Nach dem Gärbrühe-Unfall in der Engstinger Biogasanlage lässt die Versicherung die Geschädigten zappeln. Ob sie zahlt, soll bald entschieden werden. Unterdessen fordert der FDP-Landtagsabgeordnete Andreas Glück eine Soforthilfe des Landes.

Engstingen - Nur widerwillig betritt Anja Wolfframm den Eingangsbereich ihres Restaurants Per Du. Sie zieht die Nase hoch, macht große Schritte in den Gummistiefeln. Drinnen im Gastraum riecht es fast wie in einem Kuhstall. Zwischen rot-weiß karierten Vorhängen und Hirschgeweihen spritzen zwei Arbeiter in gelben Schutzanzügen mit einem Hochdruckreiniger die fleckigen Wände ab. „Wir stehen am Abgrund“, sagt die Chefin des Hotels Hydepark, „ich hoffe, die Versicherung lässt uns nicht hängen. Eigentlich wollten sie längst Bescheid geben.“

 

Seit eineinhalb Millionen Liter Gärbrühe aus einer leckgeschlagenen Biogasanlage am Mittwoch der vergangenen Woche den Gewerbepark in Engstingen im Kreis Reutlingen geflutet haben, ist Anja Wolfframm im Krisenmodus. „Uns hat es von allen am stärksten getroffen“, sagt sie und drückt nebenbei einen Anruf auf dem Handy weg – es lässt ihr keine Ruhe mehr. Die 37-Jährige muss Hotelgästen absagen, die oft schon lange im voraus gebucht haben. Sie kümmert sich um die 40 Angestellten, die um ihre Jobs bangen. Und sie wartet auf das erlösende Zeichen von der Sparkassenversicherung. „Die können doch nicht auf unserem Rücken die Haftungsfrage austragen, das wäre ungerecht.“

Die Ungewissheit, wer den Schaden zahlt, ist für die Hotelchefin kaum auszuhalten

Die Sache mit der Versicherung ist kompliziert. Wer für den Schaden zahlt, muss womöglich in einem Rechtsstreit geregelt werden. Denn der Silo, aus dem das Gärsubstrat auslief, hätte niemals befüllt werden dürfen. Wegen einer langen Liste an Mängeln war der Firma Biga Energie der Betrieb nicht genehmigt worden. „Die Versicherung sucht nach einem Schlupfloch, um nicht zahlen zu müssen“, ist nun die Befürchtung der Hotelchefin. Für sie ist die Ungewissheit kaum auszuhalten. „Wir können nicht wochenlang auf eine Kostenübernahme warten.“

Richtig loslegen wollen auch die Männer von der Spezialfirma Belfor, die längst ihre Container mitten im Gewerbepark Haid aufgestellt haben. „Die Finanzierungszusage muss noch erfolgen“, sagt der Stuttgarter Regionalleiter Tassilo Ringeisen. Er trägt einen feuerroten Baustellenhelm und ist Experte für Aufräum- und Sanierungsarbeiten aller Art. Meist rückt er mit seinem Team nach Bränden oder Wasserschäden an. „Das besondere hier ist der Geruch, man assoziiert damit Toilette.“ Von seinem Büro im Container führt er in den Keller der ehemaligen Kasernenräume, die an Gewerbetreibende vermietet sind. Braun verkrustet sind die Böden, fast 15 Zentimeter hoch stand die stinkende Brühe. „Gut, dass die Feuerwehr gleich mal alles ausgespült hat“, sagt Ringeisen, „wenn das trocknet, wird es hart wie Beton.“

Die Spezialreinigungsfirma steht bereit

Rund ein Dutzend Arbeiter sind in den Kellerräumen und in anderen Gebäuden damit beschäftigt, Oberflächen zu reinigen und den gröbsten Dreck zu entfernen. Es könnten viel mehr sein, wenn klar wäre, dass die Privathaftpflicht des Schadensverursachers greift. „Wir sind bereit“, versichert Tassilo Ringeisen, alle Materialien seien angeliefert: von den Reinigungsgeräten bis zu den Pumpen, von den Ventilatoren bis zu den Containern für die kontaminierten Flüssigkeiten.

Ein Polster aus Schnee hat sich über den Gewerbepark gelegt. Nur an wenigen Stellen suppt das Gärsubstrat durch. Im Freien ist von der Katastrophe nur noch wenig zu sehen. Eine dünne Rauchfahne hängt über der Biogasanlage, auf deren Gelände ständig neue Lastwagen ankommen. Der Betrieb läuft weiter, schließlich war nur einer von mehreren Tanks nicht genehmigt. Auf der Homepage der Firma hat sich die Geschäftsführer nach langem Zögern öffentlich geäußert. Es handle sich mitnichten um eine illegale Anlage, ist dort zu lesen. Die Biga Energie arbeite seit ihrer Inbetriebnahme im Jahr 2008 zugelassen und vorschriftsmäßig.

Schockiert vom Ausmaß des Unfalls ist der Engstinger Bürgermeister Mario Storz. „Der Störfall ist das schlimmste, was unserem Gewerbepark passieren konnte“, sagt der Rathauschef, der am Tag des Unglücks um 5.20 Uhr vom Feuerwehrkommandanten aus dem Bett geklingelt wurde. Danach ging das Zittern los. Kommt es zu einem Fischsterben in den Gewässern? Ist das Trinkwasser belastet? Wie viel Gärsubstrat ist wohin gesickert? Das Schlimmste wurde verhindert, weil erhebliche Mengen der Gärbrühe aufgefangen werden konnten. Doch Sorgen hat Bürgermeister Storz dennoch viele. „Wenn die Versicherung nicht zahlt, werden wir die Spezialfirma selbst in Gang setzen“, sagt Storz. Die Reinigung der vermieteten Räume stünde auf jeden Fall an. Notfalls müsse die Gemeinde eben in Vorleistung gehen.

Notfalls geht die Gemeinde in Vorleistung

Auf eine Finanzspritze – woher auch immer – hofft die Hotelchefin Wolfframm. Vielleicht löst eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Andreas Glück ein paar ihrer Probleme. Er will von der Landesregierung wissen, ob ein finanzielles Soforthilfepaket geschnürt werden kann. „Es ist eine vertrackte Situation“, sagt der FDP-Politiker aus Münsingen, „es kann doch nicht sein, dass die Geschädigten auf ihren Kosten sitzen bleiben, weil sich die Haftpflichtversicherung des Betreibers nicht zuständig fühlt.“ Ein Hoffnungsschimmer für Wolfframm, der ansonsten nur ihre eigene Versicherung bleibt. Bei Sturm oder Hagel wäre der Schaden gedeckt gewesen, sagt die Hotelchefin, „aber in diesem Fall setzen wir vor allem auf Kulanz“.