Forscher der Universität Hohenheim unterstützen kleine Betriebe, die sich eine eigene Entwicklungsabteilung nicht leisten können. Das Ziel: traditionelle Lebensmittel zu erhalten – wie zum Beispiel den getrockneten Pfifferling als Zutat für Suppen und Eiscreme.

Stuttgart - In der Schweiz gibt es getrocknete Früchte, in Spanien allerlei Leckereien aus Oliven. Die Griechen trocknen gerne Pilze, Italien kennt schier unendlich viele Arten an Pasta, und am Bodensee werden die Felchen auf besondere Art geräuchert. Traditionelle Lebensmittel gibt es überall. Meist werden sie von kleineren Firmen hergestellt. Doch deren Kapazitäten sind beschränkt – gerade für Forschung und Innovationen haben sie meist nicht die nötigen Mittel. Kommen dann noch strenge Auflagen hinzu, etwa durch EU-Vorgaben, sind die Traditionsunternehmen oft überfordert. Im Vergleich zu Lebensmittelgiganten wie Nestlé oder Unilever haben sie das Nachsehen. Doch mit jeder Insolvenz eines Traditionsbetriebes verschwindet eine besondere Köstlichkeit aus den Lebensmittelregalen Europas.

 

„Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen im ländlichen Raum brauchen Unterstützung“, sagt Susanne Braun. „Sonst gibt es überall bald nur noch die Massenprodukte.“ Als Lebensmitteltechnologin kennt sie die Produktionsabläufe in der Nahrungsmittelindustrie; mit ihrem zweiten Hintergrund als Expertin für europäische Wirtschaft weiß sie aber auch wie schwer es ist, in Zeiten EU-weiter Regelungen ein Produkt erfolgreich anzubieten.

Aus diesem Grund baut sie am Institut für Agrartechnik der Universität Hohenheim derzeit ein einzigartiges Netzwerk auf, um diesen Unternehmen zu helfen. Das Trafoon-Projekt (die Abkürzung leitet sich aus den Worten „Traditional Food Network“ ab) soll das bieten, was die Branchenriesen in millionenschweren Entwicklungsabteilungen leisten, den Kleinen aber unmöglich ist: Produktionsabläufe optimieren, rechtliche Vorgaben umsetzen, Qualitätsstandards sicherstellen. Das Ziel ist, eine vielfältige Palette an traditionellen Lebensmitteln zu erhalten – durch eine hohe Wirtschaftlichkeit der Produzenten und eine hohe Qualität der Produkte.

Die Suche nach dem perfekten Pfifferling

Der perfekte Pfifferling etwa steht nicht einfach so im Wald. Der perfekte Pfifferling kommt aus der Labortrocknungsanlage von Dimitrios Argyropoulos. „Schon seit Ewigkeiten werden Lebensmittel durch Trocknung haltbar gemacht“, sagt der Agrartechniker. An der Universität Hohenheim hat er schon so allerlei getrocknet: Holzhackschnitzel etwa, oder Melisse, Baldrian und Kamille. Und natürlich Pilze – man könnte ihn als Koryphäe unter den Pilztrocknern bezeichnen. Die Qualität der Pilze hängt allerdings stark vom Trocknungsverfahren ab; hier lassen sich Produktionsprozesse oft erheblich optimieren. „Pfifferlinge zum Beispiel trocknen am besten bei maximal 60 Grad Celsius, einer Luftgeschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde und einer Luftfeuchte von circa sieben Prozent.“ Steinpilze und Shiitake dagegen mögen es etwas kühler; bei maximal 50 Grad würden hier die besten Ergebnisse erzielt. Und Champignons sollten in ungefähr fünf Millimeter dicken Scheiben getrocknet werden, wie Argyropoulos in ungezählten Experimenten an seiner Labortrocknungsanlage herausgefunden hat. Nur wenn alle Parameter stimmen, passt auch das Produkt. Ein gut getrockneter Pfifferling etwa sollte nicht dunkel, sondern appetitlich orange-braun aussehen. Er duftet fein, saugt sich beim Kochen rasch wieder mit Wasser voll, enthält viel Selen, Vitamin B und D. Und natürlich schmeckt er: nicht muffig, nicht säuerlich, sondern lecker – nach Pfifferling eben.

In der Hohenheimer Agrartechnikhalle, dem Arbeitsplatz von Dimitrios Argyropoulos, finden sich so allerlei landwirtschaftliche Gerätschaften. Den riesigen Mähdrescher, die Traktoren und den orangenen Bauwagen kennt man aus dem gewöhnlichen Landleben. Den Kuheuter-Simulator, die Thermokammer und den gut zehn Meter langen Labortrockner dagegen eher nicht – für solche Extravaganzen braucht es schon eine gut ausgestattete Forschungseinrichtung. Kleine Unternehmen in der Lebensmittelbranche haben oft nicht die Zeit und Mittel, sich neben der Herstellung und Vermarktung ihrer Produkte auch um Innovationen zu kümmern.

Zum Beispiel die kleine Firma Manitaroproionta Grevenon im Norden Griechenlands. Sie vertreibt seit Jahren allerlei Produkte aus Pilzen, die Mitarbeiter wild im Wald sammeln. Morcheln, Pfifferlinge oder Steinpilze etwa werden zu Nudeln, Suppen oder sogar Eiscreme verarbeitet. Für viele Produkte müssen die frischen Pilze erst getrocknet werden – und hier kommt das Projekt Trafoon ins Spiel. „Das war eines der Unternehmen, die wir kontaktiert haben“, erklärt Argyropoulos. „Wir haben zuerst einmal unser Projekt beschrieben und dann gefragt: Was würden Sie gerne in Ihrer Produktion optimieren?“

Vernetzt mit mehr als 30 Partnern europaweit

In der jetzigen Phase des Trafoon-Projekts sei das überhaupt der Hauptfokus, ergänzt Susanne Braun: Die Kontaktaufnahme zu den Unternehmen und das Ausloten der jeweiligen Bedürfnisse. Im Dialog mit dem griechischen Pilzverarbeiter stellte Argyropoulos dann bald fest, „dass die Warmlufttrocknung dort zwar recht gut beherrscht wird. Allerdings hatten sie noch Probleme, die gleichbleibende Zusammensetzung der Inhaltsstoffe zu gewährleisten.“ Der Tipp aus Hohenheim: mit einer Solartrocknung ließe sich beispielsweise der Gehalt an Vitamin D2 in den Pilzen erhöhen. Mit dem Knowhow aus Hohenheim lassen sich manche Produkte also noch verbessern – und beispielsweise die EU-Richtlinie zur korrekten Deklaration der Inhaltsstoffe genauer einhalten.

Die Pilze machen allerdings nur einen kleinen Teil des Projekts aus; überall in Europa gibt es eine ganze Palette an traditionellen Lebensmitteln. Aus diesem Grund sind im Trafoon-Projekt europaweit mehr als 30 Partner vernetzt, die sich jeweils um bestimmte Schwerpunktthemen kümmern. Was in Hohenheim die Pilztrocknung, ist an der südböhmischen Universität in Tschechien beispielsweise die Bewirtschaftung von Karpfenteichen in Aquakultur; das technologische Zentrum für Olivenanbau Citoliva in Spanien etwa kann Erfahrung in der Verarbeitung von Oliven beisteuern. Doch nicht nur in der Produktion sollen die Kleinunternehmer unterstützt werden, sondern auch in Sachen Verpackung, Marketing oder Nachhaltigkeit. Darum sind beispielsweise auch die Lebensmittelverbände, eine Unternehmensberatung und die Organisation Slowfood, die sich für gesunde Nahrungsmittel einsetzt, Teil des Projekts.

Vier Millionen Euro stellt die EU für das Projekt zur Verfügung – offenbar scheint der ein oder andere Feinschmecker an den Finanzierungsplänen der europäischen Wissenschaftssförderung beteiligt zu sein. Und man will ja wirklich nicht irgendwann die immergleiche Tütensuppe löffeln müssen, weil den kleinen Produzenten die Puste ausgeht und kein Platz mehr bleibt für Tradition auf dem Teller. Man stelle sich nur eine Welt ohne Spätzle, Maultaschen oder Brezeln vor.

Was als traditionelles Lebensmittel zählt

Definition
Im Projekt der Uni Hohenheim gelten Lebensmittel als traditionell, wenn sie seit mindestens drei Generationen produziert werden, spezielle Eigenschaften haben, die sie von ähnlichen Produkten unterscheiden, und sie mit einer bestimmten Herkunftsregion verknüpft sind. Als erstes Land hat Österreich ein „Register der Traditionellen Lebensmittel“ bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum eingetragen. Dort sind Name, Herstellungsweise und Herkunft etwa von 23 Käsesorten, verschiedenen Getränken oder Speiseölen vermerkt. Auch alte Nutztierrassen werden dort geführt.

Industrie
Gut eine halbe Million Menschen arbeiten hierzulande in der Lebensmittelproduktion. Sie setzt jährlich rund 175 Milliarden Euro um und stellt damit den viertgrößten Industriezweig dar. Die Branche ist geprägt von Klein- und Mittelständlern: 95 Prozent der Unternehmen haben weniger als 250 Beschäftigte. Das deutsche Lebensmittelangebot umfasst rund 170 000 Produkte.