Verkehrsministerium und OB wollen konsequent gegen Luftschadstoffe vorgehen – Ratsfraktionen fordern eine Nahverkehrsoffensive. Für Verkehrsbeschränkungen bei Feinstaubalarm in Stuttgart wurde nun ein mögliches Datum genannt.

Stuttgart - Verkehrsbeschränkungen zugunsten von besserer Luft könnten an Tagen mit Feinstaubalarm schon 2018 Zehntausende in Stuttgart zugelassene Dieselautos stoppen, in der Region deutlich mehr Fahrzeugen die Einfahrt nach Stuttgart verbauen. Grund sind die Pläne des Landesverkehrsministeriums, die der zuständige Abteilungsleiter Christoph Erdmenger am Dienstag im Rathaus vorstellte.

 

Die Regierung erwägt, zwei Jahre früher als bisher angepeilt die Blaue Plakette einzuführen und für Dieselfahrzeuge mindestens die Euronorm 6 zu verlangen, für Benziner mindestens Euro 3. Vorerst soll das nur im Talkessel, in Feuerbach und auf einzelnen Straßen in Zuffenhausen gelten, sagte Erdmenger auf Anfrage. Dieser Schritt sei auch schon vor dem Jahr 2020 zumutbar, berichtete er dem Ausschuss für Umwelt und Technik. Später soll die Plakettenregelung in der ganzen Umweltzone gelten. Für wichtige Fahrten seien auch Ausnahmeregelungen zu erwarten, hieß es. „Das Wirtschaftsleben geht weiter“, sagte OB Fritz Kuhn (Grüne).

Hier geht’s zum Faktencheck zum Thema Feinstaub.

Sollte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) die Blaue Plakette weiter verhindern, setzt Landesminister Winfried Hermann (Grüne) auf den Plan B: Dann sollen – ebenfalls Anfang 2018 – an Tagen mit Feinstaubalarm im leicht erweiterten Talkessel keine Dieselautos fahren, nur noch solche mit Euro 6 und Nutzfahrzeuge mit dieser Norm. Auch Benziner unter Euro 3 wären betroffen. Das müsste aber extra ausgeschildert werden. Das Bundesverwaltungsgericht prüft, ob das möglich ist. Mit beiden Alternativen würde das Land die Verpflichtungen erfüllen, die es in einem Vergleich mit klagenden Anwohnern vom Neckartor eingegangen war – falls 2017 die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid nicht eingehalten werden. Man würde den Verkehr am Neckartor sogar nicht nur um 20 Prozent verringern, sagte Erdmenger, „sondern wir würden viel mehr tun“.

Fakten schaffen

Alexander Kotz (CDU) sagte dazu, für die Politik könnte es leichter sein, drohende Gerichtsurteile hinzunehmen, statt selbst Fakten zu schaffen. Durch die Pläne des Landes seien allein in Stuttgart gut 73.000 Dieselfahrzeuge betroffen, davon 56.534 private. Kotz: „Der Druck, der davon ausgeht, wird nicht leicht auszuhalten sein.“ Neben Erdmenger verteidigte auch Kuhn die Pläne. Land und Stadt müssten mit Augenmaß, aber auch konsequent die Anstrengungen für tragbare Verkehrsverhältnisse verstärken. Der Kampf gegen Feinstaub und Stickstoffdioxid bleibe Daueraufgabe, obwohl die Lage bei Feinstaub deutlich, am Neckartor immerhin ein wenig besser geworden sei. Bei Stickstoffdioxid stehe man nach 2016 schlechter da. Freilich kämpfe man mit ungewöhnlichen Wetterverhältnissen.

Für die Stadt kündigte Kuhn an, im März werde die Mooswand an der Cannstatter Straße aufgebaut, die Feinstaub abbauen soll. Außerdem starte man Kehrversuche, um Streugut und Bremsenabrieb unschädlich zu machen. Die Stuttgarter Straßenbahnen AG solle jetzt schon vor 2020 zehn neue Euro-6-Busse anschaffen. An Tagen mit Feinstaubalarm sollen 2018 Linienbusse im Fünfminutentakt zwischen dem Cannstatter Wilhelmsplatz und dem Zentrum pendeln, um die Stadtbahnlinie 1 zu entlasten. Auch plane man Anreize, damit im Talkessel Ölheizungen schneller umgerüstet werden.

Ideen verworfen

Kuhn gab auch zu bedenken, dass man künftig – abgesehen von Stuttgart 21, dem Rosensteinviertel und sonstigem Wohnungsbau – nicht überall gleichzeitig Großbaustellen betreiben sollte, weil das auch Schadstoffe verursache. Postwendend hielt CDU-Chef Kotz ihm vor, er wolle „beim Bauen die Planwirtschaft einführen“. Dagegegen verwahrte sich Kuhn wiederum.

Einige Ideen wurden verworfen. So wird auf dem Cannstatter Wasen doch kein P+R-Platz eingerichtet. Aufgegeben wurde, wegen der Nachbarn, auch die Idee, an den Einfallstraßen Pförtnerampeln einzurichten.

Einige Maßnahmen, die in dem von Erdmenger vorgestellten „Wirkungsgutachten“ enthalten sind, werden nicht konkret angegangen, bleiben aber interessant. Grund: Sie könnten auch die Straßenabschnitte in Stuttgart mit Überschreitungen des Feinstaubgrenzwerts (rund vier Kilometer) und des Stickstoffdioxidwertes (rund 70 Kilometer) verringern. Dazu gehört eine Nahverkehrsabgabe. Tempobeschränkungen auf maximal 60 Kilometer pro Stunde vor den Ortseingangsschildern könnten die kritische Streckenlänge um 16 Prozent verringern. Tempo 100 auf den Autobahnen um Stuttgart gilt allerdings als nachteilig, weil es mehr Verkehr im Zentrum bewirken könnte.

Diskussion um Umbenennung

Lange stritt man über einen Antrag von CDU, Freien Wählern und FDP, den Feinstaubalarm umzubenennen. Der Begriff überzeichne den Ernst der Lage. Er sei abschreckend, meinte Kotz. Kuhn zeigte sich offen fürs Ändern, wenn man auf einen besseren Begriff käme. Er wolle aber nicht, dass man Stuttgart unterstelle, die Lage zu beschönigen. Im Übrigen habe es 2016 rund 100 000 mehr Übernachtungen in Hotels gegeben. Einigkeit gab es darüber, dass der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden müsse. Die SPD und die Linke erkannten in den Plänen aber keine wirkliche ÖPNV-Offensive. Land und Stadt müssten mehr Geld bereitstellen. Die CDU fordert auch Landesgelder für Straßenbau. Das kraftlose Paket stehe in absurdem Kontrast zur Kraftmeierei mit dem Wort Feinstaubalarm, meinte Martin Körner (SPD). Christoph Ozasek (Linke) forderte auch die Pförtnerampeln und Tempo 100 auf den Autobahnen. Björn Peterhoff (Grüne) wünschte, Temporeduzierungen auf Einfallstraßen schnell umzusetzen. Eine Nahverkehrsabgabe und höhere Parkgebühren seien ebenfalls wichtig.