Der Investmentbanker Dirk Notheis hat bei dem Aktiencoup flexibel auf beiden Seiten agiert. Für seine Bank Morgan Stanley war der Deal jedenfalls lukrativ.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Ihr letzter gemeinsamer Auftritt im Landtag liegt gut zwei Jahre zurück. Unten im Plenarsaal wurde Stefan Mappus erst zum Ministerpräsidenten gewählt und dann feierlich vereidigt. Oben auf der Besuchertribüne saß Dirk Notheis nebst Ehefrau und verfolgte das Geschehen mit sichtlichem Stolz. Es war in gewisser Weise ein gemeinsamer Triumph der beiden Freunde, die einander seit den Tagen in der Jungen Union eng verbunden blieben.

 

Wie wenig andere hatte Notheis (Jahrgang 1968) die Karriere des zwei Jahre älteren Mappus gefördert, bis zuletzt galt er als einer seiner wichtigsten Berater. Er selbst hatte es in seinem Beruf als Investmentbanker bereits bis an die Spitze gebracht: Seit 2009 war er Vorsitzender des Vorstands von Morgan Stanley Deutschland. Nun hatte es sein Freund Stefan in der Politik ebenfalls nach ganz oben geschafft, und das sogar schneller als erhofft. Dass sein einstiger Beisitzer im JU-Vorstand so schnell Regierungschef würde, bekannte der einstige Landeschef des CDU-Nachwuchses auf einem Parteitag, hätte er bei aller Wertschätzung nicht erwartet.

Diese Woche werden Mappus und Notheis wieder einen gemeinsamen Auftritt im Landtag haben, aber unter ganz anderen Vorzeichen. Die beiden sind als Zeugen bei der ersten Sitzung des Untersuchungsausschusses zum EnBW-Deal geladen. Erst wird der Ministerpräsident außer Diensten vermutlich einige Stunden lang befragt, dann kommt der Banker an die Reihe, der ihn bei dem milliardenschweren Rückkauf der Aktien beraten hat. Inwieweit sie trotz Verschwiegenheitsklauseln öffentlich aussagen dürfen, darum wird noch gerungen.

Das Gewinner-Duo muss Rede und Antwort stehen

Die Triumphgefühle von einst dürften bei beiden längst verflogen sein. Mappus hat einen beispiellosen Absturz hinter sich. Erst wurde er von den Wählern aus dem Amt vertrieben, wohl auch wegen des als Nacht-und-Nebel-Aktion empfundenen Geschäfts, mit dem er doch seine Wirtschaftskompetenz demonstrieren wollte. Dann bescheinigte ihm der Staatsgerichtshof wegen der Ausschaltung des Landtags einen glatten Verfassungsbruch. Seinen neuen Job beim Pharmakonzern Merck gab er nach wenigen Wochen wieder auf, um sich ganz auf seine Verteidigung zu konzentrieren. Selbst Parteifreunde rätseln, wovon er nach dem Auslaufen von Übergangsbezügen eigentlich lebt.

Notheis hat seinen Posten bei Morgan Stanley nach wie vor, materielle Sorgen dürften ihn keine plagen: 2010 betrugen die Bezüge des Vorstandes ausweislich des Abschlusses zusammen fast acht Millionen Euro. Für 2011 – das Jahr, in dem der EnBW-Deal zu Buche schlug – liegen noch keine Zahlen vor. Doch die Negativschlagzeilen um Mappus’ Coup machen auch ihm und der Bank zu schaffen; sie sind Gift für das sonst so diskrete Gewerbe. Wo immer Notheis auftritt, ist das Thema präsent. Eine Stunde lang referierte er Ende vorigen Jahres in Karlsruhe allgemein über die „Zukunft des Investmentbanking“. Kaum durfte das Publikum Fragen stellen, ging es um den umstrittenen Deal: Ob er das Land heute noch einmal so beraten würde? Es sei „generelle Policy unseres Hauses“, zu Kunden und Transaktionen nichts zu sagen, erwiderte der Vorstandschef. Nach der Rede, sinnigerweise im „EnBW-Hörsaal“ einer Hochschule, entschwand er zügig.

Kommt es zum Eklat zwischen den Freunden?

Mit seinem Auftritt vor dem Ausschuss hofft Notheis wohl, die Debatte zu beenden. Er will darlegen, dass Morgan Stanley bei dem Geschäft saubere Arbeit geleistet hat – auch bei der Bewertung des EnBW-Aktienpakets von gut 45 Prozent. Argwohn schlägt ihm nicht nur von der einstigen Opposition entgegen, die den Kaufpreis für zu hoch hält. Die grün-rote Regierung klagt deswegen sogar vor einem internationalen Schiedsgericht gegen die Électricité de France (EdF) als Verkäufer. Auch in der CDU gibt es Bestrebungen, den einstigen Ministerpräsidenten als „Beratungsopfer“ hinzustellen – als Opfer einerseits der Anwälte von Gleiss Lutz, die ihm den Weg über eine für Naturkatastrophen vorgesehene Notbewilligungsklausel nie hätten frei geben dürfen, aber auch als Opfer von Morgan Stanley und seines Freundes Notheis, die wohl eigene Interessen verfolgt hätten. Wiederholt wurde in den Wirtschaftsmedien dargestellt, wie wichtig die Fünf-Milliarden-Transaktion für die Position von Morgan Stanley Deutschland in den Rankings gewesen sei. Die Bank äußerte sich dazu ebenso wenig wie zu der Frage, inwieweit der Vorstandschef persönlich von dem zweistelligen Millionenhonorar profitiert haben könnte. Auch in Paris wurde Notheis’ Rolle früh kritisch gesehen: Er sei die treibende Kraft bei dem Deal gewesen, analysierte ein EdF-Manager intern, Mappus habe er lediglich „benutzt“.

Mit großem Interesse registrierten Regierung und Opposition, dass Morgan Stanley Frankreich sich auf seiner Internetseite lange auch als „Berater der EdF“ bei dem Deal bezeichnete. Nach einem Hinweis der StZ wurde dies als „Fehler eines jungen Mitarbeiters“ korrigiert. Tatsächlich gab es wohl keinen offiziellen Auftrag von beiden Seiten ; das wäre ein ziemlich plumper Verstoß gegen die Regeln der Branche gewesen. Der französische Morgan-Stanley-Chef René Proglio, der Zwillingsbruder des EdF-Chefs Henri Proglio, soll unterstützend für die deutsche Filiale, also für den Käufer, tätig gewesen sein. Aber die Frage, wessen Interessen Notheis eigentlich vertreten hat, ergibt sich auch aus den Akten des Ausschusses.

Interne E-Mails zeichen ein neues Bild

Ziemlich klar belegen sie, dass die EdF mitnichten auf einen Ausstieg bei der EnBW drang. Im Gegenteil: sie fühlte sich dazu gedrängt. Nicht von ihm sei die Initiative ausgegangen, sondern von der baden-württembergischen Seite – das deutlich zu machen war dem Konzernchef wichtig. „Stimmt sogar :-)“, schrieb Notheis samt Smiley in einer erläuternden Mail an Mappus. Proglio plagte offenbar die Sorge, dass die Märkte einen Kurswechsel nicht verstehen würden: Wie sollte er den plötzlichen Rückzug aus Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas, erklären? Zumal kein anderes Engagement als Alternative in Sicht war? Selbst im Unternehmen gab es schließlich starke Kräfte, die vom Verkauf der EnBW-Aktien abrieten. Am Ende sprach der Vorstandschef davon, er beuge sich einer politischen Entscheidung.

Zuvor hatte Notheis ihm ausführlich Argumentationshilfe zuteilwerden lassen. Die von Morgan Stanley eingeschaltete PR-Agentur skizzierte sogar eine Sprachregelung für die Franzosen: Da man bei der EnBW keine Mehrheit erreichen könne, habe man sich zum Verkauf entschlossen; dies entspreche ganz der Konzernstrategie. In einer Mail an Proglio (Betreff: „Strategische Überlegungen“) erläuterte Notheis detailliert, warum er an dessen Stelle verkaufen würde. Eines seiner Argumente ist besonders heikel: finanziell werde die Beteiligung für die EdF im Lauf der Zeit immer weniger attraktiv. Durch die Kosten der Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke – gemeint ist offenbar die Brennelementesteuer – werde die EnBW mit ihrem hohen Atomstromanteil besonders unter Ertragsdruck geraten. Zudem müsse sie spürbar Schulden abbauen, um nicht von den Ratingagenturen herabgestuft zu werden. Es wäre also klug, rechtzeitig auszusteigen, musste Proglio folgern.

Ungleich optimistischer klang es, wie Morgan Stanley die Lage der EnBW gegenüber seinem eigentlichen Kunden, dem Land, darstellte. Da wurde das Bild eines bestens positionierten Stromkonzerns gemalt, der goldenen Zeiten entgegengehe; die Zeichen stünden auf „weiteres Wachstum“, auch beim Ergebnis. Der Diplomökonom Mappus war offenbar schwer beeindruckt. Am Vorabend des Vertragsschlusses verbreitete er in der Villa Reitzenstein geradezu Euphorie: Man bekomme die EnBW-Aktien fast zum Schnäppchenpreis und mache ein fabelhaftes Geschäft, verstanden Teilnehmer der Runde. Die Belastungen durch die damals bereits beschlossene Brennelementesteuer spielten offenbar keine Rolle. Dabei wurden die großen Energiekonzerne nach Ansicht von Experten bereits dadurch entscheidend geschwächt – und nicht erst durch die natürlich nicht vorhersehbare Atomwende nach Fukushima. Die E-Mail an Proglio, erläuterte eine Sprecherin von Morgan Stanley, sei „Bestandteil der professionellen Verhandlungsstrategie“ gewesen, und das „im besten Interesse“ des Landes. Alles weitere werde man am Freitag vor dem Ausschuss erklären.

Notheis war vielen Herren ein treuer Diener

Wie flexibel sich Notheis auf allen Seiten zu bewegen wusste, zeigt auch ein anderes Beispiel. Einerseits gehörte er zu einer informellen Beraterrunde des EnBW-Chefs Hans-Peter Villis, intern „Sounding Board“ genannt. Dorthin gelangte er wohl, weil Morgan Stanley immer wieder Aufträge von den Karlsruhern erhielt. Im Kreis der Experten seines Vertrauens stellte Villis, wie man hört, Ideen und Argumentationen zur Diskussion. Mindestens ebenso eng war Notheis andererseits seinem Freund Mappus verbunden, dessen Wertschätzung für Villis sich bekanntlich in Grenzen hielt. Auch bei einem CDU-Sieg, wurde erwartet, wären dessen Tage als Konzernchef gezählt gewesen. Von dem Rückkauf der Aktien, den sein Berater Notheis eingefädelt hatte, erfuhr Villis übrigens auch erst in der Nacht zuvor.

Ob Mappus inzwischen über die Rolle seines Freundes ins Grübeln geraten ist, weiß man nicht. Immerhin musste er nicht mit anhören, wie gönnerhaft der international tätige Banker das Agieren des Regionalpremiers bei der Transaktion lobte; sogar bei den Verhandlungen auf Englisch habe der sich ganz wacker geschlagen. In der Südwest-CDU aber hat das hohe Ansehen, das Notheis jahrelang genoss, längst zu bröckeln begonnen. Früher, sagt ein altgedienter Parteigrande, habe er dem Ettlinger den hohen ethischen Anspruch, den er für sich geltend machte, noch abgenommen. Inzwischen jedoch sei Notheis zu einem „ganz normalen Investmentbanker“ geworden. Auch ein Jungunionist klingt ernüchtert über den einstigen Landeschef: Der lange bodenständig gebliebene Notheis habe mit der Zeit wohl doch „ziemlich abgehoben“.

Sang- und klanglos ist der Banker als Beisitzer aus dem CDU-Landesvorstand ausgeschieden, in den er wiederholt mit besten Ergebnisse gewählt worden war. Zur offiziellen Verabschiedung der Ehemaligen Anfang des Jahres war Notheis zwar eingeladen, erschien aber nicht. Die fröhliche Runde wäre für ihn womöglich zu einem Spießrutenlaufen geworden.