Die Mitglieder der Akaflieg erfüllen sich den Traum vom Fliegen. Seit elf Jahren arbeiten sie an einem Motorschlepper für ihre Flotte, mit der sie über der Schwäbischen Alb kreisen.

Vaihingen - Alleine geflogen ist sie noch nicht. Das Wetter war aber auch einfach zu garstig vergangenes Jahr, und wenn die Thermik dann doch mal gestimmt hat, dann war Kathleen Wagner im Prüfungsstress. Klar, sie wäre gern mehr geflogen, auch mal ohne den Lehrer, nicht in dem Zweisitzer. Nur sie und ein bisschen Segelflugzeug, und unter ihr ein paar hundert Meter Luft. „Alles von oben zu sehen, wie immer alles kleiner wird, das Gefühl von Freiheit, das ist faszinierend“, sagt sie.

 

Wagner ist 19 Jahre alt. Sie studiert Luft- und Raumfahrttechnik auf dem Vaihinger Unicampus. Und sie ist Mitglied in der akademischen Fliegergruppe Stuttgart, kurz Akaflieg. Rund 20 Studenten machen in der Gruppe mit, sie alle hat das Segelflugvirus gepackt, und um sich das eigentlich recht teure Hobby leisen zu können, bauen sie einen Teil ihrer Flieger selbst oder erledigen Auftragsarbeiten für andere. Acht Stunden in der Woche kommen da schnell zusammen. Forschen, bauen, fliegen ist ihr Motto. „Das eine geht nicht ohne das andere“, sagt Wagner.

Kein Professor schreibt den Studenten vor, was sie tun müssen

Johannes Sander, 26, sitzt im Konstruktionsbüro vor zwei Bildschirmen. An der Wand kleben Konstruktionszeichnungen, manche auf strahlend weißem Papier. Andere schauen schon etwas vergilbt aus. Schleppausleger steht auf ihnen, oder Spant-Positionen und Rumpf-Geometrie. Auf dem Tisch steht eine alte Kaffeekanne, daneben ein Sammelsurium unterschiedlicher Tassen. Auch die Möbel sehen aus, als wären sie von überall her zusammengestückelt, ein Stuhl von hier, ein Regal von dort, und alles meist recht alt.

„Die Räume sind von der Uni, wir werden auch von ihr unterstützt“, sagt Sander. „Aber wir haben keinen Professor, der uns vorschreibt, was wir zu tun haben. Wenn wir ein Problem lösen müssen, dann entscheiden wir das demokratisch in der Gruppe.“ Probleme gibt es viele, manchmal kleine, wenn es im Winter um die Wartung der Segelflieger geht, und manchmal große. Eines davon flimmert gerade über die Bildschirme.

Wobei die FS 35 eigentlich kein Problem ist, sondern eine riesige Baustelle, die einmal mit 280 Kilometern pro Stunde die Luft zerschneiden soll. Der Motorschlepper soll beides sein, halb Segelflugzeug, mit langen, dünnen Flügeln, um langsam starten und landen zu können, halb motorgetriebenes Propellerflugzeug, das andere Segelflugzeuge in Schlepptau nimmt und nach oben zieht.

Seit elf Jahren arbeiten die Mitglieder am neuen Motorschlepper

Seit elf Jahren arbeiten die Studenten an dem Projekt. Keiner der jetzigen Mitglieder ist so lange dabei. Sie haben das Projekt allesamt von ihren Vorgängern geerbt. In den ersten Jahren wurde nur gezeichnet und geplant, das Fahrwerk konstruiert, 400 verschiedene Belastungsszenarien durchgerechnet, das Design der Flügel und der Winglets entworfen. So nebenher entstanden auch noch mehrere Diplomarbeiten.

Die Studenten bauten einen Flügel, schleppten ihn auf die andere Straßenseite, zum Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum, wo Techniker ihn so lange traktierten, bis er brach, übrigens weit oberhalb der Belastungsgrenze. Das musste sein, für die Zulassung, und die Studenten mussten einen neuen Flügel bauen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Vaihinger ihr Fluggerät selbst bauen. Gegründet wurde die Akaflieg 1926 vom Segelflugpionier Wolf Hirth. Drehten sich Anfangs noch Motoren vor den Piloten, glitt mit der FS 16 im Jahr 1936 zum ersten Mal eine Eigenkonstruktion ohne Propeller durch die Luft. Nach dem Krieg folgten alle paar Jahre weitere Prototypen, oft an der Grenze zum technisch Machbaren.

Der spektakulärste Entwurf hatte ausfahrbare Flügel

1975 hob wohl der spektakulärste Entwurf ab. Die FS 29 besaß Teleskopflügel, die beim Segeln ausgefahren werden konnten und so die Flügelfläche erhöhten. Inzwischen hebt die FS 29 nicht mehr ab, dafür drei andere Konstruktionen, die zusammen mit vier gekauften Maschinen die Flotte der Studenten bilden.

Das jüngste Projekt liegt in Teilen in der Werkstatt, einem 60-Jahre-Flachdachbau am Pfaffenwaldring. Die Flügel liegen schon parat, und vor einigen Wochen erst haben die Studenten auch den Rumpf laminiert und verklebt. „Das ist ein Mockup“, sagt Sander, also nur ein maßstabsgetreues Modell, „die verwendeten Materialien sind nicht für den Flugbetrieb zugelassen“. An ihm soll getestet werden, ob alles so passt, wie es sich die Vaihinger ausgerechnet haben, ob das Gestänge irgendwo aneckt, ob sich das Fahrwerk ausfahren lässt und ob das Triebwerk passt, ein 155 PS starker Diesel auf Basis eines Mercedes A-Klasse-Motors.

In drei Jahren, schätzt, Sander, wird der Motorschlepper fertig sein, mitsamt der Zulassung. „Dann bin ich wahrscheinlich nicht mehr an der Uni“, sagt er. Als alter Herr, wie die Ehemaligen genannt werden, darf er aber sicher trotzdem mal fliegen.

So lange will Wagner nicht mehr warten. Sie will noch in diesem Jahr alleine starten dürfen, der Flugschein müsste machbar sein. Ehe im April die Vorlesungen beginnen, treffen sich die Akaflieg-Mitglieder in Bartholomä auf der Schwäbischen Alb. Neben dem dortigen Segelflugplatz besitzen sie ein Haus, natürlich selbst gebaut, von ihren Vor-Vor-Vorgängern. Ein, zwei Wochen lang steht dann nichts anderes auf dem Programm als Segelfliegen. Solange das Wetter nicht zu garstig ist.