Vom neuen Standort an der Autobahn A 81 aus versorgt Noweda die Apotheken im südlichen Landesteil. Arzneimittel im Wert von 15 Millionen Euro lagern bei dem Pharma-Großhändler.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Böblingen - Die Arbeitsinstrumente sind High-Tech: Über Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand hat der Kommissionierer einen Scanner gestülpt, um den linken Unterarm einen Bildschirm mit Tastatur geschnallt. Die Geräte sagen ihm, was er zu holen hat – Kopfschmerztabletten und Nasentropfen zum Beispiel, Wärmepflaster für schmerzende Rücken oder Hustenlöser. Er packt alles in eine blaue Wanne, die auf einem Förderband angerollt kommt und an seinem Arbeitsplatz Station macht. Rund 100 000 verschiedene Arzneimittel lagern in der neuen Noweda-Niederlassung im Böblinger Gewerbegebiet Hulb, die so groß wie ein Fußballfeld ist. Am 1. April hat sie ihren Betrieb aufgenommen: Apotheken zwischen Stuttgart, Ulm, dem Bodensee und Freiburg werden von dem Standort aus beliefert.

 

„Es läuft“, sagt der Vertriebsleiter Michael Schumacher über die Zeit seit der Eröffnung. Wenn er zu seinem Bürofenster hinausschaut, blickt er direkt auf die Autobahn. Und wenn nicht gerade Stau herrscht, ist die Aussicht zumindest aus beruflicher Perspektive für ihn schön: Die A 81 war der Grund, weshalb Noweda nach Böblingen gezogen ist. Von Mosbach im Neckar-Odenwald-Kreis aus, dem bisher einzigen Standort in Baden-Württemberg, hat der Lieferradius nicht bis in den Süden gereicht. Rund 15 Millionen Euro hat der Großhändler in den Neubau investiert und noch einmal so viel in seine Befüllung mit Arzneimitteln. Es hat drei Monate gedauert, um die Ware einzusortieren. „Wir haben hier wirklich alles“, sagt Michael Schumacher.

Eine halbe Stunde für jede Bestellung

Über ein elektronisches Warenwirtschaftssystem gehen die Bestellungen der Apotheker in Böblingen ein. Genau eine halbe Stunde haben die mit den High-Tech-Instrumenten ausgestatteten Mitarbeiter Zeit, um die Medikamente zusammenzutragen. Auf 120 Regalreihen stapeln sich die Packungen, jeweils ein Kommissionierer ist für eine rund 100 Quadratmeter große Fläche eingeteilt. Er scannt den Barcode auf der Bestellung ein, sein Display am Arm sagt ihm dann, in welcher Reihe und in welcher Ablagefläche die gewünschte Packung zu finden ist. Jeder Platz hat eine eigene Nummer: „Chaotische Lagerhaltung“ lautet laut dem Vertriebsleiter der Fachbegriff dafür. „es ist ein ausgeklügeltes System “, das jahrelang entwickelt worden sei.

Das 700 Meter lange Förderband bringt die blauen Wannen von einer Station zur nächsten. Ein Ausläufer davon führt zu einem besonders exklusiven Bereich, wo 72 Kühlschränke stehen, in denen Ware im Wert von drei Millionen Euro liegt – etwa Botox , der Schweinegrippe-Impfstoff Tamiflu und Insulin. „Diese Produkte machen uns das Leben schwer“, erklärt Michael Schumacher anhand eines Präparats gegen Hepatitis C: Die Packung kostet 20 000 Euro, der Großhändler trägt das Risiko, sollte das Medikament beschädigt werden oder die Haltbarkeit ablaufen, an der Auslieferung verdient er aber gerade einmal 38,50 Euro.

Mitarbeiter mit polizeilichem Führungszeugnis

Für eine andere Kategorie von Medikamenten benötigt der Wirtschaftsingenieur Mitarbeiter mit einem ordentlichen polizeilichen Führungszeugnis. Nur sie haben Zugang zum Tresor, in dem die Betäubungsmittel, Opiate und die Chemikalien, aus denen sich auch Sprengstoffe basteln ließe, aufbewahrt werden. Nur gegen Unterschrift wechseln diese Produkte die Hände. Die Lagerplätze von allen anderen Medikamenten mit Schwarzmarktwert wie Viagra oder Schlankheitsmittel werden von Kameras überwacht.

Das Förderband bringt die Bestellungskiste zu einem der vier Bahnhöfe. An den Rampen holen die Fahrer ihre Lieferung ab. Die Spitzenzeit liegt zwischen 12 und 14 Uhr. Am Quartalsanfang ist deutlich mehr los als am Ende, montags mehr als freitags. Rund 30 000 Packungen werden an einem Werktag im Schnitt mit 40 Kleintransporter ausgefahren. Bisher ist der Standort Böblingen dennoch das kleinste Haus von Noweda. „Wir werden ordentlich wachsen“, sagt Michael Schumacher mit Blick auf die Autobahn. „Es sind schon jetzt mehr Kunden als bei der Eröffnung.“

Kampfansage in der Branche

Unternehmen:
„Bei uns ist der Kunde nicht König, sondern Besitzer“, erklärt Michael Schumacher, der Böblinger Vertriebsleiter: Der Pharma-Großhändler Noweda ist eine Genossenschaft der Apotheker. Wer Mitglied werden will, muss Pharmazie studiert haben und eine Apotheke führen. Die Genossenschaft hat mehr als 8700 Mitglieder, damit gehören ihr mehr als die Hälfte der rund 16 000 Apotheken in Deutschland an. Sie erhalten „eine attraktive Dividende“. Mit Böblingen hat Noweda 17 Niederlassungen in Deutschland, der Firmensitz ist in Essen. Auf der Hulb sind 55 neue Mitarbeiter eingestellt worden, vor allem Kommissionierer in Teilzeit. Die Speditionen beschäftigen für Noweda rund 100 Fahrer.

Konkurrenz
: Mit einem Umsatz von 5,3 Milliarden Euro (im Geschäftsjahr 2014/15) ist Noweda der zweitgrößte Pharma-Großhändler in Deutschland. Die Genossenschaft hat einen Marktanteil von rund 18 Prozent. Auf Platz eins dieser Rangliste steht das Unternehmen Phoenix mit einem Marktanteil von 28 Prozent. Die Böblinger Niederlassung gilt in der Branche als Kampfansage an die Konkurrenz: Phoenix sitzt in Neuhausen auf den Fildern. In Stuttgart hat der Drittplatzierte Gehe seinen Hauptsitz und Alliance Healthcare (vierter Platz) eine Niederlassung. Sanacorp – die Nummer fünf – ist in Asperg beheimatet. Allein seit 2012 hat Noweda drei neue Niederlassungen eröffnet.