Für 15 Millionen Euro ist ein Windkanal an der Universität Stuttgart modernisiert worden. Dort wird an der Aerodynamik von Autos getüftelt. Es geht zum Beispiel um die Frage, wie man sicher aus dem Windschatten eines Lkw ausschert.

Stuttgart - Von 0 auf 140 beschleunigt die Maschine in 20 Sekunden. Schwere Turbinenschaufeln treiben die Luft im Kreislauf durch die Messkammer des Windkanals. Dort steht in der Regel ein einziges Hindernis, das Auto. Der Wind drückt über Kühlerhaube und Windschutzscheibe, fegt durch die Lüftungsschlitze und Radkästen. Verwirbelungen bereiten den Ingenieuren Kopfzerbrechen, denn turbulente Strömungen kosten Energie. Nur da, wo die Luftströmung glatt von der Fahrzeugoberfläche abreißt, ohne Turbulenz, ist die Aerodynamik ideal. Und es gehört zu den verblüffenden Erkenntnissen dieser Disziplin, dass die Ausgestaltung des Fahrzeughecks wichtiger ist als die Bugform, um den Luftwiderstand zu drücken.

 

Denn darum geht es: niedriger Luftwiderstand bedeutet niedrigen Kraftstoffverbrauch bedeutet niedrige CO2-Emissionen. Auf der Autobahn benötigt der Motor nach Angaben von Volkswagen rund 70 Prozent seiner Vortriebsenergie, um sich gegen die Luft abzuarbeiten. „Es geht ganz klar um die CO2-Reduktion bei den Emissionen“, erklärt Armin Michelbach, der Leiter der Windkanal-Anlagen am Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS), einem unabhängigen Institut auf dem Campus der Universität Stuttgart in Vaihingen.

„Der Aufwand, der getrieben wird, ist immens“, sagt Michelbach. Mittlerweile hat jeder Fahrzeughersteller seinen eigenen, großen Windkanal, Kostenpunkt meist 50 Millionen Euro aufwärts. Am Montag nahm das FKFS bei einer Feier mit 100 Gästen aus Universitäts- und Industrieforschung seinen frisch modernisierten Windkanal in Betrieb. 15 Millionen Euro ließen sich die Ingenieure die Renovierung kosten. Finanzminister Nils Schmid (SPD) nahm kurz im Leitstand des Windkanals Platz. In der Halle lief ein Opel Ampera auf Laufbändern bei rund 50 Kilometer in der Stunde. Eine Nebelsonde machte die Luftströmung über die Karosserie sichtbar.

Die Autos werden im Geheimen angeliefert

Oft schauen sich die Forscher stromlinienförmige Konstruktionen von der Natur ab. So haben ein Wassertropfen oder ein Pinguin ideal niedrige Luftwiderstandswerte. „Doch wer will schon mit einem Daimler-Pinguin durch die Gegend fahren“, fragt Nils Schmid. Damit spricht er die Herausforderung der Ingenieure an, Aerodynamik und Design unter einen Hut zu bringen. Im Jahr 2005 stellte beispielsweise Daimler mit dem Bionic Car ein Konzeptauto vor, dessen Designlinien einem Kofferfisch entlehnt waren. Der cw-Wert, ein Maß für den Luftwiderstand, lag mit 0,19 spektakulär niedrig. Viele Autos haben einen cw-Wert um 0,3 oder 0,4. Einen Markt fand das Bionic Car nicht. So lässt sich auch verstehen, dass ein Serienfahrzeug über 1000 Stunden im Windkanal verbringt, bis die richtige Balance von Design und Aerodynamik gefunden ist.

Die Windkanalforscher am FKFS sind gut ausgebucht. „Wir arbeiten hier im Zwei-Schicht-Betrieb“, erklärt Jochen Wiedemann, Professor an der Universität Stuttgart und verantwortlich für die Windkanäle am FKFS. Im Geheimen liefern die Hersteller ihre Testwagen an, über eine Aufzugsbühne hieven die Ingenieure die Wagen in die Halle. Ein paar Stunden mit Dutzenden Einzeltests folgen. Dann kommt das nächste Fahrzeug in die Halle. „Für unsere eigene Forschung gehen wir in die Nachtschicht“, sagt Wiedemann leicht schmunzelnd. Neben den Dienstleistungen für und Entwicklungskooperationen mit Firmen soll auch noch eigene Forschung zur Aerodynamik und zu Aufbau und Betrieb eines Windkanals möglich sein. Letzteres kam dem Upgrade nun zugute.

Die Ingenieure warten mit mehreren Neuheiten auf. Durch sechs verstellbare Flügel zwischen Düse und Fahrzeug können die Forscher Seitenwind generieren. Die Flügel sind um einen Winkel von zwölf Grad schwenkbar und können pro Sekunde bis zu zwölf Mal hin und her schwingen. „Der Wind kommt ja nie ganz von vorn“, erklärt Michelbach. Außerdem können die Ingenieure auch solch unangenehme Situationen simulieren, wie das Herausfahren aus dem Windschatten eines Lkw, das Fahren in turbulenter Luft hinter einem Truck oder etwa Hineinfahren in einen Tunnel. Die aerodynamische Konstruktion des Fahrzeugs soll dazu beitragen, dass ein Fahrer in kritischen Situationen die Kontrolle über sein Auto behält.

Pfeifgeräuschen auf der Spur

In den Bereich der Aeroakustik gehört eine weitere Neuheit. Um das Pfeifen des Fahrtwinds am Seitenspiegel oder Türspalt aufzuspüren, muss der Windkanal selbst leise sein. Dazu müssen die Forscher einerseits die Strömung im Windkanal beruhigen und Lärm beseitigen. Durch spezielle Dämpfungselemente beim Lufteinlass und Hohlräume auf dem Dach des Gebäudes bekommen sie Störgeräusche in den Griff. Dann können sie sich darauf konzentrieren, mit Innenraummikrofonen die Fahrtgeräusche von Seitenspiegel, Türschlitzen, Karosserieformen zu optimieren.

Hauptpartner des FKFS im Windkanal ist die Firma Daimler. Die hat zwar eigene Windkanäle in Sindelfingen, greift aber auf die Anlagen an der Uni zurück. Für Stephan Wolfsried, Forschungsmanager bei Daimler, wird die Aerodynamik bisweilen unterschätzt. „Oft kann man mit Aerodynamik und Ingenieurkreativität genauso viel erreichen wie durch innermotorische Maßnahmen“, sagt Wolfsried. Die Limousinen von Daimler sind daher nicht nur die windschnittigsten, sondern — nach eigenen Angaben — auch die leisesten im Fahrtwind.

Der Windkanal für die Autoentwicklung

Windkanal
Der modernisierte Windkanal an der Universität Stuttgart verfügt über einen Seitenwindgenerator, bessere Strömungsdämpfer und ein modulares System aus fünf Laufbändern für Räder und Fahrbahn.

Funktion
Eine Turbine bringt die Luft auf bis zu 60 Kilometer pro Stunde. Vor der Messkammer erhöht eine Düse die Strömungsgeschwindigkeit um den Faktor fünf auf maximal 300 Stundenkilometer. Der Lüftungsschacht hinter der Messkammer führt die Luft wieder zur Turbine. Nach außen ist alles abgedichtet, die Türen sind 30 Zentimeter dick. Unter der Fahrbahn sind Elektromotoren: Jedes Rad des Autos wird über ein Laufband angetrieben.

Forschung
Im Fokus der Wissenschaftler liegt die Reduktion des Strömungswiderstands von Fahrzeugen. Jedes Detail eines Wagens wird getestet und optimiert. Weiter Forschungsthemen sind die Aeroakustik und die Verschmutzung des Autos durch Luftverwirbelungen.

Luftwiderstand
Als charakteristische Größe für den Luftwiderstand gilt der cw-Wert. Der liegt bei Fahrzeugen der Golfklasse bei 0,3, bei SUV bei 0,4. Die Reduktion des cw-Werts um ein Hundertstel spart rund 0,4 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer.

Betrieb
Der Windkanal benötigt für den Betrieb eine elektrische Leistung von 4,5 Megawatt. Die Betriebsstunde kostet 2000 bis 3000 Euro. Bis zur Serienreife steht ein Auto mehr als 1000 Stunden im Windkanal.