Mit neuen pädagogischen Konzepten versuchen die Lehrer an Werkrealschulen, ihre Schüler zum Lernen zu motivieren. Zur neuen Lernkultur gehört auch, dass Schulen etwas Neues ausprobieren und dabei möglicherweise scheitern.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart - Davon können Gymnasiallehrer nur träumen: In den Stuttgarter Werkrealschulen sitzen im Schnitt nur 19,3 Schüler in einer Klasse. Trotzdem stehen die Lehrer vor einer großen Herausforderung. Sie müssen es schaffen, Schüler, die mit mannigfaltigen Problemen kämpfen, individuell zu fördern und zu fordern. In der fünften und sechsten Klasse gilt es zunächst, die Basiskompetenzen aus der Grundschule zu wiederholen und zu vertiefen. Manche Kinder beherrschen die Grundrechenarten, andere nicht. Manche können mit Zirkel und Geodreieck umgehen, anderen fehlt die Routine.

 

An der Rosensteinschule an der Nordbahnhofstraße hat man im September eine ganz besondere Unterrichtsmethode eingeführt, um sich frühzeitig auf die Stärken der Schüler zu konzentrieren, Schwächen abzubauen – und natürlich auch, um sie zum Lernen zu motivieren. Dort besuchen die Fünft- und Sechsklässler die „Rosi-Fahrschule“. An zwei Tagen in der Woche arbeiten sie jeweils zwei Stunden lang ihr Basiswissen auf, zum Beispiel das kleine und große Einmaleins, die Arbeit mit dem Geodreieck oder in einem Grammatikmodul die Satzglieder. Wenn ein Schüler das Gefühl hat, er beherrsche ein Modul, meldet er sich für die „Fahrprüfung“ an. Besteht er den Test, bestätigen das der „Fahrlehrer“ und der Tutor im Fahrtenbuch – und der Schüler kann ins nächste Modul wechseln. So lernt jeder in seinem individuellen Tempo den Grundkanon in Deutsch, Mathematik und Englisch.

Schüler brauchen auf allen Ebenen eine Förderung

Die Rückmeldungen seien sehr positiv, berichtet die Schulleiterin Ingrid Macher. Das Selbstbewusstsein der Schüler werde durch diese Lehrmethode gestärkt. Allerdings brauche man ausreichend pädagogisches Personal. „Wir haben das Glück, zum zweiten Mal mit einem Teach-First-Deutschland-Fellow bedacht worden zu sein“, erzählt sie. Fellows, das sind deutsche Akademiker, die etwas Gutes ans Bildungssystem zurückgeben möchten und zwei Jahre lang konkrete Hilfe an Schulen in sozialen Brennpunkten leisten. Zurzeit arbeitet eine junge Frau in Vollzeit an der Rosensteinschule, die ihr Lehramtsstudium in Politik, Deutsch und Englisch abgeschlossen hat und sich in vielen Bereichen engagiert, darunter in der Elternarbeit, beim Alphabetisierungskurs für Migrantenkinder und eben in der „Rosi-Fahrschule“.

Die pädagogischen Assistentinnen unterstützen und entlasten die Lehrkräfte ebenfalls. Sie dürfen keine kompletten Klassen unterrichten, betreuen jedoch gezielt einzelne Schüler oder Kleingruppen. „Darüber hinaus ist die Schulsozialarbeit enorm wichtig“, sagt Miriam Brune von der Herbert-Hoover-Schule. Die Schüler bräuchten auf allen Ebenen eine Förderung – auch im sozialen Miteinander.

Zu Hause sind die Kinder oft auf sich allein gestellt

Diese Erfahrung macht auch Andreas Passauer, der Leiter der Luginslandschule. Viele Jahre lang sei die Bildungsstätte in dem ehemaligen Untertürkheimer Arbeiterstadtteil eine solide „Volksschule“ gewesen. Aufgrund des Wegfalls der verbindlichen Grundschulempfehlung gingen jetzt mehr Kinder mit einem höheren Förderbedarf auf seine Schule, beobachtet Passauer. „Wir unterrichten immer mehr Kinder, die ganz wenige Begabungen haben.“ Folglich müssten sich die Lehrkonzepte ändern. „Wir können das natürlich nicht mit Vollgas voranbringen“, sagt er. Zum Teil wird klassenübergreifend in kleineren Teams unterrichtet.

Zur neuen Lernkultur gehört auch, dass Schulen etwas Neues ausprobieren und dabei möglicherweise scheitern. Passauer nennt ein Beispiel: Im Fach Materie-Natur-Technik werden Mädchen und Jungen an der Luginslandschule probeweise getrennt unterrichtet. Davon erhoffen sich die Lehrkräfte, dass sich die Mädchen mehr trauen, wenn sie unter sich sind. Andreas Passauer zieht eine erste Zwischenbilanz: „Davon habe ich mir mehr versprochen“, räumt er ein.

Relativ positive Erfahrungen hat man hingegen bei der Jörg-Ratgeb-Schule in Neugereut damit gesammelt, dass Schüler zunehmend Eigenverantwortung für ihren schulischen Erfolg übernehmen. Sie sollen selbst erkennen, in welchen Bereichen sie noch Schwächen haben und Hilfe brauchen. Ein wichtiger Baustein seien dabei die regelmäßigen Rückmeldegespräche, vor allem in den oberen Klassenstufen, sagt der Werkrealschulleiter Markus Dölker. Die Zehntklässler würden zudem ein Lerntagebuch führen, um ihre Fortschritte zu dokumentieren. Ohne intensive Begleitung schaffen es die meisten Schüler jedoch nicht, in eigener Sache aktiv zu werden. Denn zu Hause interessiert sich häufig niemand für ihre Sorgen oder Erfolge in der Schule. Dölker bedauert: „Dort sind die Kinder oft auf sich allein gestellt.“