Geht es beim unbemerkt aufgenommenen Parteitags-Video um Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes? Die Staatsanwaltschaft darf das nicht prüfen. Das hat seinen Grund.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wird keine Ermittlungen wegen des unbemerkt gefilmten Gesprächs zwischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann und dem Bundestags-Abgeordneten Matthias Gastel beim Grünen-Parteitag am vorvergangenen Wochenende in Berlin aufnehmen. Durch die Aufnahme und deren Verbreitung könne zwar der Straftatbestand der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes erfüllt sein, sagte ein Behördensprecher dieser Zeitung. Dabei handele es sich jedoch um ein sogenanntes absolutes Antragsdelikt, das nur beim Vorliegen eines wirksamen Strafantrags verfolgt werden könne. Ein solcher sei nicht gestellt worden.

 

Anzeige erstatten könnten nur Geschädigte, also wohl alleine die Gesprächspartner Kretschmann und Gastel. „Weder Winfried Kretschmann noch ich werden einen Strafantrag stellen“, erklärte der Bundestagsabgeordnete dieser Zeitung. „Wir wissen, mit dem Video politisch umzugehen“, fügte er hinzu. Zuvor hatte ein Sprecher der Landesregierung gesagt, man werde keine rechtlichen Schritte einleiten. Auf die Frage nach einer möglichen Strafanzeige sagte Ketschmann selbst vor Journalisten, er habe sich „mit der Frage, was ich da jetzt persönlich mache, gar nicht befasst“. Er verwies mehrfach auf seinen Sprecher, der von einem „Lauschangriff“ auf die beiden Grünen-Politiker gesprochen und die Veröffentlichung des Videos „zumindest sittenwidrig“ genannt hatte.

Strafe reicht bis zu drei Jahren Haft

Nach dem Paragrafen 201 des Strafgesetzbuchs wird wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes bestraft, wer unbefugt „das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt“ oder öffentlich verbreitet. Der Strafrahmen reicht von Geldstrafe bis zu drei Jahren Haft. Ob bei einem öffentlichen Parteitag überhaupt von einem „nicht-öffentlichen“ Gespräch die Rede sein kann, kann die Staatsanwaltschaft nun mangels Strafanzeigen nicht klären.

Kretschmann und Gastel hatten betont, sie hätten nichts von der Aufnahme bemerkt – obwohl nur wenige Meter von ihnen entfernt mehrere Kamerateams postiert waren. In dem Gespräch hatte sich Kretschmann darüber erregt, dass die Grünen ein Datum – das Jahr 2030 – als Zeitpunkt für den Umstieg vom Verbrennungsmotor auf Elektromobilität nennen. Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft auch ein weiteres Delikt für möglich gehalten, nämlich die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Dieser Paragraf (201 a) komme jedoch nicht in Betracht, entschied sie schnell.

Filmautor weist Vorwürfe zurück

Der Autor des auf der rechtskonservativen Plattform „Jouwatch“ verbreiteten Videos, Christian Jung, hatte den Vorwurf, den Film heimlich aufgenommen zu haben als „völlig irrig“ zurückgewiesen. „Es bleibt dabei: es gab keine heimliche Aufnahme“, erklärte er gegenüber unserer Zeitung, ohne dies näher auszuführen.

Vor Journalisten zeigte sich Kretschmann über den Vorfall besorgt. Es würden Grenzen in der Gesellschaft verschoben, wenn man nicht mehr darauf vertrauen dürfe, dass über persönliche Gespräche nicht öffentlich berichtet werde. „Dass man andere Leute nicht belauscht“, sei für ihn eine Frage des Anstands; er sei jedenfalls noch so erzogen worden. „Es gibt doch ungeschriebene Regeln, an die wir uns alle halten sollten“, fügte der Ministerpräsident hinzu. Er selbst werde bei Parteitagen künftig aufpassen, nicht mehr zu laut zu reden, „auch wenn ich in Rage bin“.

Strobl hat das Video nicht verbreitet

Ähnlich äußerte sich auch Innenminister Thomas Strobl (CDU): im Zweifel werde man mit Bemerkungen vorsichtiger. Verschiedene CDU-Politiker, darunter auch Abgeordnete und Funktionsträger, hatten das Video im Internet weiterverbreitet, teils mit spöttischen Kommentaren. Auf die Frage, ob er dies gut finde, betonte Strobl, er persönlich habe dies bewusst nicht getan. Er könne aber nicht für etwa 65 000 CDU-Mitglieder in Baden-Württemberg verantwortlich gemacht werden.