Selbst Tarzans Erfinder Edgar Rice Burroughs hatte 1912 nicht die geringste Ahnung, dass seine Figur derart populär werden und bleiben würde. Aber auch über 100 Jahre nach Tarzans Debüt in einem Groschenheft dreht Hollywood noch neue Filme über den Dschungelkraftmann. Warum eigentlich?

Stuttgart - Wenn man nichts hinbekommt, kann man natürlich kleinlaut träumen. Kann hoffen, dass dies oder jenes vielleicht doch irgendwann mal halbwegs klappen werde. Man kann aber auch die Riesensau aus dem Pferch treiben und auf ihr jauchzend durch die Gemeinde reiten, kann sich einen Alleskönner zusammenreimen und andere vor ihm niederknien lassen. Der Amerikaner Edgar Rice Burroughs hat sich Anfang des 20. Jahrhunderts für letztere Variante entschieden und den Dschungelhelden Tarzan erfunden. Dieser Erbe rauester Wildnis und feinster Zivilisation ist sofort zum Popkulturphänomen geworden. Und im Moment stehen die Chancen gut für ihn, dass er die letzten Reste echter Wildnis überleben wird.

 

Edgar Rice Burroughs (1875-1950) war den Erwartungen seines strengen Vaters, eines Chicagoer Geschäftsmanns, nie gerecht geworden. Vielfach gescheitert, griff er zum Schreiben für Groschenhefte als letzter Geschäftsidee. Dem lesenden Schwachen für kurze Zeit die Erfahrung der Stärke zu schenken, war Alltag der Pulp-Autoren. Die Faszinationskraft von Tarzan, der 1912 erstmals im All-Story Magazine auftauchte, resultiert aber nicht allein aus der Kraft, mit der Löwen, Riesenaffen und feindliche Krieger niedergerungen werden. Burroughs erwies sich als Instinktautor mit feinen Antennen für die Bedürfnisse der Epoche. Er verknüpfte Tarzan mit Wünschen, Ängsten und Leiden der Moderne, die uns nicht verlassen haben.

Affenzögling mit langer Tradition

Geboren wurde Tarzan als Kind des britischen Adels, als künftiger Lord Greystoke. Aber großgezogen wurde er nach dem Tod seiner Eltern von Riesenaffen in der abgelegensten afrikanischen Wildnis, als Tier unter Tieren. Die animalische Kraft, Wehrhaftigkeit und Instinktsicherheit als Grundlage statt als Widerpart der Zivilisation, diese Idee findet man schon im Gründungsmythos des antiken Rom, in der Legende der Zwillinge Romulus und Remus, die von einer Wölfin gesäugt wurden.

Burroughs erzählt einer modernen Welt, in der Maschinen und abstrakte Strukturen mächtig und wichtig werden, vom fortwährenden Einklang mit den Urinstinkten. Er schildert einer kleinteilig arbeitsteiligen Welt, in der sich mancher von den Verhältnissen entmannt fühlt, von der im Alleingang errungenen Dominanz eines Menschen über die Schöpfung. Er stellt sich der Angst entgegen, die Herrschaftskasten westlicher Zivilisation könnten bereits dekadent sein, und macht einen ihrer Sprösslinge zur omnipotenten Bestie. Zugleich zeigt er im Spiegelbild des Affenadoptivkinds, das sich selbst mit einem Buch das Lesen und Englisch beibringt, die grenzenlose intellektuelle Kapazität und Neugier eines als dumm geschmähten Proletariats und Subproletariats.