wäre, könnte sich vielleicht eine Kuh davon ernähren. Also muss man sich etwas einfallen lassen, denn der Planet Erde setzt dem Menschen Grenzen. „Nichts hat die Erde so stark geprägt wie die Landwirtschaft“, wird den Besuchern erklärt. Und wenn der Mensch schon in der Lage ist, die Umwelt nach seinen Wünschen zu gestalten, so die Botschaft der Ausstellungsmacher, dann könnte er seine Fähigkeiten doch richtig einsetzen – als umsichtiger Gärtner, der nachhaltig wirtschaftet. Die Ideen könnten durchaus aus den Städten kommen, den „Kreativitätsmotoren“, wie sie in der Ausstellung auch genannt werden.

Es ist ein optimistischer Blick auf die Welt. Die Ausstellung will nicht den Raubbau an der Natur geißeln, sondern Lust machen auf Neues. Sie zeigt zum Beispiel Luftaufnahmen von künstlichen Landschaften: spanische Gewächshäuser und holländische Tulpenfelder, aber auch das Häusermeer einer Millionenstadt. Die Bilder erinnern an farbenfrohe abstrakte Gemälde und werden auch in Bilderrahmen gezeigt. Unter welchen Bedingungen Menschen und Tiere dort leben, sieht man nicht. Dazu werden Zahlen präsentiert: Sechs Tonnen Gestein bewegt ein Durchschnittsmensch im Jahr – eine geologische Kraft vergleichbar mit Vulkanismus, Erosion und Plattentektonik. Außerdem ist schon so viel Beton produziert worden, dass man damit alle Kontinente mit einer ein bis zwei Millimeter dicken Schicht überziehen könnte, also auch die Wüsten und die Antarktis.

Ein Smartphone als Fossil

Wenn der Mensch den Planeten umformt, dann könne man von einem neuen Zeitabschnitt in der Erdgeschichte sprechen, sagen inzwischen viele Geologen: dem Anthropozän. Ein für das Fach ungewöhnlicher Schritt, denn eigentlich tickt die Uhr der Erde so langsam, dass man als Geologe nicht schnell reagieren muss. Die Erdneuzeit, in der wir uns befinden, begann mit dem Aussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren. Dieses Zeitalter wird weiter unterteilt, aber selbst der kürzeste Zeitabschnitt geht über Jahrtausende: Wir leben im Holozän, das vor etwa 12 000 Jahren begann, als die jüngste Eiszeit endete. Damit sei nun Schluss, sagt eine Forschergruppe und schlägt im Fachjournal „Quaternary International“ vor, das Anthropozän am 16. Juli 1945 um 12.29 Uhr mitteleuropäischer Zeit beginnen zu lassen, als die erste Atombombe gezündet wurde.

Die typischen Vertreter von Flora und Fauna der Erdzeitalter

Zur Diskussion stand auch der Beginn der Industrialisierung, denn seitdem findet man in den Ablagerungen in Flüssen und Seen mehr Kohlenstoff aus verfeuertem Holz und aus fossilen Brennstoffen. Doch die Forscher entschieden sich für den radioaktiven Fallout als Indikator einer neuen Zeit, denn mit den mehr als 500 überirdischen Explosionen haben sich Cäsium und Plutonium über die ganze Welt verteilt. Selbst in ferner Zukunft werden Geologen an den radioaktiven Gesteinsschichten ermitteln können, wann das atomare Zeitalter begann. Die offizielle Entscheidung der zuständigen internationalen Fachkommission wird noch einige Jahre auf sich warten lassen. Die Münchner Ausstellung begrüßt ihre Gäste aber schon mal im Anthropozän. Gleich am Eingang wird ein Kunstwerk des Amerikaners Jared Farmer gezeigt: ein Gesteinsbrocken, in dem die Tastatur eines Blackberrys zu erkennen ist – ein zukünftiges Fossil unserer Zeit.

Kritiker beklagen Schönfärberei

Doch man kann sich fragen, ob mit der Umbenennung eines geologischen Zeitabschnitts mehr gewonnen ist als Präzision bei der Analyse von Gesteinsschichten. Spielt es außerhalb des Fachs eine Rolle? Im Ausstellungskatalog schreibt der Berliner Geologe Reinhold Leinfelder, dass auf die Wissenschaft im Anthropozän neue Aufgaben zukommen: Wenn der Mensch die Natur verändert, müssen Natur- und Sozialwissenschaften zusammenarbeiten, um die Prozesse zu beschreiben. Außerdem fordert Leinfelder, mit den Menschen über Lösungen zu sprechen und „dabei insgesamt eine kritisch-positive, offene und zukunftsfreudige Sichtweise einzunehmen“. Der norwegische Jurist und Seerechtsexperte Davor Vidas hat auf einer anderen Anthropozän-Ausstellung in Berlin ein Beispiel gegeben: Das Hoheitsgebiet eines Landes reicht zwölf Meilen ins Meer, die exklusiven Fischgründe 200 Meilen. Diese Grenzen werden sich verschieben, wenn der Meeresspiegel steigt. Wie sollte das internationale Seerecht darauf reagieren?

Der Gedanke, dass der Mensch die Erde gestaltet, gefällt aber nicht jedem. Der Weltklimarat IPCC erwähnt das Anthropozän in seinem jüngsten Bericht nur zwei Mal am Rande (Working Group 2 im 16. Kapitel und Working Group 3 im 4. Kapitel). Selbst in den Kapiteln, in denen das Gremium diskutiert, wie wir mit dem Klimawandel umgehen sollten, scheint es nicht mit dem Begriff arbeiten zu wollen. Der Soziologe Harald Welzer hält den Begriff sogar für irreführend (zum Beispiel in diesem DLF-Interview): Am Werk sei nicht der Mensch, sondern die Wirtschaft, sagt er. Er teilt die Hoffnung der Ausstellungsmacher nicht: dass ein „grünes“ Wirtschaften möglich sei, also ein Umgang mit der Natur, der unseren Lebensstandard erhält und zugleich den Planeten nicht über Gebühr strapaziert.

Am hinteren Ende des Ausstellungsraums im Deutschen Museum wird das Projekt „The Long Now“ vorgestellt, das „lange Jetzt“: In einem Kalksteinberg in Texas wird eine Uhr installiert, die bis zum Jahr 11 999 zuverlässig das Jahr anzeigen soll. Es sei die Uhr für das Anthropozän. Auf einer Tafel wird der Autor Stewart Brand zitiert, einer der Initiatoren: „So wie die Fotografien der Erde uns ein Gefühl für das große Hier vermittelt haben, brauchen wir Dinge, die den Leuten ein Gefühl für das lange Jetzt geben.“ Die Menschen sollen sinnlich begreifen, wie lange ihre Eingriffe in die Natur nachwirken. Konstruiert ist die Uhr allerdings so, dass sie auch dann noch läuft, wenn kein Mensch mehr nach ihr schaut. Denn es ist nicht ausgemacht, dass in einigen Jahrhunderten noch Menschen im heißen Südwesten der USA leben.