Reportage: Robin Szuttor (szu)

„Noch nie waren die Reaktionen auf eine Schau so heftig“, sagt Stefanie Dathe. Viele zeigten sich entrüstet, auch ohne die Ausstellung gesehen zu haben. Es gab viele Beschimpfungen per E-Mail: „Wie kann man angesichts des Hungers in der Welt so was machen wie den Rindersessel.“ Im Dorf hat man ihr gesagt: „Frau Dathe, ich habe mir bis jetzt jede Ausstellung angeschaut, aber diesmal komme ich nicht, das ist mir zu eklig.“ – „Dabei ist es gar nicht so eklig.“

 

In einem Ausstellungsraum ist ein Parcours aufgebaut. Am Anfang: der Geruch nach Erde und frischem Gras, ein wohliges Grunzen aus Lautsprecherboxen, süße Schweinchen-Bilder aus Kinderbüchern. Am Ende: Luftaufnahmen von amerikanischen Landwirtschaftsfabriken, in denen Abertausende Schweine gemästet werden, mit Güllebecken so groß wie der Max-Eyth-See. Dazu strömt täuschend echter Mistgeruch aus einem Raumbedufter. Als Gegenstück verwandelt sich der Park der Villa Rot während der Ausstellung zu einem Biohof mit Schwarzbunten Kälble, Bentheimer Ferkel, Eselfohlen und Schäfle zum Füttern. Ein Bauer aus Rot kümmert sich um die Tiere. „Wir haben hier immer Kindergartenführungen. Das Erstaunliche ist, dass manche Kinder im Ort noch nie echte Kühe gesehen haben“, sagt Stefanie Dathe. Auf dem Land zu leben ist noch kein Landleben.

Entfremdung zeigen die Bilder von Francisco Sierra: Er hat auf Discounterprospekten zu Niedrigstpreisen angebotene Schweinenacken, Hähnchenschenkel und Lammrücken abgemalt – so genau und kunstfertig, dass sie wieder kostbar werden. Wie viel Zeit und Aufmerksamkeit er den Stücken gewidmet haben muss. Cindy Wright zeigt in einem vier Quadratmeter großen Gemälde mit viel Liebe, wie Kotelett aussieht, wenn es anfängt schlecht zu werden – die Oberfläche leicht glasig und mit kleinen Glanzperlen bedeckt. „Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?“, heißt es in einem Barockgedicht. „Ein schnöder Schein in kurz gefassten Grenzen. Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen, und was das Fleisch für einen Abgott hält.“

Überfluss an Energie

Was ist das Erregende und das Provozierende an Fleisch? Warum reizt uns ein blutiges Holzfällersteak mehr als ein Chicken Nugget oder ein Tofubrätling? Vielleicht, weil es uns zu dem Ursprung führt. Gut zweieinhalb Millionen Jahre zurück, als wir gerade auf der Schwelle der Menschwerdung stehen und noch gar nichts entschieden ist. In eine Zeit, als Homo habilis langsam aus seinem Pflanzenfresserdasein erwacht und das Knacken von Knöchlein als einen lieblichen Klang vernimmt. Ihm zum ersten Mal der verführerische Duft von frisch gerissenem Fleisch in die Nase steigt. Der Neid auf Hyänen und Raubkatzen wächst, wenn sie schmatzend ihr blutiges Festmahl verspeisen. Als er endlich beginnt, übrig gebliebene Aasfetzen abzunagen. Wie das schmeckt! Und das tierische Eiweiß ist so proteinreich! Den Überfluss an Energie kann er in die Entwicklung des Gehirns stecken, den Brutkasten des Menschen. Es macht uns zu dem, was wir heute sind. Fleisch ist unsere Amme.

Heute sind wir vornehm und tupfen uns mit der Serviette den Mund ab, wenn er beim Dinieren etwas fettig wird. Aber wir sind immer noch verrückt nach Fleisch, wir kommen nicht los davon. Unser Fleischhunger ist so groß, dass er nur durch unsägliche Massentierhaltung stillbar ist. Passt das zum zivilisierten Menschen? Oder sitzt da noch der alte Homo habilis mit an der Tafel?

Die Schweizer Fischli und Weiss beginnen 1979 ihre Weltkarriere mit einer Fotoserie. Dafür räumen sie ihren Kühlschrank aus und imitieren mit den Lebensmitteln das Leben. Zum Beispiel einen Rennwagencrash, dargestellt mit zwei kurzen dicken Brühwürstchen auf Karottenrädern. Oder eine Modenschau: gedrungene, in Speckmäntel gehüllte Cervelatwürste posieren für die Kamera, dass es nur so glänzt.

Alex van Gelder besucht Schlachtplätze im westafrikanischen Benin und fotografiert alles, was an gedehntem, erschlafftem, geschnittenem, gerissenem, hängendem, aufgehäuftem Material ins Auge fällt. Man riecht förmlich den scheußlichen Gestank. Und doch haben die Bilder etwas sehr Schönes. Daniel Mijic reiht fette Speckschwarten wie Blechkuchenschnitten aneinander und sperrt sie in einen Guckkasten. Dort konnten Kunstbeflissene zusehen, wie sich Larven an der Schwarte vollfressen, sich vermehren und verpuppen, dann als Fliegen sterben. Inzwischen ist alles tot im Kasten. Da mag es Wim Delvoye stilvoller: Er lässt sich von Salami, Schinken, Mortadellascheiben zu einer exzellenten Intarsienarbeit inspirieren und begibt sich damit auf ganz glattes Parkett.

Heftige Reaktionen

„Noch nie waren die Reaktionen auf eine Schau so heftig“, sagt Stefanie Dathe. Viele zeigten sich entrüstet, auch ohne die Ausstellung gesehen zu haben. Es gab viele Beschimpfungen per E-Mail: „Wie kann man angesichts des Hungers in der Welt so was machen wie den Rindersessel.“ Im Dorf hat man ihr gesagt: „Frau Dathe, ich habe mir bis jetzt jede Ausstellung angeschaut, aber diesmal komme ich nicht, das ist mir zu eklig.“ – „Dabei ist es gar nicht so eklig.“

In einem Ausstellungsraum ist ein Parcours aufgebaut. Am Anfang: der Geruch nach Erde und frischem Gras, ein wohliges Grunzen aus Lautsprecherboxen, süße Schweinchen-Bilder aus Kinderbüchern. Am Ende: Luftaufnahmen von amerikanischen Landwirtschaftsfabriken, in denen Abertausende Schweine gemästet werden, mit Güllebecken so groß wie der Max-Eyth-See. Dazu strömt täuschend echter Mistgeruch aus einem Raumbedufter. Als Gegenstück verwandelt sich der Park der Villa Rot während der Ausstellung zu einem Biohof mit Schwarzbunten Kälble, Bentheimer Ferkel, Eselfohlen und Schäfle zum Füttern. Ein Bauer aus Rot kümmert sich um die Tiere. „Wir haben hier immer Kindergartenführungen. Das Erstaunliche ist, dass manche Kinder im Ort noch nie echte Kühe gesehen haben“, sagt Stefanie Dathe. Auf dem Land zu leben ist noch kein Landleben.

Entfremdung zeigen die Bilder von Francisco Sierra: Er hat auf Discounterprospekten zu Niedrigstpreisen angebotene Schweinenacken, Hähnchenschenkel und Lammrücken abgemalt – so genau und kunstfertig, dass sie wieder kostbar werden. Wie viel Zeit und Aufmerksamkeit er den Stücken gewidmet haben muss. Cindy Wright zeigt in einem vier Quadratmeter großen Gemälde mit viel Liebe, wie Kotelett aussieht, wenn es anfängt schlecht zu werden – die Oberfläche leicht glasig und mit kleinen Glanzperlen bedeckt. „Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?“, heißt es in einem Barockgedicht. „Ein schnöder Schein in kurz gefassten Grenzen. Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen, und was das Fleisch für einen Abgott hält.“

Überfluss an Energie

Was ist das Erregende und das Provozierende an Fleisch? Warum reizt uns ein blutiges Holzfällersteak mehr als ein Chicken Nugget oder ein Tofubrätling? Vielleicht, weil es uns zu dem Ursprung führt. Gut zweieinhalb Millionen Jahre zurück, als wir gerade auf der Schwelle der Menschwerdung stehen und noch gar nichts entschieden ist. In eine Zeit, als Homo habilis langsam aus seinem Pflanzenfresserdasein erwacht und das Knacken von Knöchlein als einen lieblichen Klang vernimmt. Ihm zum ersten Mal der verführerische Duft von frisch gerissenem Fleisch in die Nase steigt. Der Neid auf Hyänen und Raubkatzen wächst, wenn sie schmatzend ihr blutiges Festmahl verspeisen. Als er endlich beginnt, übrig gebliebene Aasfetzen abzunagen. Wie das schmeckt! Und das tierische Eiweiß ist so proteinreich! Den Überfluss an Energie kann er in die Entwicklung des Gehirns stecken, den Brutkasten des Menschen. Es macht uns zu dem, was wir heute sind. Fleisch ist unsere Amme.

Heute sind wir vornehm und tupfen uns mit der Serviette den Mund ab, wenn er beim Dinieren etwas fettig wird. Aber wir sind immer noch verrückt nach Fleisch, wir kommen nicht los davon. Unser Fleischhunger ist so groß, dass er nur durch unsägliche Massentierhaltung stillbar ist. Passt das zum zivilisierten Menschen? Oder sitzt da noch der alte Homo habilis mit an der Tafel?

Auch für Christen steht das Fleisch für die Menschwerdung, aufgeschrieben im Johannesevangelium: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Gott wird Fleisch, um dem Menschen das Geheimnis der Wiedergeburt zu offenbaren. Der Schlüssel zum Glauben. Zugleich ist im Fleisch das Sündhafte angelegt: „In diesem Abgrund, in den ich gefallen bin, kontempliere ich die Überfülle meiner Schlechtigkeiten“, schreibt Angela di Foligno, eine Mystikerin im 13. Jahrhundert. „Ich möchte nackt durch die Straßen und Plätze der Stadt laufen, Fleischstücke und Fische an meinen Hals gehängt, und schreien: Seht nur die nichtswürdige Kreatur.“

Der Künstler als Superheld

Was bleibt, wenn Amok oder Agonie, Marter oder Siechtum über uns hereinbrechen? Dann sind wir zurückgeworfen auf das Toben der Gedärme, das Pumpen des Blutes, die Einsamkeit des Fleisches, wie die Philosophin Cathrin Nielsen im Ausstellungskatalog schreibt. Was überdauert von dem, was wir uns an Prinzipien, Moral, Glauben zusammengebastelt haben, wenn das Fleisch die Regentschaft übernimmt? Womöglich nur fahle Erinnerungsstreifen wie einsame Spuren von Nacktschnecken.

Und kommen wir noch so stark und unbezwingbar daher, unter der Oberfläche sind wir ausgeliefert. Der chinesische Künstler Zhang Huan erklärt sich sieben Monate nach den Anschlägen auf das World Trade Center zum „Mister Olympia“ und führt im Whitney Museum seine Performance „My New York“ auf. Wie ein vielbeiniger Drache im chinesischen Zirkus wird er von Stoffbahnen verhüllt auf einer Art Sänfte hereingetragen. Auf dem Video ertönt dazu fernöstliche Musik, die wie eine eigentümliche Begleitmelodie zur Ausstellung durch die ganze Villa Rot hallt. Dann wird das Tuch gelüftet und der Drache gehäutet: Da steht Zhang Huan mit saftig-kolossalen Fleischklumpen zu einem Superhero modelliert und verschenkt weiße Tauben an die Passanten. Auch eine Weltmacht ist schwach, will uns der Chinese sagen.