Der Smog wird immer schlimmer, Städte wie Mailand verhängen Fahrverbote. Doch es fehlt an der Entschlossenheit der Politik.

Rom - Sie hatten gehofft, es würde regnen. Sie hatten gehofft, die Bürgermeister landauf, landab in Italien, sie könnten die ungeliebten Entscheidungen wieder einmal vertagen – im Frühjahr wird schließlich da und dort gewählt. Aber mindestens bis Neujahr sind keine Niederschläge in Sicht. Und weil die Zahl der Smog-Tage zum Beispiel in Mailand schon fast dreimal so hoch liegt wie gesetzlich zulässig, weil ferner die Krankenhäuser stark steigende Zahlen bei atemwegs- und herzkranken Patienten melden, musste gehandelt werden: Mailand hat für die ersten drei Tage dieser Woche ein „totales Autoverbot“ angeordnet, jedenfalls von 10 bis 16 Uhr.

 

So radikal wollte die Stadt Rom nicht sein: Nach etlichem Hin und Her glaubte die am stärksten motorisierte Stadt Europas ihren Bürgern den „blocco totale“ ersparen zu können. So geht’s weiter mit täglich wechselnden Fahrverboten: Mal dürfen die ungeraden Kennzeichen nicht auf die Stadt, mal die geraden. Aber viele Römer haben zwei Fahrzeuge. Zahlreiche kleinere Städte – vor allem im norditalienischen Tiefland, auf das der traditionelle Winter-Smog dieses Jahr besonders drückt – arrangieren sich mit kurzfristigen lokalen Verboten irgendwo dazwischen. Langfristige Maßnahmen bleiben aus. Es fehlt, so kritisieren die Kommentatoren, an der Einsicht in die Problemlage.

Luftverschmutzung tötet jährlich Tausende Italiener

Was die Europäische Umweltagentur erst vor vier Wochen an Zahlen vorgelegt hat, müsste in Italien zu weit größerer Alarmstimmung Anlass geben. „Wir kennen alle Fakten, wir wissen, wie schädlich sich Feinstaub, Stickoxide, Ozon und andere Gifte in der Luft auf die Gesundheit der Menschen auswirken. Alles ist geschrieben, alles ist gesagt, aber es passiert nichts”, erregen sich Wissenschaftler wie die Mailänder Forscherin Marina Camatini. Dabei hatte die Umweltbehörde der EU festgehalten, dass nirgendwo in Europa so viele Menschen an Luftverschmutzung sterben wie in Italien. 84 400 waren es im Jahr 2012, dreiundzwanzigmal so viele wie im Straßenverkehr. Deutschland rangiert mit 72 000 „Umwelttoten“ auf Platz zwei; es folgen Frankreich (52 600), Großbritannien (52 430) und Polen (47 300).

Man weiß, dass in Mailand 50 und in Rom 70 Prozent des Feinstaubs aus Auspuffen kommen; den Rest steuern vor allem Holzheizungen bei. Aus diesem Grund hat die Region Piemont mit der Hauptstadt Turin angeordnet, die Wohnungen um ein, zwei Grad weniger und kürzer am Tag zu heizen. Die Verpflichtung zum Einbau von Thermostatventilen indes wurde wieder einmal um ein Jahr hinausgeschoben.

Seit November regnet es fast gar nicht mehr

Rom wiederum will den Autoverkehr dadurch weiter eindämmen, dass Tickets für Busse und U-Bahnen nicht nur 100 Minuten gelten wie üblich, sondern einen ganzen Tag lang. Aber was tun, wenn die U-Bahn – wie am Ersten Weihnachtstag aus heiterem Himmel – bereits um 13 Uhr schließt? Für Mittwoch ist jedenfalls ein nationaler Krisengipfel beim italienischen Umweltminister geplant.

Regen, sagen alle, würde zumindest für kurze Zeit die Luft reinwaschen. Aber seit November fällt nahezu kein Tropfen vom Himmel, so wenig wie – beispielsweise im Veneto – seit hundert Jahren nicht mehr. Der Po als größter Strom Italiens ist auf das Niveau staubtrockener Sommer gefallen, der Gardasee um 25 Zentimeter gesunken. Alpenflüsse und –bäche liefern laut Messungen aus dem Piemont und Venetien um 40 bis 60 Prozent weniger Nachschub als sonst um diese Jahreszeit. Auf den Bergen fehlt der Schnee; das ist aktuell ein Desaster für den Ski-Tourismus, im Frühjahr wird es ein Desaster für die Landwirtschaft werden, die gerade im Po-Becken auf Bewässerung angewiesen ist. Aus dieser Gegend kommen mehr als ein Drittel der italienischen Agrarprodukte.

Wintersportorte verbieten Böller

Auf mehreren Ebenen spielt das Verbot der Silvesterknallerei, das als erste die mondänen Wintersportorte Cortina d’Ampezzo und Sestriere verfügt haben. Eine in der Summe nicht überschaubare Reihe von Gemeinden – solche jedenfalls, die das Verbot auch glauben durchsetzen zu können – haben sich angeschlossen. Die einen wollen im ausgedörrten Gelände Wald- und Buschbrände verhindern, bei den anderen haben sich die Tierschutzverbände mehr Gehör verschafft als bisher. Da und dort scheinen auch die aktuellen Terrorwarnungen eine Rolle gespielt zu haben, die an Weihnachten aus dem österreichischen Innenministerium „an verschiedene Hauptstädte Europas verschickt“ worden sind.

Die Kunststadt Florenz will ausdrücklich „wie jedes Jahr“ kein Verbot aussprechen, der Bürgermeister Dario Nardella bittet nur um „begrenzten und verantwortungsbewussten Einsatz“ von Feuerwerkskörpern. Rom, das sich ganz besonders im Fokus des islamistischen Terrors fühlt und von Militär wie Polizei weiterhin stark überwacht wird, hat sich zu nichts entschlossen. Folglich käme ein Verbot von Böllern mittlerweile fast zu spät. Außerdem wäre es in der kaum regierbaren 2,8-Millionen-Stadt sowieso unrealistisch, ein solches durchsetzen zu wollen.