In den Weltmeeren sammeln sich jährlich acht Millionen Tonnen Kunststoffmüll. Forscher sind von diesen Mengen überrascht, da sie diese bei Versuchen mit Netzen nicht aufspüren konnten. Sie haben einen schlimmen Verdacht, wo der Müll gelandet sein könnte.

Eine Windböe treibt eine Plastiktüte über den Strand, bis eine große Welle sie aufs Meer hinausspült. Draußen auf hoher See sammelt sich das Plastik und kreist als schwimmende Müllkippe auf den Ozeanen. Allein im Jahr 2010 sammelten sich so zwischen rund fünf und 13 Millionen Tonnen Plastikmüll auf den Weltmeeren. Das berechnen Jenna Jambeck von der University of Georgia im US-amerikanischen Athens und ihre Kollegen aus den USA und Australien nach einer Untersuchung der Abfallströme aus Küstenländern. Die Forscher liefern mit ihrer Veröffentlichung im Fachmagazin „Science“ zum ersten Mal eine wissenschaftlich fundierte Schätzung der Mengen an Kunststoff, die jedes Jahr ins Meer geschwemmt werden.

 

Jenna Jambeck und ihre Kollegen konzentrierten sich auf die Menschen, die in 192 Ländern der Welt nicht weiter als 50 Kilometer von der nächsten Küste entfernt leben. Entsorgen sie nicht mehr benötigte Kunststoffe nicht ordnungsgemäß und lassen zum Beispiel Plastiktüten oder Einwegflaschen offen herumliegen oder lagern sie nicht in sorgfältig abgedeckten Deponien, wird der Plastikmüll leicht vom Wind weggeweht oder von Niederschlägen in das nächste Gewässer geschwemmt. Nach einiger Zeit landet er dann im Meer.

Für jedes Land ermittelten die Forscher, wie viele Menschen weniger als 50 Kilometer von der Küste entfernt wohnen. Wie viel Abfall produziert jeder dieser Menschen, und wie groß ist der Plastik-Anteil? Und vor allem, welcher Anteil des Kunststoffmülls wird nicht richtig deponiert und könnte daher im Meer landen? Für diese Regionen kommen die Forscher so auf 275 Millionen Tonnen Plastikmüll insgesamt im Jahr 2010. Ungefähr fünf bis 13 Millionen Tonnen davon landen im Meer.

Müllmenge könnte sich bis 2025 verdoppeln

Weil die Menge an Abfall und damit auch an Plastikmüll mit dem ökonomischen Wachstum eines Landes zunimmt und die Wirtschaft vor allem in den bevölkerungsreichen Ländern Asiens boomt, könnte sich diese Menge bis 2025 verdoppeln, schätzen die Forscher. Offensichtlich schießt eine Kunststofflawine in die Weltmeere, die jedes Jahr größer wird.

Wie viel Plastik heute bereits auf den Wellen schwappt, hat Marcus Eriksen vom Five Gyre Institute in Los Angeles im Dezember 2014 in der Fachzeitschrift „Plos One“ ausgerechnet. Zwischen 2007 und 2013 haben die Forscher dazu in mehr als 1500 Gebieten im Pazifik und im Indischen Ozean, im Atlantik und in den Polarmeeren, aber auch im Mittelmeer ihre Spezialnetze ausgeworfen. Deren Maschen sind gerade einmal einen Drittel Millimeter weit und fischen damit auch kleine Plastikteilchen aus dem Wasser, die man mit dem bloßen Auge gerade noch erkennt.

Wo auch immer die Forscher ihre Netze auswarfen, holten sie diesen Plastikmüll aus dem Wasser. Allerdings in unterschiedlichen Mengen. Besonders viel fanden sie in fünf gigantischen Wirbeln im Nord- und Südpazifik, im Nord- und Südatlantik sowie im Indischen Ozean. Diese schwimmenden Müll-Deponien sind bereits seit einigen Jahren bekannt. Die Ergebnisse dieser Plastikfischerei fütterten die Forscher in ein Computerprogramm, das daraus eine Menge von knapp 270 000 Tonnen Plastikmüll errechnet, der in den Weltmeeren schwappt. „Insgesamt würde in den Ozeanen demnach also erheblich weniger Plastik schwimmen als jedes Jahr dazukommen sollte“, bringt Martin Thiel die beiden wissenschaftlichen Artikel auf einen Nenner. Der Forscher von der Universidad Catolica del Norte im chilenischen Coquimbo hatte in den vergangenen Jahren mit Kollegen zwar nach und nach herausgefunden, dass riesige Mengen Plastikmüll in den Ozeanen schwimmen, aber nicht, wie viel genau.

Wellen und Sonne zerlegen Plastik in kleine Teilchen

Damit bestätigen Jenna Jambeck und ihr Team einen Verdacht, den Martin Thiel und seine Kollegen bereits im Dezember 2014 geäußert hatten. Bei ihren Fischzügen hatten die Forscher nämlich erstmals auch größeren Plastikmüll auf allen Ozeanen erfasst. Der aber lebt nicht lange. So zerschlagen die Wellen das Plastik in immer kleinere Teilchen, das ultraviolette Licht der Sonne zerbröselt den Kunststoff immer weiter. Bald sind die Teilchen so klein, dass viele nur noch unter einem Mikroskop sichtbar sind. „Wie gigantische Mahlströme zerlegen diese Müllwirbel das Plastik also in immer kleinere Teilchen“, erklärt Martin Thiel.

Als die Forscher ausrechneten, wie viele solche kleinen Partikel aus den gemessenen größeren Kunststoffteilen entstanden sein sollten, erlebten sie eine Riesenüberraschung: „Wir hatten mit unseren Netzen nicht einmal ein Prozent der Mini-Plastikteilchen aus den Meeren gefischt, die nach diesen Berechnungen entstanden sein sollten“, wundert sich Martin Thiel. Wo aber sind die Teilchen hin verschwunden? Der Meeresforscher hat einen Verdacht: Je kleiner die Partikel werden, umso leichter können die Organismen im Meer sie aufnehmen. Anscheinend steckt ein erheblicher Teil der verschwundenen Plastikteilchen im Plankton, in Fischen und anderen Tieren der Ozeane.

Tiere verhungern, weil ihre Mägen voller Plastik sind

Das aber tut den Lebewesen nicht gut. In größeren Plastikresten können sich Meeresvögel, Schildkröten und Fische verheddern, etliche von ihnen sterben einen qualvollen Tod. Aber auch kleine Plastikpartikel machen große Probleme, weil sie nur bis zu einer bestimmten Größe zerkleinert werden, aber nicht vollständig verschwinden. Langsam sammeln sie sich in den Mägen von Fischen und Vögeln an. Mit vollem Bauch aber vergeht ihnen der Appetit, obwohl sie das Plastik gar nicht verdauen können. „Sie fühlen sich satt und verhungern dabei“, fasst Martin Thiel diese paradoxe Situation zusammen. Obendrein lagern sich an den Plastikteilchen Umweltgifte an, die im Wasser schwimmen. Auch sie können so das Leben in den Meeren langsam vergiften.

Der Plastikmüll ist also nicht verschwunden, sondern hat sich in eine Art unsichtbare Zeitbombe verwandelt: Wenn von den Küsten immer mehr Plastik ins Meer strömt, sammelt sich in Fischen, Vögeln und Plankton auch mehr Kunststoff an. „Um das zu verhindern, müssen wir die enorme Plastikflut effektiv verringern, deren Auswirkung wir bisher nur erahnen“, ist Martin Thiel überzeugt. Er selbst geht mit gutem Beispiel voran, vermeidet Einwegprodukte und nimmt lieber Pfandflaschen. „Vor 22 Jahren habe ich auf einer Konferenz eine Stofftasche bekommen, die ich heute noch benutze“, erinnert sich Martin Thiel.