Wie konnten hier Ärzte arbeiten gegen die die Polizei ermittelte? Die Verantwortlichen in den SLK-Kliniken in Heilbronn schieben die Schuld auf Kostendruck, Ärztemangel und die politischen Rahmenbedingungen.

Heilbronn - Den Jahresanfang habe ich mir anders vorgestellt“, sagte der Heilbronner Oberbürgermeister Helmut Himmelsbach in einer der vielen Pressekonferenzen zum Skandal in seiner Stadt. An den Stadt- und Landkreiskliniken (daher kommt die Abkürzung SLK-Kliniken) waren, wie sich in den ersten Januarwochen herausstellte, mindestens drei dubiose Mediziner als Honorarärzte oder Assistenzärzte tätig: zwei niederländische Neurologen und ein deutscher Chirurg, die in Strafverfahren aufgrund ärztlicher Fehlleistungen teilweise mit Todesfolge vorbestraft sind.

 

Der Heilbronner Klinikskandal erregte bundesweit Aufsehen, auch niederländische Medien berichteten ausführlich. Die Staatsanwaltschaft betreibt Vorermittlungen und in einem Fall auch Ermittlungen wegen fehlerhafter Abrechnung. Es liegen Anzeigen vor. Auch die Landespolitik hat den Handlungsbedarf erkannt: Die Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) hat eine Initiative gestartet, um künftig Fälle ärztlichen Fehlverhaltens zu dokumentieren und nachvollziehbar zu machen.

Die Heilbronner Vorfälle haben zwei Gesichter: das des parteilosen Himmelsbach als Aufsichtsratsvorsitzenden der SLK-Kliniken-GmbH und das von Thomas Jendges, dem Geschäftsführer. Alle Äußerungen zu dem umfangreichen und verzweigten Themenkomplex kamen ausschließlich von ihnen. Das kann man als „Maulkorb“ ansehen, es dient aber auch dem Schutz von Mitarbeitern; in jedem Fall ist es eine eindeutige Übernahme von Verantwortung. Denn darin ist man sich einig: der bis dato untadelige Ruf soll gerettet werden, die Riege der hier beschäftigten renommierten Chefärzte unbeschädigt bleiben. Dass es einen nicht schönzuredenden Vertrauensverlust und Imageschaden gegeben hat, wird nicht bestritten. Die zögerliche Informationspolitik, sagt ein Heilbronner PR-Profi, sei schon seit der ersten Pressemitteilung ein „Super-GAU“ gewesen.

Der Aufsichtsrat ist ausgesprochen zahnlos

Im Laufe der Skandalgeschichte zeigte sich der Aufsichtsrat der Kliniken, dem neben einer stattlichen Anzahl von Gemeinderäten auch Ärzte und ein ehemaliger Chefarzt angehören, ausgesprochen zahnlos. Das müsste er laut OB nicht sein. Er habe „bei strukturellen Problemen mittelbar sehr wohl Einfluss auf den unterschiedlichsten politischen Ebenen“. Bei der Aufarbeitung der Missstände– dieser Eindruck wurde nach außen vermittelt – beschränkte sich der Aufsichtsrat weitgehend auf die Rolle als Akklamationsgremium. Die SLK-Kliniken unterliegen einem besonders hohen Kostendruck, weil sie einen Eigenanteil in Höhe von 70 Millionen Euro an der Finanzierung zweier ehrgeiziger, wenn auch notwendiger Neubauten aufbringen müssen.

Professor Hansjörg Cremer, von 1975 bis 1996 Chefarzt der Kinderklinik, sieht neben diesem „irrsinnigen Kostendruck“ vor allem eine „eindeutige Verletzung der Sorgfaltspflicht“, schon wegen der Größe und einer Entpersönlichung im Klinikalltag. Die Skandalärzte, da ist er sich sicher, wären nicht eingestellt worden, wäre es bei den früher überschaubaren Strukturen „mit jeder Menge Erkundigungen“ geblieben. Früher habe man die Bewerber durch alle Stationen geführt und sie allen anderen Ärzten vorgestellt. Er selber habe immer auch die Stationsschwestern nach ihrer Meinung befragt und Erkundigungen an der vorherigen Arbeitsstelle eingeholt. Alle Mitarbeiter hätten sich verantwortlich gefühlt.

Neueinstellungen werden über eine Agentur gemacht

Heute werden Neueinstellungen erklärtermaßen über Agenturen abgewickelt. „Bei der Prüfung der fachlichen Eignung wirken die Chefärzte mit“, ergänzt die Klinik. Mehrere Vakanzen in der Personalleitung haben mit Sicherheit dazu geführt, dass man sich bei der Einstellung von Ärzten mit der Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses und der Approbation begnügte. Die Berliner Vermittlungsagentur Doctari, gegen die die SLK-Kliniken derzeit juristische Schritte prüfen, verlangt laut Homepage einen Lebenslauf und die Anzeige von „Vertragsstörungen“. Müßig zu fragen, wie das in Heilbronn gehandhabt wurde. Die Geschäftsführung gibt zu, „dass sich dies als Schwachstelle innerhalb unserer Personalverwaltung entpuppt hat“. Mit dieser Einsicht war man früh bei der Hand. Die tiefer gehende Analyse einschließlich neuer Standards soll von externen Kräften kommen – bei weiterem Nachfragen bleibt man unkonkret.

Das bleibt man auch, wenn es darum geht, warum der Heilbronner Klinikskandal bisher in Deutschland singulär geblieben ist. Ist es also vorstellbar, dass ausgerechnet diese drei Ärzte die alleinigen schwarzen Schafe und die SLK-Kliniken die alleinigen „Hereingelegten“ sind? Die Stellungnahmen von Klinik und OB sind eher dürftig: Das sei kein Problem allein der SLK-Kliniken, heißt es auf Nachfrage: Ärztezulassungen müssten länderübergreifend besser kontrolliert werden, und man führe Gespräche mit dem Bundesverband der Honorarärzte zur Entwicklung höherer Sicherheitsstandards.

Zwei der Ärzte klagen gegen ihre Kündigung

Die Antworten zeigen, dass den Betroffenen über die Dauer des Aufklärungsverfahrens entweder keine neuen Erkenntnisse zugewachsen sind oder sie diese nicht kommunizieren. Es ist nur zu erfahren, dass es möglicherweise etwas länger als bis Ende Februar dauern werde, bis man alle Patientenakten durchgeprüft habe, um sicher zu sein, ob Schaden „am Mensch“ entstanden ist. Bislang ist das nur im Falle des anonym bleibenden beschuldigten Arztes E. J. S. geschehen. Der darf immer noch praktizieren und klagt gegen seine Kündigung. Das tut auch der Arzt S. Er klagt gegen einen Strafbefehl des Amtsgerichts, weil er im Rausch in seinem Auto vor der Plattenwaldklinik aufgefunden wurde.

Der Heilbronner Landrat Detlef Piepenburg, ein Fachmann auf dem Gebiet der Finanzierung des Gesundheitswesens, hält sich in der Bewertung der Vorfälle zurück. Er lobt die Kliniken und mahnt die Politik: „Es grenzt an ein Wunder, dass unsere Leute unter solchen Bedingungen noch so gut arbeiten.“ Er kämpfe auf verschiedenen Ebenen um Änderungen bei den politischen Rahmenbedingungen.

Auch die SLK-Kliniken reichen den Schwarzen Peter weiter: „Die Politik verkennt die schwierige Lage der Krankenhäuser. Sie muss jetzt dringend handeln, sonst geraten auch noch die letzten wirtschaftlich gesunden Häuser in eine kritische Schieflage“, hatte Geschäftsführer Jendges schon vor einem Jahr gesagt. Die SLK-Kliniken gehören zu den gegenwärtig noch neun Prozent der deutschen Kliniken die einen Gewinn erwirtschaften. OB Himmelsbach sagt, es gebe keine Hinweise darauf, dass Patienten den Kliniken den Rücken kehrten. Der frühere Professor Hansjörg Cremer sagt dagegen: „Es sollte nie Aufgabe eines Krankenhauses sein, Gewinne zu erwirtschaften.“