In der Sonderausstellung „Unter freiem Himmel“ bittet die Kunsthalle Karlsruhe Autoren und Wissenschaftler, Landschaftsbilder aus der Sammlung zu beschreiben.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Karlsruhe - Ralph Dutli stellt genau die richtigen Fragen: Seit wann gibt es in Oberstdorf rote Berge? Man könne ihm ja viel erzählen, aber dass diese „violetten Brotlaibe“, die „halluzinogenen Eissorten“ und „gestrandeten Wale“ bayerische Berge darstellen sollen, das mag der Heidelberger Autor kaum glauben – und beschreibt damit ziemlich präzise, worum es Alexej Jawlensky ging. Als der 1912 seine „Oberstdorfer Landschaft“ malte, abstrahierte er die Landschaft radikal und machte sich frei von den Farben der Natur. Sein Gemälde zeigt schlichte Farbflächen, die tatsächlich an Walrücken erinnern.

 

Das Bild hängt derzeit in Karlsruhe, und in der Sonderausstellung „Unter freiem Himmel“ erlebt man die Neuauflage eines Konzepts, mit dem die Kunsthalle 2013 Furore machte: Während in Museen traditionell nur Kunsthistoriker und Experten über Kunst sprechen dürfen, lud man damals auch Schriftsteller, Wissenschaftler und Intellektuelle ein, je ein Bild zu beschreiben. Heraus kamen höchst anregende Exkurse, die sich die Besucher per Audioguide anhören konnten und die deutlich machten, dass man, wenn es um Kunst geht, nicht immer nur über Kunstgeschichte reden muss.

Fünfzig Landschaftsgemälde laden zu Interpretationen ein

Die Neuauflage des Rezepts tut sich dagegen schwer. Anders als 2013, als es um Porträts ging, um die sich mitunter auch köstlich erfundene Biografien spinnen ließen, zeigt die Kunsthalle diesmal Landschaften, die weniger Angebote machen, Geschichten zu erfinden. Immerhin fünfzig Werke aus der Sammlung wurden ausgewählt – und entsprechend lässt sich über Stunden den Kommentaren lauschen, häufig aber auch recht akademischen Belehrungen, die auf die Dauer ermüden.

Immerhin, es wurden viele namhaften Kandidaten gewonnen, Autoren wie Marlene Streeruwitz und Peter Härtling, Friederike Mayröcker, der Lyriker Ulf Stolterfoht und die Kinderbuchautorin Cornelia Funke. Die meisten erlauben sich allerdings nicht, einfach nur hinzuschauen, es zu halten wie Nora Bossong, die eingetaucht ist in eine Waldlandschaft aus dem 17. Jahrhundert und überrascht feststellt, dass sich die beiden Holz hackenden Männer allzu ähnlich sehen – wie Zwillinge. „In derselben Jacke, in derselben Bewegung eingefroren“, konstatiert Bossong, „er ist sein Schatten, seine Kopie.“

Kommentare können beim Sehen helfen

Wenn die Autorin Anita Albus dagegen erklärt, dass sich „der Raum nicht wie in späteren Bildern Patinirs zu einer aus der Vogelperspektive wahrgenommenem Weltlandschaft“ ausdehne, wird deutlich, wie leicht man die Chancen dieses charmanten Konzepts verspielen kann. Die Kommentare können anregen, in den Bilder spazieren zu gehen, sie können den Fokus auf Details lenken und beim Sehen helfen. Sobald aber allzu viel angelesenes Wissen über die Besucher gekippt wird, Fakten jenseits des Gemäldes, lenkt das die Aufmerksamkeit fort von den Bildern und wird der Dialog mit der Kunst letztlich sogar verhindert.

„Wo sollen wir hinschauen?“ fragt Felix Thürlemann, der sich zwei kleine Formate von Bartholomäus Spranger vorgenommen hat. Die beiden Gebirgslandschaften wurden als Paar konzipiert, Thürlemann vergleicht sie ganz konkret. Ein wenig uninspiriert dagegen die Ausführungen Jenny Erpenbecks zu einem Bild eines unbekannten Meisters aus dem 15. Jahrhundert, der die Mandorla in der Form der Felsen „wie einen Keim zweier hochheiliger Leben, unorthodox übersetzt in konkrete Natur“. So kann man manches entdecken, hier und dort schöne Formulierungen hören, eine breite Auswahl aus der Karlsruher Sammlung studieren, aber vor allem verrät „Unter freiem Himmel“, wie schwer es heute zu sein scheint, einfach nur zu schauen, sich einzulassen auf ein Gemälde und eigene Gedanken zu entwickeln – statt sofort Google oder Fachliteratur zu befragen.

Ausstellung bis 27. August, täglich außer Montag 10 bis 18 Uhr