Der Salzstock unter der Stadt Heilbronn wird seit 30 Jahren mit Sonderabfall aufgefüllt. Der grüne Umweltminister Franz Untersteller feiert dies als Glücksfall. Andere betrachten den giftigsten Ort im Land als tickende Zeitbombe.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Heilbronn - Wie eine riesige Einkaufstasche baumelt die tonnenschwere Big Bag am Teleskoparm des Baggers und wird feinsäuberlich auf die anderen Kunststoffsäcke bugsiert. Aufdrucke mit Totenköpfen und einem laublosen Baum mit einem toten Fisch daneben kennzeichnen, was hier 200 Meter unterhalb der A 6 bei Heilbronn in die Salzstollen gestapelt wird. Es sind die giftigsten Stoffe, die in der heutigen Zeit anfallen.

 

Seit 1987 geht das so, und es soll nicht aufhören, wenn es nach dem baden-württembergischen Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) geht. Im Jahr 2028 erlischt die Betriebserlaubnis der einzigen Untertagedeponie im Land. Deshalb sei es in Anbetracht der bekannt langen Genehmigungsverfahren an der Zeit, sich Gedanken zu machen, ob die Deponie danach fortgeführt werden solle, sagt Untersteller. Der Salzstollen sei ein Schatz. Denn er sei momentan die einzig wirklich sichere Lagerstätte für solche Problemstoffe. „Es wird schwer fallen, darauf zu verzichten.“

Freie Kammern hat es noch genug

Bei der Südwestdeutschen Salzwerke AG (SWS), deren Aktien zu je 49 Prozent der Stadt Heilbronn und dem Land gehören, sieht man das ähnlich. Das Unternehmen hat den Minister und andere politische Gäste zu einer unterirdischen Feierstunde in sein 700 Kilometer langes Stollensystem eingeladen. Vor 30 Jahren ging die Untertagedeponie dort in Betrieb, seit 25 Jahren wird sie in einem eigenen Unternehmenszweig geführt: der Umwelt, Entsorgung und Verwertungs GmbH (UEV). 40 Millionen Euro betrug zuletzt ihr Umsatz. Der Gewinn ist millionenschwer. Untersteller habe ihm aus der Seele gesprochen, sagt der UEV-Chef Jörg Dörfel. Die Überlegungen der SWS gingen in die gleiche Richtung. „Die Hohlraumressource ist da. Sie soll auch genutzt werden.“

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Vor 30 Jahren war das anders gewesen. Damals hatte es einigen politischen Drucks bedurft, um die Salzwerke zur Öffnung ihrer Stollen zu gewinnen. Eigentlich hatte man lediglich quecksilberhaltige Löserückstände einlagern wollen, die bei der Salzverarbeitung der Firma Hoechst anfielen. Offenbar stand im Hintergrund die Drohung, der Chemieriese könnte sich von Konkurrenten beliefern lassen.

Das Land macht Druck auf das Salzwerk

Für den damaligen Landesumweltminister Gerhard Weiser (CDU) war dies die Chance, ein drängendes Problem zu lösen. Gerade war in Göppingen eine neue Müllverbrennungsanlage in Betrieb gegangen. Offen war die Entsorgung der Rauchgasschlacke aus den Filtern geblieben. Also ließ Weiser auch die Annahme solcher und anderer Giftstoffe in die beantragte Genehmigung schreiben. In Heilbronn war man keineswegs erfreut. Man wollte auf keinen Fall zur „Sondermüllkippe des Landes“ werden, wie es in Zeitungsartikeln hieß. Sowohl die Stadt als auch die SWS klagten.

Am Ende konnte sich das Land aber durchsetzen. Die Stadt erreichte lediglich die zeitliche Befristung der Genehmigung. 1,4 Millionen Tonnen Sondermüll wurden seither im Heilbronner Salzstollen eingelagert. Die Heilbronner Unterwelt gilt als einer der giftigsten Orte Deutschlands. UEV-Chef Dörfel hält diese Bezeichnung allerdings für „viel zu plakativ“. Die etwa ein Kubikmeter großen Big Bags aus doppelwandigem Kunststoff seien eine sichere Lagermethode. Vor der Einlagerung werde das Material verfestigt und gebunden. „Das ist hart wie Beton.“ Für die Mitarbeiter entstehe beim Umgang keine Gefahr.

Gesteinseinbruch befördert Zweifel

Fünf bis sieben Säcke werden aufeinander gestapelt und dann mit einer Salzkanone bestäubt. Anschließend kommt die nächste Schicht. Die bis zu 15 Meter hohen Kammern würden „firstbündig verfüllt“, sagt der SWS-Vorstandssprecher Ulrich Fluck. Dies habe sich im Nachbar-Salzbergwerk im Bad Friedrichshaller Stadtteil Kochendorf bewährt. Dort hatte das Bergamt in Freiburg nach einem Gesteinseinbruch die sogenannte Vollverfüllung angeordnet. Auch sie geschah zu einem großen Teil mit Giftmüll und ist weitgehend abgeschlossen. „Das hat sich bewährt.“

Für den örtlichen Sprecher des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Gottfried May-Stürmer, ist Kochendorf der Beleg dafür, dass Salzstöcke keineswegs so sicher vor Wassereinbrüchen gefeit sind, wie die Verantwortlichen behaupten. Hier ticke eine Zeitbombe. Eine geeignetere Lagerstätte kann aber auch er nicht nennen. „Die Alternative ist die Vermeidung“, sagt er. Bei den allermeisten Giftstoffen sei dies nur eine Frage des Geldes.

Die Schweiz ist der treueste Kunde

„Viele Länder beneiden uns um diese sichere Entsorgungsmöglichkeit“, sagt derweil der Umweltminister Unterteller. Viele Länder nutzen auch die Heilbronner Kapazitäten. Vor allem die Schweiz ist ein wichtiger Kunde. Urdorf bei Zürich steht auf den Säcken, die der Bagger stapelt. Dies sei Teil der deutsch-schweizerischen Entsorgungskooperation, erklärt Untersteller. Im Gegenzug dürfen südbadische Landkreise ihren Müll an Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen liefern.