Aus der Engstinger Biogasanlage sind mindestens 1,5 Millionen Liter Gärsubstrat ausgelaufen. Der Schaden ist immens und könnte sogar noch höher ausfallen, als bislang gedacht.

Engstingen - Aus der Engstinger Biogasanlage sind mindestens 1,5 Millionen Liter Gärsubstrat ausgelaufen. Der Schaden geht in die Millionen und könnte noch höher ausfallen, wenn eine Trinkwasser-Ersatzversorgung eingerichtet werden muss.

 

Um was für eine Anlage handelt es sich?

In der Anlage der Firma Betz Entsorgung wird aus Speiseresten Strom und Wärme gewonnen. Sie ist die einzige von mehr als 30 Biogasanlagen im Landkreis Reutlingen, die ausschließlich mit Speiseresten betrieben wird. Sie stammen aus Großküchen, der Gastronomie oder der Lebensmittelindustrie. Der Strom fließt in das Stromnetz, die Wärme wird in das Nahwärmenetz des Gewerbeparks eingespeist. Die üblichen Biogasanlagen werden mit Gülle aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung, Mais-, Gras- oder Getreidesilage befüllt.

Wie wurde die Anlage überprüft?

Keine andere Biogasanlage im Landkreis sei so häufig kontrolliert worden wie die in Engstingen, sagt Andreas Neft von der Umweltschutzbehörde im Reutlinger Landratsamt. Aufgrund der Verarbeitung von Lebensmittelabfällen sei ein besonderes Augenmerk auf den Entsorgungsbetrieb gelegt worden. Kontrolliert wurde viermal im Jahr – weitaus häufiger als bei den Biogasanlagen der Bauern in der Umgebung. Gesetzlich vorgeschrieben ist eine Kontrolle alle zweieinhalb Jahre.

War der Betrieb genehmigt?

Eine Freigabe für den Betrieb des neuen Tanks lag nicht vor. Aufgrund technischer Mängel hätte er nicht befüllt werden dürfen. Der Geschäftsführer Klaus Betz war im November von den Behörden aufgefordert worden nachzubessern. Auskünfte über die fehlende Betriebserlaubnis und die Folgen gibt Klaus Betz gegenüber der Presse nicht. Es bestehe der Anfangsverdacht des unerlaubten Betreibens von Anlagen, teilte die Tübinger Staatsanwaltschaft mit.

Wer haftet für den Schaden?

Der Betreiber ist bei der Sparkassenversicherung versichert. Sie hat einen Gutachter entsandt. Ob sein Haus im Anbetracht der fehlenden Betriebsgenehmigung die Schäden, die sich laut dem Bürgermeister Mario Storz in Millionenhöhe bewegen dürften, reguliert, sei ungewiss. „Es gibt Vertragsbedingungen, die die Möglichkeit nahelegen, dass man unter Umständen aus der Haftung herauskommen könnte“, sagt der Pressesprecher der Versicherung. Im Klartext heißt das: Gut möglich, dass nicht gezahlt werden muss. Das wäre bitter für alle Geschädigte, die dann womöglich auf ihren Kosten sitzen bleiben oder lange Rechtsstreitigkeiten führen müssen.

Ist es möglich, die kontaminierten Räume vollständig zu säubern?

Hans-Peter Wollner von Belfor Deutschland, einem Unternehmen, das auf die Beseitigung von Brand und Hochwasserschäden spezialisiert ist, sieht darin kein Problem. Nach ersten Erkenntnissen handle es sich bei dem Substrat um ein Endprodukt, in dem keine Bakterien mehr arbeiteten. Werde dies durch die Arbeiten des Chemiesachverständigen bestätigt, reiche vermutlich die Reinigung mit einem Hochdruckreiniger aus. „Wir stehen bereit“, sagte Wollner. In der nächsten Woche könne es losgehen. Ein Auftrag liege vor. Noch offen ist die Finanzierung. Auch dies liegt an der ungeklärten Haftungsfrage.

Wie konnte das ausfließende Gärsubstrat in das Flüsschen Sekach gelangen?

Die Menge des Substrats wurde unterschätzt. Zunächst ging die Feuerwehr von 300 000 Liter Flüssigkeit aus, erst später von rund 1,5 Millionen Liter. Die stinkende Brühe wurde in einem Regenüberlaufbecken in Trochtelfingen zwischengespeichert. Das 740 000 Liter fassende Becken lief des Regens wegen in der Nacht auf Donnerstag über. „Wir dachten die Kapazität reicht aus“, sagt Reutlingens Landrat Thomas Reumann. Tatsächlich aber schwappte eine Mischung aus Schmelzwasser, Regen und Gärsubstrat in die Sekach.

Droht ein Fischsterben?

Bisher sind 25 tote Fische entdeckt worden. „Wir gehen nicht davon aus, dass ein Fischsterben in großen Ausmaß zu erwarten ist“, sagt Andreas Neft von der Umweltschutzbehörde im Landratsamt. An acht Messpunkten werde das Wasser der Lauchert, in die die Sekach mündet, auf Schadstoffe überprüft. Es ist ein Überwachungs- und Alarmierungsplan für die Lauchert erstellt worden.

Ist das Trinkwasser gefährdet?

Mindestens 100 000 Liter des Gärsubstrats sind in die Äcker und Wiesen eingedrungen. „Wir wissen nicht, wohin es sickert“, sagt Andreas Neft. An der Stelle, an der die Flüssigkeit auslief, befindet sich eine unterirdische Wasserscheide. Bisher sind im Trinkwasser noch keine auffälligen Werte gefunden worden. „Der Ammoniumwert könnte allerdings noch ansteigen“, sagt Andreas Neft. Das würde man rasch riechen, doch sei dies nicht gesundheitsgefährdend. Dennoch wollen die Behörden sofort auf eine Ersatzversorgung umstellen, sollten sich bei den Proben höhere Werte ergeben.