Rainer Horlacher will sein Geld zurück. Der Einzelhändler wehrt sich vor dem VGH Mannheim dagegen, dass die IHK Mitgliedsbeiträge für die Bildung von Rücklagen verwendet.

Mannheim - Vordergründig streitet Rainer Horlacher nur um Geld. Der Einzelhändler, der in Hüttlingen und Gschwend im Ostalbkreis vier Modehäuser betreibt, will erreichen, dass die Industrie- und Handelskammer Ostwürttemberg (IHK) Überschüsse aus dem Jahr 2012 an die Mitglieder zurückzahlt, statt damit Rücklagen zu bilden. Deshalb hat er den Beitragsbescheid für das Jahr 2013 angefochten. In erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart vor drei Jahren hat er noch den Kürzeren gezogen. Horlacher macht sich aber durchaus Hoffnungen, dass sich das Blatt doch noch wendet: Der sechste Senat des Verwaltungsgerichtshofes in Mannheim (VGH) hat die Berufung zugelassen.

 

Obendrein hat zwischenzeitlich das Bundesverwaltungsgericht im vergangenen Dezember in einem ähnlichen Fall geurteilt, Rücklagen dürften nur in einer angemessenen Höhe und aufgrund einer nachvollziehbaren Kalkulation gebildet werden. Und bei der Verhandlung am Mittwoch ließen die Mannheimer Richter durchaus erkennen, dass ihnen die Argumentation der Kammer zur Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der kritisierten Rücklagenbildung der Ostwürttemberger IHK nicht an allen Stellen einleuchtete. Das Urteil steht noch aus.

Vor drei Jahren hatte die IHK Ostwürttemberg, die knapp 24 000 Mitgliedsunternehmen in den Kreisen Ostalb und Heidenheim vertritt, insgesamt 8,5 Millionen Euro an Rücklagen. Diese verteilten sich auf vier Rücklagentöpfe: Die Bau- und Instandhaltungsrücklagen war mit knapp vier Millionen der größte Posten. An zweiter Stelle standen gleich zwei Ausgleichsrücklagen, die in konjunkturell schlechten Zeiten geschröpft werden sollen. Die Beiträge der IHK-Mitglieder errechnen sich nämlich aus dem Ertrag des jeweiligen Unternehmens. In Krisenjahren gehen die Einnahmen der Kammern deshalb zurück. Als drittes gab es eine Liquiditätsrücklage, die der Kammer vor allem über das erste Quartal eines Jahres helfen soll, wo die monatlichen Ausgaben laut Martin Kraus, dem Leiter der Zentralen Dienste der IHK Ostwürttemberg, überdurchschnittlich hoch sind. Zwischen 700 000 und 800 000 Euro würden zwischen Januar und März aufgewandt, unter anderem weil in dieser Zeit Versicherungsgebühren und eigene Mitgliedsbeiträge fällig seien. Und schließlich bildet die IHK Rückstellungen für die Pensionen ihrer Mitarbeiter.

Warum brauche die IHK Ostwürttemberg so hohe Rücklagen, fragen die Richter

Fragen hatten die Richter insbesondere zur Liquiditäts- und zu den beiden Ausgleichsrücklagen. Zum einen wollte ihnen nicht einleuchten, warum die IHK eine Rücklage benötige, um im Januar bei Kasse zu sein: Das sei eine Frage der Haushaltsplanung. Im Übrigen diene die Liquiditätsrücklage laut dem damaligen Finanzstatut der IHK Ostwürttemberg „der Aufrechterhaltung einer ordentlichen Kassenwirtschaft ohne Aufnahme von Krediten“.

Kritische Nachfragen gab es auch zu einer zweiten, 2008 angelegten Ausgleichsrücklage. Diese wurde aus dem Überschuss von 2007 von etwa 435 000 Euro gebildet und in den Folgejahren aufgestockt. Der Grund laut Christoph-David Munding, dem Anwalt der IHK: Angesicht der schweren Weltwirtschaftskrise 2008 und 2009 habe man zusätzliche Reserven bilden wollen, um die IHK-Mitglieder in der wirtschaftlich schwierigen Zeit nicht durch höhere Beiträge zu belasten und trotzdem als Kammer funktionsfähig zu bleiben.

Allein: Nur 2003, 2004 und 2005 musste die IHK tatsächlich je 1,78 Millionen Euro aus dem Sparstrumpf holen, um das schlechtere Beitragsaufkommen auszugleichen. Zwar wird der zweite Ausgleichstopf zurzeit bereits verteilt auf drei Jahre wieder zurückgezahlt. Doch auch der Kernausgleich provozierte Nachfragen. Vor drei Jahren nämlich hielt die IHK noch 55,9 Prozent der Betriebsaufwendungen in der Ausgleichsrücklage bereit. Im Juli wurde das Finanzstatut überarbeitet, die Liquiditätsrücklage abgeschafft und die Höhe der Ausgleichsrücklagen auf 25 bis 50 Prozent definiert. Aktuell werden 28 Prozent der Betriebsaufwendungen für den Fall bereit gehalten, dass die Mitgliedsbeiträge einbrechen. „Warum kommt man jetzt mit 28 Prozent aus?“ wollte der Richter wissen.

Im Kern geht es dem Kläger nicht ums Geld

Die IHK-Vertreter verwiesen auf das Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom Dezember. Dominik Storr, der Anwalt des Klägers, kritisierte das Vorgehen der IHK hingegen als reine Willkür. Die Kammer habe keine nachvollziehbaren Prognosen vorlegen können. Wann immer Geld übrig war, habe man unter verschiedenen Mäntelchen in diversen Rücklagen verteilt.

Im Kern allerdings geht es dem Kläger Rainer Horlacher, der im Oktober mit dem zweitbesten Stimmenergebnis in die Heidenheimer Vollversammlung der IHK gewählt worden war, nicht ums Geld. Als Mitglied des Bundesverbandes für freie Kammern fordert der Einzelhändler die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft, mehr Demokratie und mehr Transparenz bei den 79 Industrie- und Handelskammern in Deutschland. Dazu gehört die Offenlegung der Geschäftsführer-Gehälter, einer Forderung, die in immer mehr Kammern diskutiert wird. Furore gemacht hat des Gehalt des Hamburger IHK-Chefs, der inklusive Tantiemen auf ein Jahresgehalt von 475 000 Euro kommt – plus Pensionsansprüche.

Falls Rainer Horlachers Klage Erfolg hat, rechnet er nicht mit Applaus aus dem Unternehmerlager: Sein Antrag in der Vollversammlung vor vier Jahren auf Rückerstattung der Beiträge wurde mehrheitlich abgelehnt. „Uns Unternehmern geht es viel zu gut“, sagt er. Deshalb nähmen die Selbstständigen sogar in Kauf, „dass unser Geld dekadent auf IHK-Empfängen verprasst wird.“