So viele Karambolagen wie nie, dazu Stau-Hauptstadt der Republik: Stuttgart ist für Autofahrer eine Qual. In dieser Woche hat die Stuttgarter Polizei die Unfallstatistik für 2015 bekannt gegeben.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Beide glaubten, freie Fahrt zu haben. Der 82-jährige Mercedes-Fahrer, der zur Rosensteinbrücke fahren wollte, und auch der Stadtbahnfahrer Richtung Wilhelma. Am Ende: Drei Verletzte, 20 000 Euro Schaden, Staus, zwei Bahnlinien blockiert. Wieder traf es die Kreuzung Prag- und Neckartalstraße in Bad Cannstatt. Die schlimmste Unfallstelle des Jahres 2015 in Stuttgart, mit sieben Verletzten und mehr als 384 000 Euro Schaden.

 

„Eine extrem komplexe Kreuzung mit einer Bundesstraße und sich kreuzenden Stadtbahnlinien“, sagt Polizeisprecher Tobias Tomaszewski. Und nicht nur das. An der Ecke zwischen Rosensteinbrücke und Wilhelmatheater sind täglich 35 500 Fahrzeuge zum Pragsattel und 21 500 Richtung Esslingen unterwegs. Dazu gibt es eine Baustelle. Kein Wunder, dass sich hier die Unfallgefahren ballen.

In dieser Woche hat die Stuttgarter Polizei die Unfallstatistik für 2015 bekannt gegeben. Eine düstere Bilanz mit 26 700 Karambolagen – so viele hat es in über 30 Jahren nicht mehr gegeben. Zum dritten Mal schon wurde die Marke der 26 000 Unfälle überschritten. Eine extrem hohe Verkehrsdichte, mit 75 Prozent Einpendlern aus den umliegenden Kreisen, verschärft die Lage.

Nicht etwa zu hohe Geschwindigkeit ist die Hauptunfallursache in der Stadt – sondern Vorfahrtsfehler, unachtsames Abbiegen, Wenden und Rangieren. „Deshalb ist es so wichtig, jeden Tag und jede Minute aufmerksam zu sein und auch auf die Fehler anderer zu achten“, sagt Stuttgarts Polizeipräsident Franz Lutz. So mancher Unfall könnte vermieden werden, so Lutz, wenn es mehr gegenseitige Rücksichtnahme, defensives Verkehrsverhalten und „etwas mehr Gelassenheit“ gäbe.

Bauliche Möglichkeiten sind beschränkt

Offensichtlich gibt es Orte, für die der Ratschlag ganz besonders gilt – und sie befinden sich alle in einem offenbar magischen Fünfeck nahe am Neckar, in den Stadtteilen Bad Cannstatt und Stuttgart-Ost. Zu den Top Fünf der Unfallbrennpunkte gehört – wieder einmal – die Gaisburger Brücke. Auf der wichtigsten Verbindung zum Neckarpark mit Wasengelände, Stadion und Veranstaltungshallen kracht es seit Jahren mit am häufigsten. Dazu Verwirrung um Ampeln und flexible Fahrstreifen. Auch Verkehrspolizeichef Roland Haider ist da mit dem Latein am Ende: „Baulich gibt es nur beschränkte Möglichkeiten“, analysierte Haider schon vor Jahren. Allerdings versucht die Polizei mit verstärkten Kontrollen das Fehlverhalten von Autofahrern einzudämmen. Besonders auf der Cannstatter Straße im Abschnitt zwischen Neckartor und Heilmannstraße.

Platz drei der Unfallbrennpunkte – weil das Rotlicht nicht beachtet wird. Von einem 51-jährigen BMW-Fahrer etwa, der nach rechts auf die B 14 einbiegt und mit einer 35-jährigen Peugeot-Fahrerin kollidiert. Zwei Verletzte, zweimal Totalschaden. Haiders Truppe reagiert mit Überwachungsmaßnahmen. Vier Kontrollen in den letzten Wochen, zu kritischen Zeiten, nachmittags, stadtauswärts. Ende September werden binnen zwei Stunden 14 Rotlichtsünder erwischt. Kein Kavaliersdelikt. Täglich sind an dieser Stelle 41 500 Autos Richtung Innenstadt unterwegs, 38 000 Fahrzeuge Richtung Neckar.

Zahlreiche Unfälle am Neckar

Überhaupt, der Neckar – ein Ballungsraum für Karambolagen. Auf dem Weg dorthin ist die Kreuzung Cannstatter und Villastraße mit 13 Unfällen in den Top Ten der Unfallstatistik. In der Verlängerung nach Bad Cannstatt rangiert die König-Karl-Straße am Abzweig zum Wasen auf dem traurigen Platz fünf. Die König-Karls-Brücke ist durch ihre Baustelle Schauplatz von kuriosen Unfällen. Ein 83-jähriger Volvo-Fahrer etwa verlor die Übersicht und landete im Gleisbett der Stadtbahn. Die Baustelle hat freilich ein Gutes: Folgenschwere Raserunfälle durch eilige Autofahrer sind dadurch kaum möglich.

Die Unfallstelle mit dem höchsten Schaden führt auf der B 10 vom Neckar weg Richtung Löwentor: 400 000 Euro Schaden gab es auf der Fahrt in der Pragstraße. Unterwegs zur vierthäufigsten Unfallstelle musste auch ein Todesopfer beklagt werden: Im Oktober übersah ein 25-jähriger Autofahrer einen Motorradfahrer beim Spurwechsel. Der 47-Jährige starb noch am Unfallort. Freilich: Auch anderswo in der Stadt gibt es kritische Stellen. Unter den Top Ten sind drei Plätze zu finden: Der Österreichische Platz und der Rotebühlplatz mit je 16 Unfällen. Der Porscheplatz in Zuffenhausen ist mit 13 Unfällen auf Platz zehn gerückt.

Beim Blick auf die Unfallsteckkarte der Verkehrspolizei hat Sprecher Tomaszewski jedenfalls mit dem Zählen aufhören müssen: „Wir haben in der Stadt etwa 100 polizeilich definierte Unfallbrennpunkte.“